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e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 2102 )Der taube Visionär Autor : Christian Peters Zum 175. Todestag von Francisco de Goya. Christian Peters über den "Vater der Moderne", der als scharfäugiger Chronist die politischen Konvulsionen seiner Zeit dokumentiert hat. Seine 14 "Pinturas Negras" ("Schwarze Gemälde") gehören zum Intensivsten und Verstörendsten, was
die Malerei je hervorgebracht hat. Die direkt auf die Wand aufgebrachten Arbeiten
markieren den Höhepunkt von Goyas künstlerischem Schaffen und geben gleichzeitig
einen suggestiven Einblick in eine Innenwelt größter imaginativer Kraft - und
Verbitterung. Die "Quinta del Sordo" Denn als Goya sich 1819 mit 72 Jahren in die "Quinta del Sordo", ein zweistöckiges
Haus am Rande Madrids, mit seiner Gefährtin Leocadia Weiss zurückzieht, blickt
er auf ein schöpferisch reiches aber auch von Schmerz und Enttäuschung geprägtes
Leben zurück. Mit 46 Jahren durch eine geheimnisvolle Krankheit vollständig ertaubt,
hat der spanische Maler die Zeit der Napoleonischen Kriege, die Besetzung Spaniens
durch französische Truppen und die Hoffnung auf eine Liberalisierung der Gesellschaft
durch die Ideen der Aufklärung hautnah miterlebt - und das Zerbrechen dieses Traums
durch die Wiederherstellung der Monarchie. Die fantasmagorischen "Schwarzen Gemälde" spiegeln die Hoffnungslosigkeit des
Künstlers angesichts einer unterdrückten und brutalisierten Welt wider. Es sind
surreale Visionen der Schattenseiten des Lebens wie auch seiner eigenen Dämonen.
Goya hat sie an die Wände der "Quinta del Sordo" gemalt. So umgeben sie ihn.
Saturn, der in blinder Gier den Körper seines Sohns in Stücke reißt, der Teufel
der einen Hexensabbat anführt, Judith, die Holofernes erschlägt, Greise mit
grotesk verzerrten, totenkopfähnlichen Gesichtern. Der am 30. März 1746 in Fuendetodos geborene Francisco de Goya y Lucientes hat
einen langen Weg zurückgelegt bis in die "Quinta del Sordo". Sind seine frühen
Arbeiten doch dem dekorativen Rokkokostil und dem vorherrschenden Neoklassizismus
verpflichtet. Noch weitgehend im Einklang mit den künstlerischen und sozialen
Normen seiner Zeit macht der junge Künstler nach seinen Lehrjahren schnell Karriere.
Er wird Portraitmaler der spanischen Aristokratie, 1780 erlangt er die Mitgliedschaft
an der Königlichen Akademie von San Fernando, deren Direktor er 1795 wird. 1786 schließlich
verleiht man Goya den Rang eines königlichen Malers, drei Jahre später wird er zum
Hofmaler Karls IV ernannt - die höchste Position, die ein Maler im Reich der Bourbonen erreichen konnte. "Los Caprichos" Seine persönliche und künstlerische Situation gerät in Schieflage, als Goya 1792
durch eine rätselhafte Krankheit sein Gehör verliert. Durch die Isolation von der Umwelt
wird die Introspektion zu einem entscheidenden Moment im Produktionsprozess: "Um
die Einbildungskraft, die durch die Betrachtung meiner Übel abgetötet ist, zu
beschäftigen ... widmete ich mich einem Satz von Studierzimmerbildern, bei denen
es mir gelungen ist, Beobachtungen zu machen, die Auftragsarbeiten, wo Launen und
Erfindungen keinen Platz haben, normalerweise nicht gestatten", schreibt er 1794 an
Bernardo de Iriarte. Sinnfällig wird die Bedeutung, die die Fantasie und das
Fantastische fortan für seine Arbeiten besitzen, in der berühmten Radierung "Der
Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer", bei der Goya sich selbst dargestellt hat,
wie er schlafend vornüber gesunken auf seinem Pult von Eulen und Fledermäusen
umflattert wird. Frucht dieser Entwicklung ist der 1799 veröffentlichte Zyklus von Radierungen,
die "Caprichos" ("Launen"). Hier erforscht Goya mit einmaliger Intensität und
satirischer Kraft die psychologischen und sozialen Untiefen seiner Zeit: Gier,
Ignoranz, Aberglauben, fehlerhafte Erziehung, Geiz, Gefallsucht werden allegorisch
verfremdet demaskiert. Eingedenk kritischen Gehalts der Stiche ist Goya klug genug, zu
betonen, dass die dargestellten Figuren keinesfalls lebenden Personen nachempfunden seien.
