Zwei Völker - ein Land
Autor : Florian Baumann E-mail: redaktion@e-politik.de Artikel vom: 03.08.2002
Seit nunmehr über 22 Monaten wütet die so genannte zweite Intifada und verursacht viele Opfer auf beiden Seiten. Florian Baumann sprach mit Nadav Morag von der Universität Tel Aviv über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.
e-politik: Der Vorschlag, Familienangehörige palästinensischer Attentäter zu verhaften, wurde vom juristischen Berater der israelischen Regierung, Eljakim Rubinstein, vorerst gestoppt. Kann ein Selbstmordattentäter, der sich selbst als Märtyrer sieht, durch die Verhaftung seiner Familie eingeschüchtert werden?
Morag: Rubinstein sprach sich nicht generell dagegen aus, dass Familienangehörige von Attentäter in den Gaza-Streifen abgeschoben werden. Vielmehr sprach er davon, dass nur Familienangehörige, die direkt in die Anschläge verwickelt waren, die also mit anderen Worten Kenntnis von den Plänen hatten oder in irgendeiner Form an der Planung beteiligt waren, als mögliche Kandidaten für die Abschiebung in Frage kommen. Darin sieht er auch keinen Verstoß gegen die Genfer Konventionen, da die betroffenen Personen nicht verbannt, sondern nur in einen anderen Teil ihres Landes umgesiedelt werden. Zum Vorschlag selbst: Israel versuchte effektivere Strategien zur Abwehr der Bedrohung durch brutale Selbstmordanschläge zu finden. Heutzutage wissen die Attentäter, dass nach den Anschlägen für ihre Angehörigen gesorgt wird. Das Geld stammt von Saddam Hussein, von der palästinensischen Autonomiebehörde und von der jeweiligen Gruppierung, die ihn beauftragt hat - Hamas, Dschihad, Fatah. Das heißt, dass als Folge der Attentate eine völlig neue Klasse, die der "nouveaux riches" Palästinenser, entstanden ist. Ganz abgesehen vom Ansehen, das die Familie in der Gesellschaft genießt oder der Glaube an den höheren Status im Himmel, geebnet durch den Märtyrer. Israel verfolgt die Politik, die Heime der Terroristen zu zerstören, um potenzielle Terroristen davon zu überzeugen, dass sie durch ihren Tod nur Leid über ihre Familien bringen. Diese Taktik war nicht sehr erfolgreich, da die zerstörten Häuser innerhalb weniger Tage von der palästinensischen Autonomie-Behörde wieder aufgebaut wurden. Keine Frage, die Umsiedlung in den Gaza-Streifen, ist eine Kollektivstrafe, und nicht sonderlich fair. Aber die oberste moralische Verantwortlichkeit der israelischen Regierung liegt darin, ihre eigenen Bürger zu schützen, selbst wenn das bedeutet, die Menschenrechte anderer einzuschränken.
e-politik: Die Israelische Regierung hat beschlossen, einen Zaun zu errichten, um Attentäter abzuhalten. Glauben Sie, dass diese Barriere stark genug ist, um palästinensische Selbstmordattentäter aufzuhalten?
Morag: Der Zaun wird deshalb einen positiven Effekt haben, da es momentan sehr schwierig ist, die Infiltration nach Israel zu verhindern. Das Westjordanland liegt in der Nähe vieler israelischer Ballungszentren. Im Falle des Gaza-Streifens, wo der Zaun schon besteht, wurde das Eindringen nach Israel bereits erschwert. Natürlich erfüllt der Zaun seine Aufgabe nur, wenn zusätzlich Armee- und Polizeipatrouillen eingesetzt werden. Ein 100%ges Ergebnis zu erwarten wäre allerdings unrealistisch.
e-politik: Die Führer der Hamas haben ein Ende der Selbstmordattentate angekündigt, wenn die israelische Armee sich aus dem Westjordanland zurückzieht. Die Antwort darauf war der Angriff auf Gaza-Stadt vom 22. Juli bei dem neben dem Hamas-Führer Salah Schehade auch über 14 Zivilisten getötet wurden. Können diese "Kolateralschäden" entschuldigt werden?
Morag: Zunächst möchte ich vorschlagen, dass die Presse nicht alles glauben sollte, was die Hamas oder Arafat verlauten lassen. Was soll die Ankündigung eines temporären Waffenstillstands im Falle eines israelischen Rückzugs? Glauben sie wirklich, dass die solch einen Waffenstillstand respektieren? Sie haben es vorher nie getan, trotz aller Versprechen. Warum sollten sie es also jetzt? Wenn Israel sich zurückzieht, was ist dann mit den Fatah Terroristen, der PFLP, dem Islamischen Dschihad, und ähnlichen? Keiner von denen ist an die so genannten Versprechen der Hamas gebunden. Was für einen Unterschied macht es für unsere Bürger, ob die Attentäter von Hamas sind, oder von einer anderen Organisation? Israel kann es sich nicht erlauben, mit dem Leben seiner Bürger zu spielen - es handelt sich nicht um Schach.
