Die Fotos von missgebildeten Föten im SZ-Magazin eignen sich sicher nicht, eine Diskussion über Entwicklungen der Gentechnik im Zusammenhang mit Abtreibung von behinderten Kindern anzuregen. Wer mit diesen Bildern versucht, gegen eine Forderung nach Zwangsabtreibung bei genetisch festgestellten Missbildungen zu argumentieren, der erreicht beim Betrachter genau das Gegenteil.
Angst und Schrecken
Die Bilder lösen Angst und Schrecken aus und können nur schwer eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema bewirken. Sie verstärken vielmehr Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung und schaffen Distanz zu der Problematik. Menschen mit Behinderung werden in unserer Gesellschaft immer noch ausgegrenzt, weil sie anders sind. Anders sind sie in den Augen von Nichtbehinderten, weil verglichen und immer öfter vom perfekten Menschen geredet wird; gerade heute, da die Genforschung einen immer größeren Stellenwert erhält. Über Menschen mit Behinderung wissen Nichtbehinderte in der Regel nur wenig oder gar nichts. Man sieht sie höchstens mal auf der Straße oder in der U-Bahn. In den Augen der Nichtbehinderten sind sie anders. Dieses Anderssein, diese Unwissenheit erzeugt Vorurteile und Angst und verhindert Auseinandersetzung.
Die Fotos der missgebildeten Föten verstärken diese Ängste und Vorurteile. Einer werdenden Mutter, der man diese Bilder zeigt und die vor der Entscheidung steht, ob sie ihr Kind abtreiben soll oder nicht, da sie durch pränatale Diagnostik weiß, dass es höchstwahrscheinlich behindert sein wird, dieser Mutter helfen diese Schreckensbilder sicher nicht, sich für ihr Kind zu entscheiden.
Positive Beispiele von Menschen mit Behinderung geben
Wenn man behindertes Leben bejaht und dafür ein Bewusstsein schaffen will, sollte man der Öffentlichkeit positive Beispiele von Menschen mit Behinderung zeigen, um so den Zugang zu einer Diskussion über Abtreibung von behinderten Kindern zu finden. Man sollte Beispiele darstellen, die belegen, dass Menschen mit Behinderung durchaus eine Bereicherung für unsere Gemeinschaft sind und es sollte vielmehr in den Mittelpunkt gerückt werden, dass die Bedingungen für Familien mit behinderten Kindern verbessert werden müssen, um bewusste Entscheidungen für ein behindertes Kind zu erleichtern. Dabei geht es nicht nur um materielle Verbesserungen, sondern auch um ideelle. Besonders Vorurteile in der Gesellschaft müssen abgebaut werden, in dem Menschen mit Behinderung unabhängig von der Schwere ihrer Beeinträchtigung, in den gleichen Lebensräumen aufwachsen können wie Nichtbehinderte.
Integration anstatt Ausgrenzung sollte an erster Stelle stehen. Auseinandersetzung und Begegnung können helfen Vorurteile, Ängste und Unsicherheit abzubauen. Nur wenn Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft zur Normalität werden, das heißt wenn sie mitten in der Gemeinschaft leben können, nur dann werden sich werdende Mütter und Väter leichter für ein behindertes Kind entscheiden und werden die Forderungen nach "Zwangsabtreibung" verstummen. Nur wenn das erreicht werden kann, ist eine Diskussion über "wertes" und "unwertes Leben" beendet.
Behinderte Kinder abtreiben?!
Leider stehen derzeit die Zeichen eher anders. Menschen mit Behinderung werden immer mehr als Kostenfaktor gesehen und das beflügelt die Diskussion über Abtreibung von behinderten Kindern. Da sind solche Schreckensbilder, wie im SZ-Magazin sicherlich nicht hilfreich.
Die Fotos von missgebildeten Föten als Kunst zu bezeichnen, empfinde ich in diesem Zusammenhang als völlig unangebracht, abgesehen davon, dass ich persönlich daran keinen künstlerischen Wert erkennen kann. Wer die Bilder in einer Kunstausstellung sieht, weiß unter welchen Aspekt er diese Bilder ansehen soll, als Kunstobjekte. Ich denke aber, dass das SZ-Magazin beim völlig unvorbereiteten Leser mit diesem Beitrag nicht zwei völlig unterschiedliche Ziele verfolgen kann. Zum einen dem Betrachter den künstlerischen Wert der Fotos näher zubringen und zum anderen mit diesen Fotos erreichen zu wollen, dass man sich mit der Frage von Zwangsabtreibung, auseinandersetzt.
Thilo Wimmer ist Diplom Sozialpädagoge. Er arbeitet seit Jahren mit behinderten Menschen.
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