Dienstag, 11.11.2003 Werbung:
 
 


Afrika
Balkan
China / Russland
Europa
Internationales
Politik in Deutschland
Politik und Wirtschaft


Lehrredaktion
e-Demokratie
Medien
Extremismus im Netz


TV / Hörfunk-Tipps
Pop & Politik


Sport
Satire
Netz-Fundstücke



Außenpolitik der BRD
Europäische Union
Theorien
Organisationen


Antike
Neuzeit


Parteien
Institutionen


Aus den Hochschulen
Studienhilfen
Für Studenten







Über uns
Presse / Referenzen
Redaktion
Gästebuch
Impressum


Jobs@e-politik.de
Werbung
Partner





e-politik.de - Home  Brennpunkt  e-politik.de-Kontroverse   Kultur, Kultur, Kultur - Leitkultur?


Leitkultur - Ende oder Neuanfang der konservativen Volkspartei

Autor :  Roman Maruhn
E-mail: rmaruhn@e-politik.de
Artikel vom: 24.11.2000

Roman Maruhn vermutet hinter dem Begriff "Leitkultur" politisches Kalkül, das nicht nur für unser Land und die Gesellschaft, sondern auch für die CDU gefährlich werden kann.


Mir ist das schon klar. Viele - und auch ich - können das Wort Leitkultur nicht mehr hören. Die Motive dafür mögen höchst unterschiedlich sein. Ich persönlich mag dieses Wort einfach nicht. Mir wird schlecht, wenn ich es höre. Ich hasse es. Und das liegt sicherlich nicht an dem Begriff Kultur, den ich äußerst nützlich finde und der einen bei näherer Betrachtung in wilde Denkabenteuer stürzen kann. Nein, es ist der Bestandteil Leit, mit dem ich im höflichen Falle den Leithammel verbinde. Hammel sind für mich recht sympathische Tiere, auch wenn sie Führungspositionen bekleiden.

Der Fehler der CDU: Mißbrauch des Kulturbegriffes

Was ist Kultur? Wer konstituiert Kultur? Wann kann man von Kultur sprechen? Diese Fragen hätten sich auch die Leute stellen können, die in einer Phase des Kampfes der Gesellschaft gegen rechtsextremistische Gewalt nichts Besseres zu tun haben, als ein Wort in die Diskussion bringen, das polarisiert, das unsere Gesellschaft spalten soll. Kann das der Preis sein, den die CDU scheinbar zu zahlen bereit ist, um sich wieder als politische Kraft ins Spiel zu bringen, nachdem sie in ihrem Erscheinungsbild in der letzten Zeit eher einer kriminellen Organisation glich?
Kultur ist das Ergebnis des Zusammenlebens von Menschen und immer abhängig von der Perspektive, welchen Bereich dieses Zusammenlebens man nun betrachtet. Insofern ist auch die deutsche Kultur ein Ergebnis a posteriori des Zusammenspiels verschiedener Gruppenkulturen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Kultur konstituiert sich immer erst dann, wenn man versucht, sie festzuhalten oder sogar zu definieren. Und das ist gerade das Spannende am Kulturbegriff. Er ist ein Prozess und kann keine feststehende Norm, kein Planziel sein, das es zu erreichen gilt. Wer also Kultur zu fassen sucht, muss eine Bestandsaufnahme machen, die vielleicht schon im selben Moment überholt sein kann. Alles andere ist Kulturdiktatur.
Wer eine allgemein verbindliche Kultur festlegen und zum Maß der Gesellschaft machen will, befindet sich in äußerst schlechter Gesellschaft. Sozialistische Regime zum Beispiel versuchten, eine genuin sozialistische Kultur zu etablieren, die sich - neben der Diskriminierung dazu nicht kompatibler Kulturen - einfach meistens in äußerster Geschmacklosigkeit und Primitivität äußerte.

Einwanderungsland Deutschland? Eine Diskussion für die etwas dunkleren Momente des Lebens

Wo leben die Wortführer der Union eigentlich? Offensichtlich nicht mitten im Leben, wie das recht neue Motto der Partei belegen soll. Deutschland ist ein Einwanderungsland und zwar mehr als Italien oder auch andere EU-Staaten. Das ist eine Tatsache, die nicht wegdiskutiert und auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Deutschland wird in Zukunft auch immer mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland brauchen und zwar nicht nur gut gebildete Eliten, sondern auch ganz einfache und nicht ausgebildete Arbeitskräfte. Dass diese natürlich nicht auf einmal alle blond werden können oder perfekt die schon für den Deutschen schwierige Sprache beherrschen können, ist verständlich und verzeihlich. In der großen Mehrheit unterwerfen sich die in Deutschland lebenden Ausländer den Sitten und Gesetzen Deutschlands. Sie übernehmen den durchschnittlichen deutschen Lebensstil sogar recht gut. Selten sehe ich Wasserpfeife rauchende Männer oder an Feiertagen Gruppen von Ausländern, die einen Hammel schlachten und ihn dann auf dem Balkon über offenem Feuer braten. Und was stört es mich, dass sich einige türkische Damen mit Kopftüchern und Regenmänteln kleiden? Dadurch wird höchstens die Einschätzung ihrer Figur erschwert. Auch der türkische Fernsehsender TRT INT stellt für mich kein Problem dar. Bis darauf, dass der Ton der Beiträge meistens sehr schlecht abgemischt ist.
Was ist dann also das große Problem, das die CDU-Spitzen in Berlin mit der Unterwerfung von Ausländern unter ihre wie auch immer definierte "Leitkultur" haben?

