Meine Damen und Herren,
für das Europa des 21. Jahrhunderts eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik notwendig und eine der zentralen Gestaltungsaufgaben für die Europäische Union in der nahen Zukunft.
Eigenständige europäische Handlungsfähigkeit in diesem Bereich ist Voraussetzung
1. für ein Europa, das seine Interessen verfolgen kann und das seiner Verantwortung für die internationale Friedenssicherung gerecht wird,
2. für eine zeitgemäße Sicherung des Friedens.
Friedenssicherung ist eine umfassende Herausforderung. Der Beitrag der Sicherheitspolitik baut auf drei Pfeiler:
1. Die Fähigkeit zum gemeinsamen und wirksamen Schutz aller Bündnispartner und ihrer Staatsgebiete, in denen sich Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie, Marktwirtschaft und soziale Verantwortung entfalten.
2. Die Fähigkeit, Vertrauen zu bilden, Rüstungskontrolle und Abrüstung voranzubringen und im Interesse gemeinsamer Sicherheit zu kooperieren, wie zum Beispiel im NATO-Russland-Rat, in der NATO-Ukraine-Kommission, im Euroatlantischen Partnerschaftsrat, im Rahmen von PfP oder in der OSZE.
3. Die Fähigkeit zu wirksamer Prävention und Reaktion gegenüber Krisen.
Unsere Anstrengungen zur Stärkung der europäischen Rolle im politischen und militärischen Krisenmanagement werden von drei Prinzipien geleitet:
Erstens: Wir wollen die transatlantische Bindung weiter stärken. Sie bleibt auch in Zukunft die entscheidende Korsettstange einer Politik, die Frieden, Sicherheit und Demokratie im gesamten euro-atlantischen Raum anstrebt.
Es wäre eine Illusion und ein gefährlicher Irrglaube anzunehmen, ein handlungsfähigeres Europa würde die Bedeutung der neuen NATO und unserer amerikanischen Verbündeten für die europäische Sicherheit reduzieren.
Zweitens:. Wir wollen die europäische Handlungsfähigkeit stärken, sowohl innerhalb der NATO als auch im Rahmen der Europäischen Union.
Die Herausbildung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität, also eines europäischen Pfeilers im Bündnis, genauso wie die politische und strukturelle Ausgestaltung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Teil der europäischen Integration sind zwei Seiten einer Medaille.
Drittens: Wir wollen die Kohärenz unserer Sicherheitspolitik erhalten. Frieden, Stabilität und Sicherheit werden nicht durch konkurrierende, sondern einander ergänzende und stützende Ansätze erreicht.
Die komplexen Herausforderungen und Aufgaben in der heutigen Weit erfordern einen konzeptionellen Gesamtansatz und den Beitrag und das Zusammenwirken aller für die euro-atlantische Sicherheit relevanten Organisationen.
Die letzten zwölf Monate haben uns in der sicherheitspolitischen Integration Europas enorm vorangebracht. NATO, WEU und EU haben daran ihren Anteil:
• Die NATO hat die Vereinbarungen mit der WEU für deren Rückgriff auf Fähigkeiten und Mittel der Allianz finalisiert. Die NATO hat durch ihr neues Strategisches Konzept und die Entscheidungen auf dem Gipfel in Washington auch wichtige Voraussetzungen für künftige EU-geführte Operationen geschaffen, indem auch die EU auf NATO-Kapazitäten zurückgreifen kann. Dieses sogenannte "Berlin plus"-Paket ist bedeutend.
Schließlich hat die NATO mit der Defense Capabilities Initiative die Schlüsselbereiche identifiziert, in denen gerade auch die Europäer ihre militärischen Fähigkeiten verbessern müssen.
• Die WEU hat eine Bestandsaufnahme und Bewertung der europäischen Fähigkeiten zur Krisenbewältigung vorgenommen, die zu wesentlichen Schlussfolgerungen geführt hat: Für einfache Petersberg-Operationen reichen die vorhandenen Mittel aus, für anspruchsvollere Operationen müssen die Fähigkeiten insbesondere in den Bereichen strategische Aufklärung, Führungsfähigkeit und strategischer Transport verbessert werden.
Die EU schließlich hat auf den Gipfeln von Köln und Helsinki die Grundlagen für den Aufbau der politischmilitärischen Entscheidungsstrukturen und die Stärkung europäischer militärischer Fähigkeiten geschaffen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Erfahrungen aus den Balkan-Krisen setzt die EU nun endlich die in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam verankerte Perspektive europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik um.
Ich möchte im Folgenden auf einige besonders wichtige Herausforderungen eingehen, die wir bewältigen müssen.
