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Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer

Der taube Visionär

Autor :  Christian Peters
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 16.04.2003

Zum 175. Todestag von Francisco de Goya. Christian Peters über den "Vater der Moderne", der als scharfäugiger Chronist die politischen Konvulsionen seiner Zeit dokumentiert hat.


Seine 14 "Pinturas Negras" ("Schwarze Gemälde") gehören zum Intensivsten und Verstörendsten, was die Malerei je hervorgebracht hat. Die direkt auf die Wand aufgebrachten Arbeiten markieren den Höhepunkt von Goyas künstlerischem Schaffen und geben gleichzeitig einen suggestiven Einblick in eine Innenwelt größter imaginativer Kraft - und Verbitterung.

Die "Quinta del Sordo"

Denn als Goya sich 1819 mit 72 Jahren in die "Quinta del Sordo", ein zweistöckiges Haus am Rande Madrids, mit seiner Gefährtin Leocadia Weiss zurückzieht, blickt er auf ein schöpferisch reiches aber auch von Schmerz und Enttäuschung geprägtes Leben zurück. Mit 46 Jahren durch eine geheimnisvolle Krankheit vollständig ertaubt, hat der spanische Maler die Zeit der Napoleonischen Kriege, die Besetzung Spaniens durch französische Truppen und die Hoffnung auf eine Liberalisierung der Gesellschaft durch die Ideen der Aufklärung hautnah miterlebt - und das Zerbrechen dieses Traums durch die Wiederherstellung der Monarchie.

Die fantasmagorischen "Schwarzen Gemälde" spiegeln die Hoffnungslosigkeit des Künstlers angesichts einer unterdrückten und brutalisierten Welt wider. Es sind surreale Visionen der Schattenseiten des Lebens wie auch seiner eigenen Dämonen. Goya hat sie an die Wände der "Quinta del Sordo" gemalt. So umgeben sie ihn. Saturn, der in blinder Gier den Körper seines Sohns in Stücke reißt, der Teufel der einen Hexensabbat anführt, Judith, die Holofernes erschlägt, Greise mit grotesk verzerrten, totenkopfähnlichen Gesichtern.

Der am 30. März 1746 in Fuendetodos geborene Francisco de Goya y Lucientes hat einen langen Weg zurückgelegt bis in die "Quinta del Sordo". Sind seine frühen Arbeiten doch dem dekorativen Rokkokostil und dem vorherrschenden Neoklassizismus verpflichtet. Noch weitgehend im Einklang mit den künstlerischen und sozialen Normen seiner Zeit macht der junge Künstler nach seinen Lehrjahren schnell Karriere. Er wird Portraitmaler der spanischen Aristokratie, 1780 erlangt er die Mitgliedschaft an der Königlichen Akademie von San Fernando, deren Direktor er 1795 wird. 1786 schließlich verleiht man Goya den Rang eines königlichen Malers, drei Jahre später wird er zum Hofmaler Karls IV ernannt - die höchste Position, die ein Maler im Reich der Bourbonen erreichen konnte.

"Los Caprichos"

Seine persönliche und künstlerische Situation gerät in Schieflage, als Goya 1792 durch eine rätselhafte Krankheit sein Gehör verliert. Durch die Isolation von der Umwelt wird die Introspektion zu einem entscheidenden Moment im Produktionsprozess: "Um die Einbildungskraft, die durch die Betrachtung meiner Übel abgetötet ist, zu beschäftigen ... widmete ich mich einem Satz von Studierzimmerbildern, bei denen es mir gelungen ist, Beobachtungen zu machen, die Auftragsarbeiten, wo Launen und Erfindungen keinen Platz haben, normalerweise nicht gestatten", schreibt er 1794 an Bernardo de Iriarte. Sinnfällig wird die Bedeutung, die die Fantasie und das Fantastische fortan für seine Arbeiten besitzen, in der berühmten Radierung "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer", bei der Goya sich selbst dargestellt hat, wie er schlafend vornüber gesunken auf seinem Pult von Eulen und Fledermäusen umflattert wird.

Frucht dieser Entwicklung ist der 1799 veröffentlichte Zyklus von Radierungen, die "Caprichos" ("Launen"). Hier erforscht Goya mit einmaliger Intensität und satirischer Kraft die psychologischen und sozialen Untiefen seiner Zeit: Gier, Ignoranz, Aberglauben, fehlerhafte Erziehung, Geiz, Gefallsucht werden allegorisch verfremdet demaskiert. Eingedenk kritischen Gehalts der Stiche ist Goya klug genug, zu betonen, dass die dargestellten Figuren keinesfalls lebenden Personen nachempfunden seien. Eine durchaus notwendige Vorsichtsmaßnahme, dokumentieren die "Caprichos" doch Goyas leidenschaftliche Opposition gegen die rückschrittliche soziale Wirklichkeit der spanischen absolutistischen Feudalgesellschaft und ihre religiöse Orientierung.

