e-politik.de: Gilt in den Medien, oder speziell in Magazinen wie dem
SZ-Magazin
die Devise: Erlaubt ist, was gefällt und den Umsatz hebt?
Dominik Wichmann: Generell würde ich sagen, dass diese Devise
schon immer gegolten hat. Ich denke aber, dass das SZ-Magazin eine Ausnahme
ist, weil wir
Geschichten machen können, die auch mal nicht dem Massengeschmack
entsprechen. Der Grund: Weil wir beiliegen, weil wir das Supplement zu einer
Tageszeitung sind.
e-politik.de: Muss es aber nicht Grenzen geben für das, was man zeigt
oder nicht
zeigt?
Wichmann: Ja, Grenzen muss es geben. Die haben aber nichts mit
ökonomischen
Kriterien zu tun.
e-politik.de: Und wo liegt diese Grenze?
Wichmann: Ich bin der Meinung, es gibt keine Grenze, die man
pauschal als
Grenze definieren kann. Jede Geschichte hat eine andere Grenze. Jede
Geschichte ist anders und muss für sich beurteilt werden. Ich halte nichts
davon, irgendwelche Tabus oder Dogmen zu errichten. Das SZ-Magazin ist von
seinem Wesen her diesen Begriffen entgegen gerichtet.
e-politik.de: Warum zeigte das SZ-Magazin auf acht respektive neun
Seiten die
Fotos von missgebildeten toten Föten mit einem zweiseitigen,
nachgestellten Text?
Wichmann: Wir hatten eine sehr lange Debatte hier in der
Redaktion, ob wir
diese Geschichte machen sollen oder nicht. Wir hatten die Debatte auch
geführt, weil in der Chefredaktion keine Frau ist, sondern nur drei Männer.
Wir drei nahmen an, dass Frauen auf diese Frage, ob man solche Bilder zeigen
soll oder nicht, eine andere Antwort geben könnten als Männer.
Zur Entstehungsgeschichte der Bilder. Diese Föten sind alle schon häufiger
fotografiert worden. Man hat diese Bilder also oft gesehen. Bislang hat man
die Föten nach folgendem Procedere fotografiert: Man hat eine Erlaubnis
beantragt, einen Blitz aufgesteckt und fotografiert. Diesmal hat Konrad R.
Müller, der Fotograf, die Föten nicht an dem Ort fotografiert, wo es bislang
gemacht wurde. Er hat die Behälter mit den Föten ans Tageslicht geholt.
Das hat zur Folge, dass man die Glasbehälter nicht mehr sieht, die Grenze
wegfällt zwischen den Föten und dem Betrachter, zwischen Objekt und Subjekt.
Wie gesagt: Viele von uns haben diese Fotos schon mal gesehen, aber noch nie
haben wir sie so gesehen. Noch nie haben sie uns so berührt. Deshalb haben
wir uns gefragt: Warum berühren uns die Fotos so? Warum schafft es Konrad R.
Müller, diesen leblosen Wesen offenbar etwas Humanes zurückzugeben, oder
überhaupt erst zu geben? Diese Fragen waren die wesentlichen Gründen dafür,
die Fotos abzudrucken. Für mich stehen diese Aufnahmen in der
Kunstgeschichte in der Tradition mit Hieronymus Bosch und anderen Künstlern,
die in der Lage sind, ein traumatisches Urerlebnis, eine Angst, die jeder
von uns hat, zu visualisieren.
Wir haben aber auch gesagt: Wir müssen das alles unseren Lesern erklären.
Wir
haben uns deshalb für einen Text ohne Bilder entschlossen, damit man ihn
lesen kann,
ohne von den Fotos beeinflusst zu werden. Der Text von Roger Willemsen
versucht das eben Gesagte herzuleiten. Manche sagen, das sei nicht gelungen.
Ich halte es für sehr gelungen.
e-politik.de: Warum aber will man so eine Geschichte mit solchen
Fotos
überhaupt machen?
Wichmann: Es gab für uns zwei Gründe, diese Geschichte so zu
machen. Das eine
ist der künstlerische Anlass. Es ist noch niemandem
gelungen, solche Aufnahmen in dieser ästhetischen Qualität zu machen. Der
andere Anlass: Mit dieser Geschichte wollten wir uns in die Gendebatte
einschalten, nämlich mit der Frage: Was ist überhaupt Leben? Man muss mal
lesen, was
in anderen Zeitungen zum Teil gefordert wird: der Zwang zur Abtreibung bei
der genetisch möglichen Früherkennung einer Missbildung. Darüber regt sich
kein Mensch auf, weil es nicht visualisiert wird.
e-politik.de: Ich habe bereits mit der Aussage ein Problem, dass man
die Bilder
als Kunst betrachtet. Das zweite, das ich im Bereich der Erklärung als
fehlend empfinde ist: Wenn ich auf die Thematik menschliche Missbildung,
oder Missbildungen allgemein aufmerksam machen will, hätte ich erwartet,
dass man sich nicht nur kunsthistorisch damit auseinandersetzt, sondern auch
fragt und sagt, wie es dazu kommen kann. Es ist in dem Text noch nicht
einmal erklärt, um welche Missbildungen es sich handelt. Es sind acht
Abbildungen ohne jeder Erklärung. Auf mich macht das den Eindruck, es geht
um die Vorführung eines Gruselkabinetts, das zum Hingucken reizen und
Aufmerksamkeit erwecken soll. Nach den Fotos kommt ein Text, der sich mit
dem Thema beschäftigt, sich aber meiner Meinung nach nicht mehr auf die
acht Bilder bezieht. Der aber für mich schwerste Vorwurf ist: Der Text von
Willemsen fragt überhaupt nicht
nach den Eltern - nach potenziell oder tatsächlich betroffenen Eltern.
Wichmann: Das ist nicht richtig. Willemsen geht sehr wohl darauf
ein.
e-politik.de: Sie spielen darauf an, dass Willemsen sagt:
Missbildungen seien
ein "Freak of Nature", eine "Laune der Natur". Entschuldigung,
aber dass ist
für mich Zynismus.
Wichmann: Ich halte diese Geschichte für hoch moralisch. Zynismus
und Moral
liegen oftmals sehr eng nebeneinander. Ich will in diesem Zusammenhang
ungern über Moral oder Zynismus diskutieren, denn das führt zu nichts.
Teil 2 - Ich finde im Schrecken auch das Faszinierende
Teil 3 - Wir sind alle Voyeure - nur in unterschiedlichem Maß
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