1. Das Verhältnis NATO-EU
Entsprechend der Schlüsselrolle der NATO muss die Allianz umfassend in den Entscheidungsprozess involviert werden, der zu einer europäisch geführten Operation führen kann. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil sich erst im Verlauf einer Krise herausstellen wird, ob die NATO oder die EU militärisch handeln wird, und ob die EU auf NATO-Mittel und -Fähigkeiten zurückgreifen will oder muss.
Krisenhafte Entwicklungen in Europa müssen künftig Gegenstand eines regelmäßigen Dialogs sein. Hierfür müssen Regelungen erarbeitet werden. Sinnvollerweise sollten die bereits von NATO und WEU vereinbarten Verfahren Berücksichtigung finden. So sichern wir Kohärenz und Transparenz in unserer unverzichtbaren und gemeinsamen Sicherheit und beteiligen die europäischen NATO-Staaten, die nicht EU-Mitglieder sind, an der Umsetzung des Berlin-Plus-Pakets. Ich plädiere daher für eine baldige formelle Rahmenvereinbarung, nicht zuletzt aus der Überlegung heraus, dass auch in EU-geführten Operationen der Rückgriff auf NATO-Mittel und -Fähigkeiten eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte.
2. Die Beteiligung von Nicht-EU-Staaten
Diese Frage ist eng mit den Konsultationsregelungen zwischen NATO und EU verknüpft. Sie muss daher ebenfalls in dem entsprechenden Rahmenabkommen Erwähnung finden. Die verschiedenen Formen einer Beteiligung der Nicht-EU-Staaten an der ESVP sollten allerdings auch in Einzelvereinbarungen mit der EU geregelt werden.
Natürlich dürfte die Beteiligung der betroffenen NATO-Staaten, nämlich Polen, Ungarn, Tschechien, Norwegen, Island und Türkei im Falle des Rückgriffs auf NATO-Mittel am einfachsten zu lösen sein, da diese Staaten in den involvierten NATO-Gremien vertreten sind.
Sollten diese Staaten sich darüber hinaus mit eigenen Truppen an einer Operation beteiligen, werden sie selbstverständlich den beteiligten EU-Nationen gleichgestellt. Sie können sowohl im vorgesehenen Ad-hoc Committee of Contributors als auch in den gemeinsamen Kommandostrukturen einer konkreten Operation partizipieren. Andere interessierte Nicht-EU-Staaten werden auf Einladung des Rats teilnehmen können.
Eine besondere Bedeutung kommt den regelmäßigen Konsultationen im neuen Politischen und Sicherheitspolitischen Ausschuss mit den sechs Nicht-EU-Staaten zu. Analoge Regelungen sollten für den neuen EU-Militärausschuss getroffen werden
Im neuen EU-Militärstab könnten permanente Dienstposten für Vertreter der europäischen NATO-Staaten geschaffen werden, die nicht der EU angehören. Diese könnten insbesondere in solchen Bereichen eingesetzt werden, die europäisch geführte Operationen unter Rückgriff auf NATO-Mittel vorbereiten.
3. Die Entwicklung militärischer Führungsstrukturen
Hinsichtlich der militärischen Führungsstrukturen für eine Krisenmanagement-Operation der EU steht außer Frage, dass die EU auf Hauptquartiere sowohl auf strategischer Ebene (Operation Headquarters) als auch auf operativer Ebene im Einsatzgebiet (Force Headquarters) zurückgreifen kann.
Bei einer Operation unter Rückgriff auf NATO-Mittel stehen NATO-Hauptquartiere, auch unter Nutzung des CJTF-Konzepts, zur Verfügung. Zusätzlich sind - auch für autonome Operationen der EU - geeignete nationale und multinationale Hauptquartiere für diese Aufgaben heranzuziehen.
Großbritannien und Frankreich haben auf dem Londoner Gipfel vom 25. November 1999 erklärt, für EU-geführte 0perationen nationale Hauptquartiere zur Verfügung zu stellen. Auch Deutschland wird seine nationale Führungsorganisation straffen und dann, wie seine wichtigsten europäischen Bündnispartner, ein entsprechendes Operation Headquarters und ein Force Headquarters bereitstellen.
Für eine überwiegend mit Landstreitkräften geführte Krisenmanagementoperation der EU ist das Hauptquartier des Eurokorps als operatives Hauptquartier in besonderem Maße geeignet.
Da wir aber nur über ein solches europäisches Korps verfügen, sollten wir im Zusammenhang mit dem in Helsinki beschlossenen Ausbau der militärischen Fähigkeiten der EU - dem sogenannten "Headline Goal" - einen zweiten europäischen Korpsstab etablieren, der als Force Headquarters sowohl für Krisenreaktionseinsätze der EU als auch der NATO zur Verfügung stehen würde. Hierzu könnte man auf bestehende bi- oder multinationale Strukturen zurückgreifen.