So entsteht in seinen Stichen eine phantastische, deformierte Welt, die bevölkert ist von Hexen, hybriden Wesen halb Mensch, halb Tier, betrunkenen Priestern, Müßiggängern, Verbrechern und korrupten Beamten - ein Zerrspiegelbild, das keine soziale Klasse ausspart.

"Los Desastres de la Guerra"

Mit diesem unbarmherzigen Blick auf die menschliche Natur und die soziale Wirklichkeit wird Goya zum radikalsten und konsequentesten Chronist eines Spaniens, das sich in größter Konfusion befindet. Von 1808 bis 1814 erleidet seine Heimat die Gräueltaten der französischen Armee im Unabhängigkeitskrieg. Gleichzeitig erlebt Spanien den verzweifelten Kampf der progressiven Kräfte, die auf den Sieg der Errungenschaften der französischen Revolution und der Aufklärung setzen.

Goya selbst erlebt in Madrid und in Zaragoza bei der Niederschlagung des Maiaufstands 1808 das Grauen des Krieges hautnah mit. Tief bewegt durch die Ereignisse beginnt er 1810 mit der Produktion einer Serie von 82 Stichen, die er 1815 abschließt: Die "Desastres de la Guerra" ("Schrecken des Krieges"), die erst lange nach seinem Tod 1864 veröffentlicht werden. Protagonisten der Darstellungen sind die gesichtslose französische Soldateska, die spanischen Guerrilleros und die fürchterlich leidende Zivilbevölkerung. Das Individuum hat ausgespielt. Mit äußerster Präzision und Sachlichkeit, kühnen Kompositionen und scharfen Hell-Dunkel-Kontrasten dokumentiert Goya zum ersten Mal überhaupt die abstoßende, grausame Fratze des Krieges. Statt mit heroischen Kriegern in antiken Gewändern wird der Betrachter mit schonungslos genauen Darstellungen von Raub, Vergewaltigung, Folter und Mord konfrontiert.

Auf der anderen Seite illustriert die Serie der "Desastres" den Kampf der Liberalen gegen die Absolutisten nach der Niederlage der Franzosen. Mit der Wiedereinsetzung von Ferdinand VII, dem Sohn Karls IV, auf den spanischen Thron, besiegeln die restaurativen Kräfte ihren Sieg und gehen zur brutalen Unterdrückung der progressiven Kräfte über. Goya denunziert die neue/alte herrschende Klasse in den Stichen der "Desastres" als Vampire, Katzen, Esel und Ungeheuer.

Exil

Zwar verzeiht man ihm, dass er unter der Herrschaft der Franzosen den neuen Herren diente und rehabilitiert ihn als Hofmaler. Aber sein Verhältnis zur Krone bleibt angespannt. Die Zensur wird intensiviert und 1815 muss sich Goya wegen seiner "Nackten Maja" vor der Inquisition verantworten.

Von da an zieht sich der Künstler mehr und mehr vom öffentlichen Leben zurück und widmet sich in der "Quinta del Sordo", frei von den Zwängen durch Auftraggeber, seinen wegweisenden Visionen des Unbewussten. 1824, nach einem gescheiterten Versuch der Wiederherstellung einer liberalen Regierung, bittet er den König, ins Exil nach Bordeaux gehen zu dürfen. Dort stirbt Francisco de Goya y Lucientes am 16. April 1828 mit 82 Jahren.

Seinen Drucken, Zeichnungen und Gemälden sollte außerhalb Spaniens nur langsam die allgemeine Anerkennung der Publikuns zuteil werden. Erst das Jahr 1900 sah eine umfassende Werkschau des Künstlers. Demgegenüber ist Goyas Einfluss auf die nachfolgenden Generationen moderner Maler kaum zu überschätzen. Von Delacroix über Monet bis Munch und Picasso - Sie alle sind ihm tief verpflichtet.

Vor allem vermitteln seine Arbeiten aber noch heute eine manchmal verstörende, jedoch immer präzise Vision der menschlichen Natur - mit all ihren Deformationen und Abgründen.

Bild: Francisco Goya: "El sueño de la razón produce monstruos" aus "Los Caprichos".


   

Weiterführende Links:
   Virtuelle Galerie der Drucke Goyas (Spanisch)



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