Tagebuch einer Magisterkandidatin Folge 17
Autor : e-politik.de Gastautor E-mail: redaktion@e-politik.de Artikel vom: 17.12.2002
Ist an Aberglauben was dran? Und kann man sein Glück - nicht nur am Ende des Studiums - beeinflussen? Fragen von Joyce Mariel.
O Fortuna!
Eine repräsentative Umfrage in meinem Bekanntenkreis hat erstaunliche Ergebnisse zutage gefördert. Angela studiert Literaturwissenschaften und Ethnologie in Berlin, um später einmal Drehbuchautorin zu werden. Tina weiss wahrscheinlich nicht mehr, warum sie studiert. Thomas, mein Freund, studiert für den Gehaltszettel und richtet sein Studium auf seine immensen Vorkenntnisse im Fernsehbereich ein, weswegen er auch immer noch unverständlicherweise Berührungsängste mit Bibliotheken hat.
Hmm, und warum studiere ich eigentlich?
Sprachförderungsunterricht bildet
Für mich war eigentlich schon in der fünften Klasse klar, dass ich später mal Abitur machen und studieren werde. Ich hab mich an der Uni eingeschrieben, weil ich für einen Ausbildungsberuf nicht getaugt hätte - zwei linke Hände und grausam schlechte Noten in Mathematik.
Ich hatte mich für Politik entschieden, weil ich im Sozialkundeunterricht begierig alle Informationen unseres Lehrers aufgesogen hatte. Und das, obwohl ich mich sonst eher zu den Revoluzzern in unserer Klasse gezählt hätte, für die Aufmerksamkeit im Unterricht nicht gerade zu den Primärtugenden gehörte. Und jetzt kurz vor Schluss meines Studiums muss ich sagen, ich hab eine Menge brauchbare Sachen gelernt.
Da wäre zum Beispiel der Sprachförderungsunterricht in Amerikanistik. Bevor man anfängt, Amerikanistik zu studieren, muss man den "Test of English as a foreign language (TOEFL)" absolvieren, und als ich Erstsemestler war, lag die Messlatte bei 80%. Wer im TOEFL mehr als 80% aller Punkte erreichte, wurde gleich ins Studium entlassen. Diejenigen, die zwischen 60 und 80% lagen, wurden in einen Sprachförderungskurs geschickt.
Unnötig zu erwähnen, dass meine Prüfungsergebnisse 79,5% aller möglichen Punkte betrugen.
Aber der Kurs war sehr interessant, denn wir lernten unter anderem amerikanische Redewendungen wie "trouble comes in threes". Und dieser Spruch bewahrheitet sich zurzeit.
Aberglaube
Alles begann, als ich letzte Woche aus der Dusche fiel und mir dabei mein linkes Schienbein böse verletzte. Ein paar Tage später wurde ich geblitzt, als ich eine rote Ampel überfuhr. Ironie des Schicksals: Die Blitzattacke war auf dem Weg, den ich seit mittlerweile fünf Jahren fast täglich zur politikwissenschaftlichen Fakultät mit den unterschiedlichsten Verkehrsmitteln zurücklege. Ich sollte also den "Starenkasten", wie das Blitzgerät im verkehrsplanerischen Fachjargon heisst, und dort gut sichtbar angebracht ist, nun mittlerweile eigentlich kennen.
Jetzt sitze ich zuhause, bearbeite meine Prüfungsthemen und habe ein ungutes Gefühl. Trouble Nummer eins und zwei sind schon eingetreten, was kommt also als nächstes? Ich versuche ja schon, alle möglichen Unglücksfälle so gut wie es geht zu vermeiden. Dumm nur, dass ich, wenn ich konsequent wäre, nicht zur Prüfung nächsten Samstag gehen sollte, denn Klausuren haben bekanntermaßen auch viel mit Glück zu tun. Oder ist Unglück drei schon eingetreten, weil ich trotz akademischer Bildung immer noch albern abergläubisch bin? Denn schließlich habe ich in politischer Ideengeschichte detailliert gelernt, wie in der Renaissance das Individuum zum Zentrum der Welt wurde, das seine Bestimmung selbst in der Hand hat und sich gegen die Unwidrigkeiten, die das Schicksal mit sich bringt, zumindest teilweise erwehren kann.