4. Der Ausbau militärischer Fähigkeiten
Es ist kein Zufall, dass NATO, WEU und EU zu weitgehend gleichen Ergebnissen gekommen sind, was die Erfordernisse und Fähigkeiten der Gegenwart und die der Zukunft für künftiges Krisenmanagement betrifft.
Die Defense Capabilities Initiative der NATO, der Audit der WEU und die Gipfel-Entscheidungen der EU kommen im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen. In einigen dieser Schlüsselbereiche sind auch in den Balkan-Krisen Defizite festgestellt worden, die sich zunehmend auf Interoperabilität und Bündnisfähigkeit auswirken.
Die Ausrichtung europäischer Streitkräfte auf modernes Krisenmanagement wird keine leichte Aufgabe sein. Umso bemerkenswerter ist, dass die Europäer sich zügig auf erste wichtige Schritte verständigt haben:
1. Von herausragender Bedeutung ist natürlich die Einigung der EU-Mitglieder, bis 2003 schnell verfügbare Landstreitkräfte im Umfang von etwa 50.000 - 60.000 Soldaten sowie entsprechende Luft- und Seestreitkräfte bereitzustellen, die innerhalb von 60 Tagen verlegbar sind und auch anspruchsvolle Krisenmanagement Operationen mindestens ein Jahr lang durchhalten können.
Die Umsetzung dieses "Headline Goal" erfordert keine Aufstellung neuer Truppen oder Verbände. Vielmehr ist auf bestehende multinationale und nationale Verbände und ihre Stäbe zurückzugreifen. Auch wollen wir keinen eigenständigen europäischen Streitkräfteplanungsprozess in Konkurrenz zur Streitkräfteplanung der NATO und zu PARP. Dies wäre eine unnötige Duplizierung, da überwiegend die gleichen Ressourcen zur Verfügung stehen.
2. Das Eurokorps wird zu einem europäischen Krisenreaktionskorps weiterentwickelt, das sowohl der NATO wie der EU zur Verfügung stehen wird. Auch andere europäische Staaten sind eingeladen, sich verstärkt an den Aktivitäten des Korps zu beteiligen.
Das Hauptquartier des Eurokorps wird bereits ab April 2000 als Kern des KFOR-Hauptquarters genutzt werden und dabei voll in die NATO-Kommandostruktur integriert sein. Seine Verfügbarkeit und Eignung ist ein sichtbares Zeichen für die Bereitschaft der Europäer, mehr Verantwortung innerhalb der NATO zu übernehmen.
3. Die deutsch-französische Initiative zum Aufbau eines Europäischen Lufttransportkommandos stellt einen wirksamen Schritt zur Behebung einer wesentlichen europäischen Schwäche dar. Seine Entwicklung und Indienststellung bedarf nunmehr gemeinsamer intensiver Anstrengungen. Es steht allen europäischen Staaten frei, sich daran zu beteiligen.
Ich möchte mit folgenden drei Bemerkungen abschließen:
Erstens: In der Gestaltung der europäischen Sicherheits und Verteidigungspolitik sind wir auf dem richtigen Weg. Unser Ziel ist, die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union durch eine glaubwürdige sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit zu untermauern. Beides ist voneinander nicht zu trennen, und beides ist trotz erheblicher Fortschritte objektiv noch lange nicht erreicht.
Zweitens: Unsere Bemühungen um die Stärkung europäischer Handlungsfähigkeit bedeuten keinesfalls, Strukturen und Fähigkeiten zu entwickeln, die in der NATO vorhanden sind und die der Europäischen Union ohnehin zur Verfügung stehen. Genauso klar ist aus meiner Sicht, dass europäische Fähigkeiten dem Bündnis zur Verfügung stehen und dessen Kapazitäten ergänzen. Eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten Europas bedeutet zugleich die Umsetzung der Bündnisverpflichtungen und -anforderungen.
Drittens: -Investitionen in ein sicherheitspolitisch glaubwürdigeres Europa bedeuten auch Investitionen in die euro-atlantische Sicherheitsgemeinschaft. Sie können de facto eine Entlastung unserer amerikanischen Freunde bewirken.
Amerika bedarf auch weiterhin starker demokratischer Partner für die Durchsetzung gemeinsamer Werte und gemeinsamer Interessen. Europa ist sein entscheidender Partner, gerade wenn Europa mehr als in der Vergangenheit Verantwortung in der regionalen Friedenssicherung übernehmen und Amerika damit im globalen Kontext entlasten kann. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das geschriebene Wort der Rede muss nicht mit dem auf der Konferenz gesprochenen Wort übereinstimmen.
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