Politisches Kalkül - Minderheiten benutzen, Mehrheiten gewinnen?

Alles, was jetzt folgt ist Spekulation. Aber anders kann ich mir nicht erklären, dass die zweitgrößte politische Kraft Deutschlands, die große konservative Volkspartei eine Gratwanderung unternimmt, die beim kleinsten Ausrutscher entweder die Partei selbst oder Deutschland und die Partei in die Tiefe stürzt. Schon jetzt handelt sich die Union massive Kritik von vielen Seiten der Gesellschaft ein. In der Partei selbst tauchen Sollbruchstellen auf.
Szenario: Kohlkrise - Die Partei kann sich trotz wechselnden Führungspersonals nicht aus der Diskussion befreien. In weniger als zwei Jahren finden Bundestagswahlen statt. Dynamisches Regierungshandeln lässt die Opposition noch stärker in die Defensive geraten. Die Regierungskoalition erobert Zielgruppen, die zuvor eher der Union oder auch der FDP nahestanden.
Strategen ohne Gewissen empfehlen den Einsatz einer gefährlichen Waffe. Nach dem Muster von Roland Kochs Hessen-Wahlkampf wird aus der deutschen Gesellschaft wieder eine Minderheitengruppe herausgegriffen, die weitgehend keine politische Mitsprache hat. Das Motto lautet: Es ist ja nicht schlimm, wenn wir denen schaden, weil uns können sie ja nichts anhaben. Wer nicht wählen darf, kann die Union auch nicht durch Nicht-Wahl bestrafen. So wird die "Leitkultur"-Debatte losgetreten. Und die gute CDU, Hort der Konservativen, kann wiederum die alten Fragen an die SPD stellen: Wie haltet ihr es denn mit dem Vaterland? Seid ihr wirklich die Regierung, die sich für die Nation einsetzt? Was sind euch denn die Deutschen wert? Wie sieht denn eure Wertehierarchie aus? Kann das deutsche Volk euch vertrauen? Ein einfaches, bis jetzt erfolgreiches, aber auch gutes Rezept? Eigentlich darf so etwas heute nicht mehr funktionieren. Deutschland ist stark in die EU integriert, ein enger Partner der Vereinigten Staaten und hält zum Rest der Welt eigentlich auch gut freundschaftliche Kontakte. Und dann sollen wieder Prioritäten gesetzt werden? Deutschland zuerst? Hier beginnt es wirklich heikel zu werden. Ich denke, die Union versucht die Regierung in eine Vaterlandsdebatte zu drängen, in der die SPD traditionell, historisch und ideologisch auf dem Spielfeld des Nationalismus eigentlich nur eine Niederlage einstecken kann.

Die neue Zeit und das Ende der nationalen Generationen

55 Jahre sind seit Kriegsende vergangen. Viele haben versucht, einen Schlussstrich zu ziehen. Aber auch die Jahre von 1933 bis 1945 sind für die Deutschen identitätsstiftend. In dem Sinn, dass so etwas nie wieder passieren darf. Die Erkenntnis, dass die militärische Niederlage im Zweiten Weltkrieg auch die Befreiung von einer Diktatur war, ist für die Deutschen noch nicht allgemein verbindlich. In der Bundesrepublik sind aber Menschen herangewachsen, die im Urlaub, in der Arbeit und im Konsum nicht nur in Deutschland, sondern in der Welt zu Hause sind und sich dort auch wohl fühlen. Der Wohlstand, den uns der Kontakt mit dem Ausland bringt, ist offensichtlich. Eine nationale Debatte ist nicht nur gefährlich, sondern sie ist ganz einfach uninteressant. Das belegen auch die Reaktionen auf das Schlagwort "Leitkultur": Pauschal wird davor gewarnt, aber die meisten Menschen wissen damit auch nichts anzufangen. Ab und an wird noch nachgefragt, was das denn überhaupt sein soll.
Fazit: Das Unwort der CDU hat eher eine philosophische Diskussion losgetreten, die sich - aufgrund fehlender Erklärungen und Präzisierungen - im Kreise dreht und die Masse der Menschen gar nicht erreicht. Die Strategen der Union waren zu intellektuell.

Glücklicherweise veröffentlicht Helmut Kohl sein Tagebuch. Jetzt hat Deutschland wieder ein großes Thema, bei dem das ganze Volk mitreden darf.


   

Weiterführende Links:
   Die (Leit)Kultur-Kontroverse bei e-politik.de



Leserkommentar
Momentan kein Leserkommentar
eigenen Kommentar abgeben ]


Artikel drucken

Artikel für Palm

Artikel mailen

Suche: (Hilfe)

 

Netzreportagen
Deutschland
Europa
USA
Andere Länder
Organisationen
Medien
Gesellschaft
Studium
LINKS der WOCHE



Ochsentour

Kohl-Tagebücher

Politischer Film
The Long Walk Home
rezensiert von Maria Pinzger

Politisches Buch
Sidney Blumenthal: The Clinton Wars
rezensiert von Michael Kolkmann

Kabarett
Gerhard Polt - Das Dossier
von C. von Wagner

Für Studenten



Name ist freiwillig !


 

© 2003 - Konzept, Gestaltung und Redaktion: e-politik.de - Der Seiteninhalt ist ausschließlich zur persönlichen Information bestimmt. Weitergabe an Dritte nur nach schriftlicher Genehmigung.