Wir müssen unsere Position im Westjordanland solange aufrechterhalten bis jemand anders den Job der israelischen Armee übernehmen kann. Deren Aufgabe liegt darin, die Städte des Westjordanlands davor zu bewahren, zu Brutstätten des Terrors zu werden. Darüber hinaus setzt Hamas seine Aktivitäten fort, sodass diese Versprechen keinen Wert haben.
Zum Tod der Zivilisten im Zusammenhang mit dem Angriff auf Schehade: Wäre Schehade nicht ermordet worden, wären in nächster Zukunft noch mehr Israelis umgekommen. Sein Tod war somit absolut notwendig. Das gilt nicht für den Tod unschuldiger Zivilisten, insbesondere der von Kindern. Kolateralschäden können nicht wirklich gerechtfertigt werden. Aber beachten Sie, dass sich diese Terroristen zum eigenen Schutz unter die Zivilbevölkerung mischen. Sie gehen davon aus, dass Israel es nicht riskieren würde, Zivilisten zu verletzten um sie festzunehmen. Von der moralischen Seite betrachtet ist zu bedenken, dass diese Terroristen bewusst das Leben unschuldiger Zivilisten gefährden indem sie ihre Häuser, Hauptquartiere und Bombenwerkstätten mitten in Wohngebiete setzen.
e-politik: Yassir Arafat ist schon seit langer Zeit Chef der palästinensischen Autonomie-Behörde. Wieviel Macht besitzt er noch? Ist er stark genug, die zweite Intifada zu beenden oder gibt es jemanden, der seine Nachfolge antreten könnte?
Morag: Arafat wollte mit dieser so genannten Intifada die Illusion erzeugen, dass er nicht die Kontrolle über die Ereignisse hat, sondern dass es sich um den Willen des palästinensischen Volkes handelt. Obwohl der Begriff unglücklich gewählt ist, da es sich bei der eigentlichen Intifada, die im Dezember 1987 begann, anders als bei der heutigen, um einen Volksaufstand handelte.
Ich glaube, es ist offensichtlich, dass Arafats Position im Laufe der Zeit schwächer geworden ist. Aber er ist intelligent und wenn sich die Gelegenheit bietet, wird er sich möglicherweise seine Macht wieder herstellen. Die Frage ist, ob es noch jemanden gibt, der ausreichend Vertrauen in Arafat hat und ihm diese Chance gibt. Ich weiß nicht, wer Arafat ersetzen könnte, aber es ist ein Indiz dafür, wie unverantwortlich er regiert und dass es keinen Mechanismus gibt einen Nachfolger zu bestimmen. Zudem macht es seine Art des "divide-and-rule" für jeden schwierig, in seine Fußstapfen zu treten.
e-politik: Würde Arafats Ablösung die Situation verändern?
Morag: Wahrscheinlich würde es über kurz oder lang die Lage verbessern. Die moderaten und verantwortungsbewussten Kräfte innerhalb der palästinensischen Gesellschaft würden sich nicht länger einschüchtern lassen. Heute wagt es niemand Arafat offen herauszufordern.
e-politik: Ist unter den momentanen Bedingungen ein dauerhafter Friede zwischen Palästinensern und Israelis vorstellbar?
Morag: Unter den momentanen Bedingungen? Nein! Es gibt die Möglichkeit einen "modus vivendi" zu finden. Die meisten Palästinenser möchten die Möglichkeit haben in Israel zu arbeiten und ein geordnetes und erfolgreiches Leben führen. Das kann kurzfristig durch eine Kombination aus militärischer Kontrolle durch die israelische Armee, mehr palästinensische Arbeiter in Israel und die Hilfe und den Wiederaufbau der Infrastruktur durch ausländische NGO's erreicht werden.
e-politik: Kann die Gründung eines Palästinenser-Staates der Motor des Friedensprozesses sein?
Morag: Keine Frage. Ohne einen Staat Palästina am Ende, wird es keinen Friedensprozess geben. Aber, dieser Staat muss eine Folge des Prozesses sein, nicht eine Bedingung.
e-politik: Welche Lösung kann es für die Stadt Jerusalem geben, in der die Heiligtümer zweier Weltreligionen zu finden sind?
Morag: Lassen Sie mich Ihnen etwas über Jerusalem erzählen. Anders als die Eindrücke, die man aus der Berichterstattung der ausländischen Presse gewinnen kann ist der palästinensische Teil Jerusalems der sicherste und ruhigste Ort für Israelis.
Die Terroristen kommen von außerhalb, nicht aus den palästinensischen Stadtteilen.
Die Palästinenser Jerusalems wollen nicht unter der Verwaltung der Autonomie-Behörde
leben, da sich dadurch ihre wirtschaftliche Situation verschlechtern würde. Außerdem wären sie vom Wohlwollen palästinensischer Gruppierungen abhängig, die in der Autonomie-Behörde das Sagen haben. Wahrscheinlich würden sie anders denken, wenn es einen demokratischen, geordneten Palästinenser-Staat gäbe. Zum Tempelberg: Israel respektiert das Recht des muslimischen Waqfs, aber geteilte Souveränität ist undenkbar.
Copyright des Bildes: 1998, The State of Israel: Ben-Yahuda-Straße
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