Deutschland hat gewählt. Was, das lässt sich, mit absoluter Sicherheit erst am Montag sagen. Denn das vorläufige amtliche Endergebnis steht am heutigen Abend noch aus. Es ist zu knapp. Trotzdem lässt sich bereits jetzt ein Schluss ziehen: Gepunktet haben bei dieser Wahl zwei Parteien, die nicht nur auf Personalisierung, sondern mehr als die anderen auf Sachthemen gesetzt haben. Das sind einerseits die Grünen, andererseits CDU und CSU.
Die Mischung macht's
Anders als die SPD konnte und wollte die Union den Wahlkampf nicht auf ihren Spitzenkandidaten Edmund Stoiber ausrichten. Dazu hat dieser zu wenige Sympathien. Gerade deswegen hat die Union im Wahlkampf auf Themen setzen müssen. Im Mittelpunkt stand ein Themenwahlkampf "Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik" auf Stoiber zugeschnitten.
Die Grünen dagegen hätten durchaus à la Schröder-SPD alles auf ihren Star-Außenminister setzten können. Schließlich erfreut sich dieser astronomisch hoher Sympathiewerte von bis zu 80 Prozent. Und gewiss hat die Partei es verstanden, von der Popularität ihres Spitzenkandidaten zu profitieren. Doch eine noch stärkere Personalisierung war und ist mit der einst zerstrittenen Partei nicht zu machen. Das hat vor allem der obergrüne Heilsbringer selber verstanden. Deswegen haben die Grünen erfolgreich gemischt: Ein bisschen Joschka Fischer, ein bisschen Reformthemen: Ökologie, Modernisierung, Außenpolitik. Eine Mischung, die der Wähler ebenso zu schätzen wusste, wie jene, die CDU/CSU vorgelegt haben.
... oder eben auch nicht
Diese Mischung haben die anderen Parteien im Wahlkampf nicht hinbekommen. Der PDS fehlte es nach Gysis Rücktritt an allem: Am glaubwürdigen Spitzenkandidatn ebenso wie an überzeugenden Inhalten.
Ähnlich die FDP, die weder Inhalte noch geeignetes Personal überzeugend verkaufen konnte. Dabei hat die Partei teilweise durchaus überzeugende Konzepte - allein es fehlt den Liberalen an Glaubwürdigkeit. Das gilt besonders für die Punkte, in denen sich Grüne und FDP programmatisch ähneln. Warum, mag sich der Wähler beispielsweise gefragt haben, sollte die FDP die Agrarwende, die die Partei seit Jahrzehnten fordert, dieses mal gegen die Agrarlobby in der Union durchsetzen? Am Ende wurde bei der FDP beides - sowohl das Thema als auch das Personal - negativ besetzt. Durch Jürgen W. Möllemanns unsägliches Flugblatt und seiner versuchten Neuauflage der Antisemitismusdebatte.
Die Rechnung der SPD ist nicht aufgegangen. Am Anfang versuchte die Partei nur mit Personalisierung zu punkten. "Ich oder er", war Schröders instinktive Reaktion auf die Kandidatur Edmund Stoibers. Erst als das nicht aufging, besonnen sich die Kampa-Strategen wieder auf Themen. Restlos überzeugen konnten die eilig zum Patentrezept hochgejubelten Hartz-Pläne zur Reform der Arbeitsämter aber nicht. Ein wenig gepunktet hat die Kanzler-Partei schließlich nur noch mit Reaktionen auf äußere Ereignisse. Doch weder die Flut noch die Irakdebatte konnten die SPD davor bewahren, Stimmeneinbußen hinzunehmen.
Also doch keine Amerikanisierung?
Was also ist aus der vielbeschworenen Amerikanisierung unserer Politik geworden? Alles nur ein Hirngespinst? Klar ist, obwohl ein Trend zu mehr Personalisierung im bundesdeutschen Wahlkampf eindeutig erkennbar ist - ohne Themen kann keine Partei punkten. Genauso funktioniert aber Politik in Amerika. Nicht die Zuspitzung auf eine Person ist entscheidend, sondern die Identifikation der Führungspersonen mit Themen und Kompetenzen: Kein Clinton ohne Wirtschaftskompetenz, kein Bush Jr. ohne "moralische Erneuerung". Und das gilt auch für Deutschland.
Die Kleinen bleiben Könige
Noch eines ist erkennbar: Diese Bundestagswahl wird nicht von den großen Parteien entschieden. Wahlentscheidend ist das Ergebnis der kleinen. Die PDS kommt nicht wieder ins Parlament. Die FDP hat nicht genug gepunktet, sodass es für CDU/CSU und FDP nicht reicht. Und eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition verdankt die SPD fast nur dem Zugewinn, den die grüne Partei machen konnte.
Noch bleibt abzuwarten, was das endgültige Wahlergebnis bringt. Klar ist: Am Ende werden wohl die Überhangmandate im Osten entscheiden. Und die sprechen im Augenblick, dank Flut, für die SPD und Rot-Grün. Auf eine Katastrophe kann und darf sich aber keine Partei verlassen. Deshalb ist auch klar: Die Themen, welche die Menschen bewegen, sind Probleme. Probleme, die egal unter welcher Regierung, so schnell wie möglich gelöst werden müssen.