Völlig unvorbereitet
Die Anschläge trafen gleich mehrmals in das Herz Amerikas: Zwei Flugzeuge rasen gegen neun Uhr lokaler Zeit in das World Trade Center ? die ökonomische Kathedrale der Vereinigten Staaten sinkt kurze Zeit später in sich zusammen und existiert jetzt nicht mehr. Gleichzeitig stürzt eine Boeing 737 auf das Pentagon in Washington ? die militärische Schaltzentrale der einzig verbliebenen Supermacht der Welt brennt. Kurz darauf zerschellt eine weitere Passagiermaschine bei Pittsburgh, Pennsylvania ? geplant war wahrscheinlich eine weitere Attacke auf Washington oder auf Camp David, den Landsitz der amerikanischen Präsidenten.
Was am 11. September in Amerika geschieht, verändert die Welt. Unvorbereitet steht die Supermacht, die sich selbst als Beschützer der freiheitlich-demokratischen Weltordnung sieht, vor den symbolischen Trümmern ihrer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Macht. Unvorbereitet und hilflos stehen ihre Repräsentanten vor den Kameras der Welt und ringen nach den richtigen Worten.
Ein Medienspektakel
Denn die hastig freigeschaufelte Sendezeit auf allen Kanälen ist zu füllen. In New York, Tel Aviv und London sind die Straßen ?gespenstisch ruhig", so ein ARD-Korrespondent. Die Menschen seien wohl ?zu Hause vor ihren Fernsehern" und verfolgen die jüngsten Entwicklungen im Kreise der Lieben. Was sie sehen bekommen ? senderübergreifend ? ist das, was sie zu erwarten hatten: Spekulationen jeglicher Art:
Spekulationen über die Drahtzieher (wie weit stecken Osama Ibn Laden, die Volksfront zur Befreiung Palästinas, oder Arafats Fatah hinter den Anschlägen?). Spekulationen über die Anzahl der Toten (50.000 Menschen arbeiten tagtäglich im World Trade Center. Wie viele haben den Anschlag überlebt?). Spekulationen zu den Folgen (reagiert der amerikanische Präsident besonnen?). Doch, die Bilder und die Stimmen, die jedem zweitklassigen Spielberg-Petersen-Independence-Day-Movie entsprungen sein könnten, lassen aber die Suche nach den Gründen für diese Zerstörungsorgie vermissen.
Das Pentagon brennt ? tausendfach
Jeder, der diese Bilder zu sehen bekam und in den kommenden Tagen in einer Endlosschleife immer und immer wieder vorgeführt bekommt, kann sich der Wucht, der Brutalität und der Feigheit dieser Tat nicht verwehren. Diese Tat, die am 11. September die Pulsader der Weltwirtschaft, das Zentrum der Weltpolitik und den militärischen Zentrale der freien Welt traf, war nicht nur menschenverachtend und von niederen Instinkten gelenkt. Nein, sie fordert gleichwohl auf, zu überdenken.
Es reicht nicht, die rauchenden Trümmer des Pentagon tausendfach über die Bildschirme lodern zu lassen. Es reicht nicht, zu spekulieren, die breite Palette der Schuldigen gebetsmühlenartig abzuspulen, den Globus mit spitzen Fingern nach Schurkenstaaten zu durchforsten, vermeintliche Terroristennester zu benennen und sie in die Reihe der möglichen Kandidaten aufzunehmen. Es reicht auch nicht, Exklusivschuldige ausfindig zu machen und sie auf der Liste der Public Enemies einen Platz höher rücken zu lassen.
Es gibt sie, die Schurkenstaaten, die Osama Ibn Ladens, die Public Enemies. Sie sind ebenso ekelhaft wie diese Tat und die Welt steht unter Schock. Doch es gibt sie nicht ohne Grund, die Schuldigen. Und wenn der erste Hass auf diese Tat, die selbst nur auf Hass beruht, verflogen ist, spätestens dann muss sie anfangen: Denn die Suche nach den wahren Gründen für ihre Tat geht tiefer als die Suche nach den wahren Bildern.
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