Eine durchaus notwendige Vorsichtsmaßnahme, dokumentieren die "Caprichos" doch
Goyas leidenschaftliche Opposition gegen die rückschrittliche soziale Wirklichkeit
der spanischen absolutistischen Feudalgesellschaft und ihre religiöse Orientierung. So entsteht in seinen Stichen eine phantastische, deformierte Welt, die bevölkert
ist von Hexen, hybriden Wesen halb Mensch, halb Tier, betrunkenen Priestern,
Müßiggängern, Verbrechern und korrupten Beamten - ein Zerrspiegelbild, das keine
soziale Klasse ausspart. "Los Desastres de la Guerra" Mit diesem unbarmherzigen Blick auf die menschliche Natur und die soziale
Wirklichkeit wird Goya zum radikalsten und konsequentesten Chronist eines Spaniens,
das sich in größter Konfusion befindet. Von 1808 bis 1814 erleidet seine Heimat die
Gräueltaten der französischen Armee im Unabhängigkeitskrieg. Gleichzeitig erlebt
Spanien den verzweifelten Kampf der progressiven Kräfte, die auf den Sieg der
Errungenschaften der französischen Revolution und der Aufklärung setzen. Goya selbst erlebt in Madrid und in Zaragoza bei der Niederschlagung des
Maiaufstands 1808 das Grauen des Krieges hautnah mit. Tief bewegt durch die
Ereignisse beginnt er 1810 mit der Produktion einer Serie von 82 Stichen, die er
1815 abschließt: Die "Desastres de la Guerra" ("Schrecken des Krieges"), die erst
lange nach seinem Tod 1864 veröffentlicht werden. Protagonisten der Darstellungen
sind die gesichtslose französische Soldateska,
die spanischen Guerrilleros und die fürchterlich leidende Zivilbevölkerung. Das Individuum hat ausgespielt. Mit
äußerster Präzision und Sachlichkeit, kühnen Kompositionen und scharfen
Hell-Dunkel-Kontrasten dokumentiert Goya zum ersten Mal überhaupt die
abstoßende, grausame Fratze des Krieges. Statt mit heroischen Kriegern in antiken
Gewändern wird der Betrachter mit schonungslos genauen Darstellungen von Raub,
Vergewaltigung, Folter und Mord konfrontiert. Auf der anderen Seite illustriert die Serie der "Desastres" den Kampf der Liberalen
gegen die Absolutisten nach der Niederlage der Franzosen. Mit der Wiedereinsetzung
von Ferdinand VII, dem Sohn Karls IV, auf den spanischen Thron, besiegeln die restaurativen Kräfte ihren Sieg
und gehen zur brutalen Unterdrückung der progressiven Kräfte über. Goya denunziert
die neue/alte herrschende Klasse in den Stichen der "Desastres" als Vampire, Katzen,
Esel und Ungeheuer. Exil Zwar verzeiht man ihm, dass er unter der Herrschaft der Franzosen den neuen Herren
diente und rehabilitiert ihn als Hofmaler. Aber sein Verhältnis zur Krone
bleibt angespannt. Die Zensur wird intensiviert und 1815 muss sich Goya wegen
seiner "Nackten Maja" vor der Inquisition verantworten. Von da an zieht sich der Künstler mehr und mehr vom öffentlichen Leben zurück und widmet
sich in der "Quinta del Sordo", frei von den Zwängen durch Auftraggeber, seinen
wegweisenden Visionen des Unbewussten. 1824, nach einem gescheiterten Versuch der
Wiederherstellung einer liberalen Regierung, bittet er den König, ins Exil
nach Bordeaux gehen zu dürfen. Dort stirbt Francisco de Goya y Lucientes am
16. April 1828 mit 82 Jahren. Seinen Drucken, Zeichnungen und Gemälden sollte außerhalb Spaniens nur langsam die
allgemeine Anerkennung der Publikuns zuteil werden. Erst das Jahr 1900 sah eine umfassende Werkschau des
Künstlers. Demgegenüber ist Goyas Einfluss auf die nachfolgenden Generationen
moderner Maler kaum zu überschätzen. Von Delacroix über Monet bis Munch und Picasso - Sie alle sind ihm
tief verpflichtet. Vor allem vermitteln seine Arbeiten aber noch heute eine
manchmal verstörende, jedoch immer präzise Vision der menschlichen Natur - mit all
ihren Deformationen und Abgründen. Bild: Francisco Goya: "El sueño de la razón produce monstruos" aus "Los Caprichos".
E-mail: redaktion@e-politik.de
Weiterführende Links:
Virtuelle Galerie der Drucke Goyas (Spanisch): http://www.bne.es/Goya/hall_estampas.html
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