Tagebuch einer Magisterkandidatin - Folge 2
Autor : Redaktion e-politik.de E-mail: redaktion@e-politik.de Artikel vom: 19.07.2002
Joyce Mariel erzählt in einer weiteren Episode welchen Tücken sie als Magisterarbeit-Schreibende begegnet - zum Beispiel dem ständigen "Was-anderes-tun".
To do or not to do
Leise plätschert das Meer an die Kaimauer. Der Mond scheint über Havanna und eine leichte Brise fährt über mein Gesicht. Da steht plötzlich dieser hübsche Fremde mit den markanten Zügen vor mir, lächelt mich an und sagt:" Alle Truppen des Warschauer Paktes außer die Rumäniens marschierten am 21. August 1968 in Prag ein, um die Reformaktivitäten der Dubcek-Ära gewaltsam ein für alle Mal zu beenden." Absurde Vorstellung? Nein, eher absurde Realität.Es gibt immer etwas anderes zu tun
Manche Dinge im Leben ändern sich leider nie. Ich kann mich zwar nicht mehr an meine Kindergartenzeit erinnern, aber mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit kann ich das eine sagen: Wenn es um die Erfüllung einer wichtigen Sache ging, habe ich damals schon erstmal alles andere gemacht, nur um mich vor der anstehenden Aufgabe zu drücken. Und das ist jetzt 20 Jahre später auch nicht anders.
Meine Wohnung blitzt und blinkt. Mein Fernsehkonsum verdoppelt sich. Die Spiegel-Ausgabe ist schon dienstags ausgelesen. Obwohl ich schon vorher alle Bücher gelesen habe, die ich in die Finger bekommen konnte, wurde das Quantum nach der Anmeldung zum Magister ungefähr dreimal so hoch. Ich entdecke alte Hobbies wieder und entwickle ungeahnten Eifer, sie wieder aufzunehmen. Und sportlich bin ich in Bestform. So wie es aussieht, kann ich am Tag der Abgabe meiner Magisterarbeit die Prüfungskommission in meine vorbildlich aufgeräumte Wohnung einladen, mit den Damen und Herren angeregt über Gewalt im deutschen Fernsehen diskutieren, anschließend eine Ausstellung mit meinen eigenen Fotos eröffnen, aus meinem ersten Kurzgeschichtenband vortragen und meine erste CD auf den Markt bringen ("Joyce´s shower songs" wär doch ein guter Titel, oder?). Ach ja, und danach könnte ich mit Joschka Fischer an einem Marathon teilnehmen. O.k., das letzte ist unrealistisch. So ein Außenminister hat einfach zu viel um die Ohren. Aber eine Selbsthilfegruppe könnte ich gründen. Es scheint nämlich anderen auch so zu gehen, wenn man sich unter Prüfungskandidaten so umhört.Man muss sich auch mal was gönnen
Ich habe zwei gute Freunde, Alexander und Reinhold. Der erste studiert Politikwissenschaft in Erlangen und war, seitdem ich ihn kenne, einer vom Typ Überflieger. Auslandsaufenthalte in Finnland, Ägypten, England und Italien; ein Studium auf der Überholspur und sein großer Ehrgeiz ließen Normalos wie mich eher an Minderwertigkeitskomplexen leiden. Er schreibt gerade seine Diplomarbeit über sozialen Wohnungsbau in England und scheint wie verwandelt zu sein. Super-Alex kämpft genauso gegen Unlust und nimmt sich nicht nur den täglichen Luxus einer ausgedehnten Zeitungslektüre heraus. Ich hoffe nur, dass ein Bild für mich herausspringt, wenn er seine große Leidenschaft Zeichnen wieder entdeckt. Der zweite, Reinhold, nimmt´s fränkisch gelassen. Obwohl er vor seinem ersten Jura-Staatsexamen an der Uni Würzburg steht, lebt er nach der Maxime "man muss sich auch was gönnen können". Womit er ja auch mehr als Recht hat. Nur mir gehen langsam die Begabungen aus. Und dann ist da auch noch das schlechte Gewissen, sich mal um die Magisterarbeit kümmern zu müssen.Ideenvermarktung als Nebenprodukt
Also, wenn diese Zeilen jemand liest, der gerade seine Abschlussarbeit schreibt und so sinnvoll mit seiner Zeit umgeht, dass er dabei noch Muße hat, sich selbst zu verwirklichen - ich hätte da so eine Idee. Wie wäre es denn, wenn der- oder diejenige nebenbei noch ein Buch schreibt? Das Werk könnte sich entweder mit der Vermarktung von Ideen beschäftigen, die neben Abschlussarbeiten entstanden. Alternativ dazu fände ich auch einen Ratgeber über sinnvolles Zeitmanagement während wichtigen Prüfungsterminen sehr passend. Ich könnte einstweilen mal wieder Klavier spielen (hab ich schon lang nicht mehr gemacht), eine Homepage basteln (wollt ich schon immer mal), Das Kapital, den Koran und die Thora lesen, Russisch lernen und einen Kung-Fu-Kurs belegen. Aber vorher fliege ich noch nach Kuba. Mein Spanisch hat während meiner Zeit in Prag doch sehr gelitten. Und mal sehen, was der geheimnisvolle Fremde sonst noch so spricht.Das Copyright des Bildes liegt bei Warner Bros.
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Weiterführende Links:
Tagebuch einer Magisterkandidatin - Folge 1
Leserkommentar
von
Wolfram
am 23.07.2002
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ich mache die gleichen Erfahrungen
... ich versuche auch gerade meine Magisterarbeit in den PC zu klopfen und immer wieder fällt mir etwas anderes ein, was ich machen könnte, müßte ... . Ich lese jede e-mail genau und beantworte sie gleich, freue mich über jeden Besuch und "zwänge" ihm/ihr ein langes Gespräch auf, rufe alle möglichen Freunde an (manchmal auch Leidensgenossen). Wenn der Abgabetermin naht, höre ich mich aber sagen: "Hätte ich mal eher angefangen intensiv zu arbeiten."
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