Und wenn das stimmt, warum wurde meine Freundin Carmen dann während ihrer Magisterarbeit von Computerproblemen, Zahnproblemen und wissenschaftlichen Mitarbeitern regelrecht heimgesucht? Siehste. "Ich kenne diesen Herrn Murphy zwar nicht, aber irgendwie ist er mir unsympathisch." Zitat Carmen. Noch Fragen?
Das größte Unglück
Alex, mein Kumpel aus Erlangen unterstützt übrigens meinen Aberglauben. Er hat nämlich letztens einen Kaminkehrer gesehen und ist jetzt guter Dinge für seine bevorstehende Diplomprüfung. Er hält es übrigens für das größte Unglück, dass ein Studium so enden muss. Und irgendwie hat er Recht. An die Ahnungslosen unter euch: es geht nicht um die Tatsache, dass eben noch Prüfungen bevorstehen, bis man sich Diplompolitologe oder Magister nennen darf. Es geht hier um die Art, wie es endet.
Dass man spät nachts noch dümmlich brabbelnd durch seine Wohnung tigert und sich zum zehnten Mal halblaut Stichworte wie "Gewaltverzicht, Einrichtung von ständigen Vertretungen deshalb de facto Anerkennung der DDR, Achtung der territorialen Integrität" vorsagt. Und dann doch den entscheidenden Punkt vergisst.
Dass die Nachbarn, die die nächtlichen Lernaktionen als Schatten vor dem Fenster beobachten konnten, einen auf dem Flur komisch ansehen.
Dass man nicht mehr angerufen wird, weil die Clique es leid ist, sich den Mund fusslig zu reden, nur um dann doch versetzt zu werden.
Dass man wie ein Besessener arbeitet und die Zeit dann doch nicht reicht.
Dass eine Simpsons-Episode an den Anfang des Kalten Kriegs erinnert.
Und dass man spät abends auf einem Stuhl in der Ecke plötzlich seine Professorin sieht.
Glücksbringer
Ich glaube, in einer solchen Situation werden auch die verschiedenartigsten Glücksbringer während der eigentlichen Prüfung verständlich. Und ich habe dieses Mal einen ganz besonderen.
Als ich mich mal vor meine Wohnungstür gewagt hatte, traf ich auf dem Flur meine kleine Nachbarin Magdalena, die, mittlerweile dreijährig, stolze Besitzerin eines Spielzeug - Kaufladens ist. Ich bat sie zu warten und schenkte ihr eine kleine Kosmetikprobe für ihr florierendes Gewerbe. Sie bedankte sich artig, kramte in ihrer Tasche und förderte einen Kieselstein und eine Feder zutage, überlegte kurz und verehrte mir dann die Feder. Ich erklärte ihr, dass ihr Geschenk mir für meine Abschlussprüfung Glück bringen wird. Lena blickte mich verständnislos an und fragte schließlich: "Was ist Glück?"
Es scheint fast, dass die Antwort auf diese Frage noch ganze Generationen von Erdenbewohnern beschäftigen wird. Einstweilen versuchen wir alle weiter, die große Unbekannte Glück irgendwie zu beeinflussen.
Tagebuch einer Magisterkandidatin Folge 16
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Leserkommentar
von
Angelika
am 02.01.2003
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Das haben wir alle mal mitgemacht
Hallo Joyce,
was ist los mit Dir, so kenne ich Dich ja gar nicht. Die vielen Klausuren sollten Dich doch gelehrt haben, dass, wenn Du erst einmal in der Prüfung sitzt, alles wie von selbst oder gar nicht geht. Also: warum sich Sorgen machen? Relaxe lieber. Auch mit Lücken kann man brillieren. Aber zum Schluss noch eine kleine Korrektur: Unwidrigkeiten gibt es nicht, genauso wenig wie es Unkosten gibt. Ich drücke Dir ganz fest die Daumen: Aber Du schaffst es schon.
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