e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 808 )


Voyeurismus oder Kunst? - Gespräch mit Dominik Wichmann

Dominik Wichmann, Chefredakteur SZ-Magazin

Teil 1 - Wir hatten eine lange Debatte in der Redaktion

Autor :  Andreas Bock
E-mail: redaktion@e-politik.de

Im ersten Teil des Gespräches erläutert Dominik Wichmann, wie es zu der Titelgeschichte im SZ-Magazin Nr. 40 kam.


e-politik.de: Gilt in den Medien, oder speziell in Magazinen wie dem SZ-Magazin die Devise: Erlaubt ist, was gefällt und den Umsatz hebt?

Dominik Wichmann: Generell würde ich sagen, dass diese Devise schon immer gegolten hat. Ich denke aber, dass das SZ-Magazin eine Ausnahme ist, weil wir Geschichten machen können, die auch mal nicht dem Massengeschmack entsprechen. Der Grund: Weil wir beiliegen, weil wir das Supplement zu einer Tageszeitung sind.

e-politik.de: Muss es aber nicht Grenzen geben für das, was man zeigt oder nicht zeigt?

Wichmann: Ja, Grenzen muss es geben. Die haben aber nichts mit ökonomischen Kriterien zu tun.

e-politik.de: Und wo liegt diese Grenze?

Wichmann: Ich bin der Meinung, es gibt keine Grenze, die man pauschal als Grenze definieren kann. Jede Geschichte hat eine andere Grenze. Jede Geschichte ist anders und muss für sich beurteilt werden. Ich halte nichts davon, irgendwelche Tabus oder Dogmen zu errichten. Das SZ-Magazin ist von seinem Wesen her diesen Begriffen entgegen gerichtet.

e-politik.de: Warum zeigte das SZ-Magazin auf acht respektive neun Seiten die Fotos von missgebildeten toten Föten mit einem zweiseitigen, nachgestellten Text?

Wichmann: Wir hatten eine sehr lange Debatte hier in der Redaktion, ob wir diese Geschichte machen sollen oder nicht. Wir hatten die Debatte auch geführt, weil in der Chefredaktion keine Frau ist, sondern nur drei Männer. Wir drei nahmen an, dass Frauen auf diese Frage, ob man solche Bilder zeigen soll oder nicht, eine andere Antwort geben könnten als Männer. Zur Entstehungsgeschichte der Bilder. Diese Föten sind alle schon häufiger fotografiert worden. Man hat diese Bilder also oft gesehen. Bislang hat man die Föten nach folgendem Procedere fotografiert: Man hat eine Erlaubnis beantragt, einen Blitz aufgesteckt und fotografiert. Diesmal hat Konrad R. Müller, der Fotograf, die Föten nicht an dem Ort fotografiert, wo es bislang gemacht wurde. Er hat die Behälter mit den Föten ans Tageslicht geholt. Das hat zur Folge, dass man die Glasbehälter nicht mehr sieht, die Grenze wegfällt zwischen den Föten und dem Betrachter, zwischen Objekt und Subjekt. Wie gesagt: Viele von uns haben diese Fotos schon mal gesehen, aber noch nie haben wir sie so gesehen. Noch nie haben sie uns so berührt. Deshalb haben wir uns gefragt: Warum berühren uns die Fotos so? Warum schafft es Konrad R. Müller, diesen leblosen Wesen offenbar etwas Humanes zurückzugeben, oder überhaupt erst zu geben? Diese Fragen waren die wesentlichen Gründen dafür, die Fotos abzudrucken. Für mich stehen diese Aufnahmen in der Kunstgeschichte in der Tradition mit Hieronymus Bosch und anderen Künstlern, die in der Lage sind, ein traumatisches Urerlebnis, eine Angst, die jeder von uns hat, zu visualisieren. Wir haben aber auch gesagt: Wir müssen das alles unseren Lesern erklären. Wir haben uns deshalb für einen Text ohne Bilder entschlossen, damit man ihn lesen kann, ohne von den Fotos beeinflusst zu werden. Der Text von Roger Willemsen versucht das eben Gesagte herzuleiten. Manche sagen, das sei nicht gelungen. Ich halte es für sehr gelungen.

e-politik.de: Warum aber will man so eine Geschichte mit solchen Fotos überhaupt machen?

Wichmann: Es gab für uns zwei Gründe, diese Geschichte so zu machen. Das eine ist der künstlerische Anlass. Es ist noch niemandem gelungen, solche Aufnahmen in dieser ästhetischen Qualität zu machen. Der andere Anlass: Mit dieser Geschichte wollten wir uns in die Gendebatte einschalten, nämlich mit der Frage: Was ist überhaupt Leben? Man muss mal lesen, was in anderen Zeitungen zum Teil gefordert wird: der Zwang zur Abtreibung bei der genetisch möglichen Früherkennung einer Missbildung. Darüber regt sich kein Mensch auf, weil es nicht visualisiert wird.

e-politik.de: Ich habe bereits mit der Aussage ein Problem, dass man die Bilder als Kunst betrachtet. Das zweite, das ich im Bereich der Erklärung als fehlend empfinde ist: Wenn ich auf die Thematik menschliche Missbildung, oder Missbildungen allgemein aufmerksam machen will, hätte ich erwartet, dass man sich nicht nur kunsthistorisch damit auseinandersetzt, sondern auch fragt und sagt, wie es dazu kommen kann. Es ist in dem Text noch nicht einmal erklärt, um welche Missbildungen es sich handelt. Es sind acht Abbildungen ohne jeder Erklärung. Auf mich macht das den Eindruck, es geht um die Vorführung eines Gruselkabinetts, das zum Hingucken reizen und Aufmerksamkeit erwecken soll. Nach den Fotos kommt ein Text, der sich mit dem Thema beschäftigt, sich aber meiner Meinung nach nicht mehr auf die acht Bilder bezieht. Der aber für mich schwerste Vorwurf ist: Der Text von Willemsen fragt überhaupt nicht nach den Eltern - nach potenziell oder tatsächlich betroffenen Eltern.

Wichmann: Das ist nicht richtig. Willemsen geht sehr wohl darauf ein.

e-politik.de: Sie spielen darauf an, dass Willemsen sagt: Missbildungen seien ein "Freak of Nature", eine "Laune der Natur". Entschuldigung, aber dass ist für mich Zynismus.

Wichmann: Ich halte diese Geschichte für hoch moralisch. Zynismus und Moral liegen oftmals sehr eng nebeneinander. Ich will in diesem Zusammenhang ungern über Moral oder Zynismus diskutieren, denn das führt zu nichts.


Teil 2 - Ich finde im Schrecken auch das Faszinierende

Teil 3 - Wir sind alle Voyeure - nur in unterschiedlichem Maß


Foto: Copyright liegt bei der Süddeutschen Zeitung




Weiterführende Links:
   Roger Willemsen: Wir alle sind Launen der Natur: http://www.szarchiv.de/REGIS_A11237337;internal&action=hili.action&Parameter=willemsen


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