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Europa

Blick in das Europäische Parlament

Diskurs um die Europa-Vision Joschka Fischers

Autor :  Christina Wegener
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 28.05.2000

Die jüngste Vision des deutschen Außenministers Joschka Fischer über die Zukunft der Europäischen Union hat kontroverse Diskussionen unter den Mitgliedstaaten angestoßen. Christina Wegener beschäftigt sich mit den innen- und außenpolitischen Reaktionen.


Fischers Plädoyer

Am Freitag den 12. Mai 2000 hielt Bundesaußenminister Joschka Fischer in der Berliner Humboldt-Universität eine Rede über die Zukunft Europas. Er beschrieb seine Vision einer souveränen europäischen Föderation, die seiner "persönlichen Meinung" zufolge ein voll zuständiges Parlament und eine mit entsprechenden Machtbefugnissen ausgestattete Regierung haben solle. Fischer schlug vor, zuerst die Zusammenarbeit besonders engagierter und integrationswilliger Staaten in einem zu verstärken, um dann in einem weiteren Schritt eine europäische Föderation als Endstufe der Integration anzustreben. Diese soll schwerpunktmäßig für Währungsfragen sowie für äußere und innere Sicherheit zuständig sein.

Anlässlich eines europapolitischen Kolloquiums mit Europapolitikern aus Bundestag und Europaparlament am 23. Mai bestätigte Joschka Fischer seine Thesen. Die EU sehe sich dem Dilemma ausgesetzt, Erweiterung und Vertiefung gleichzeitig bewältigen zu müssen. Man müsse den Weg vom Ziel her beschreiben. Ein "Gravitationszentrum" weniger Staaten könne das Zusammenwachsen Europas beschleunigen.

Die Visionen des Außenministers sind zwar nicht als offizielle Position der Bundesregierung zu interpretieren, jedoch besteht nach Aussagen von Europaexperten in der rot-grünen Koalition Einigkeit über Fischers Vorstoß.

Grundsätzliche Unterstützung aus der Opposition

Auch die Opposition begrüßte die Rede als wichtigen Beitrag zur Frage nach der Zukunft Europas. Für die CDU-Fraktion kritisierte allerdings deren europapolitischer Sprecher Peter Hintze die Vorstellung eines Kerneuropas. Der Europaexperte der FDP Helmut Hauser distanzierte sich ebenfalls von diesem Konzept. Union und FDP machten die Bundesregierung aber für den Stillstand bei den anstehenden konkreten Fragen der Europapolitik, wie institutionelle Reformen, mit verantwortlich.

Konträre Reaktionen im europäischen Ausland

Im europäischen Ausland hatte die Rede durchschlagende Wirkung, rief aber konträre Reaktionen hervor. Der britische Europaminister Keith Vaz wies die Visionen des Grünenpolitikers zurück. Für Großbritannien werde Europa auch in Zukunft ein Kontinent der Nationalstaaten bleiben. Wie ihm die Bundesregierung versichert habe, würden die Äußerungen Fischers auch nicht die Position der deutschen Regierung widerspiegeln.

In Paris wurden die Ideen des Deutschen grundsätzlich positiv aufgenommen, obwohl sich der Regierungschef Lionel Jospin bisher in Zurückhaltung übte. Der Vorschlag wurde als Versuch gewertet, die deutsch-französischen Beziehungen neu zu beleben, denn auch Fischer setze weiterhin auf beide Länder als treibende Kräfte im Integrationsprozess.

Frankreich legt angesichts seiner im Juli beginnenden Ratspräsidentschaft wert auf eine Trennung zwischen konkreten Themen bezüglich der Zukunft der EU und einer langfristigen Vision. Die Deutschen haben zugesagt, die ehrgeizigen französischen Ziele - bis zum europäischen Gipfel in Nizza im Dezember die institutionellen Reformen unter Dach und Fach zu bringen - voll zu unterstützen. Die Reformen - 1997 im Amsterdamer Vertrag vertagt - seien für die auch von Deutschland angestrebte Erweiterung unverzichtbar. Wenn Fischers Initiative in die Tagesordnung der Ratspräsidentschaft aufgenommen würde, könnte die konkrete Arbeit der EU gestört werden. Die ohnehin schon schwierige Aufgabe Frankreichs dürfe nicht überfrachtet werde.

Des weiteren warnte der französische Außenminister Vedrine davor, dass eine Debatte über einen Bundesstaat die EU in verschiedene Lager spalten könne, in Befürworter, Gegner und solche, die noch unentschlossen seien.

Deutliche Kritik Chevènements an Fischers Europa-Visionen

Für einen Eklat sorgte Innenminister Chevènement mit seiner Kritik an Fischer. Seine Äußerungen in einem Fernsehinterview am 21. Mai, Deutschland habe sich "noch nicht von der Entgleisung erholt, die der Nationalsozialismus in seiner Geschichte dargestellt hat" und träume "noch immer vom Heiligen Römischen Reich" sorgten für Empörung im eigenen Land. Chevènement entschuldigte sich am darauf folgenden Tag, seine ablehnenden Bemerkungen über die Rede des deutschen Außenministers seien missverstanden worden. Der ehemalige Sozialist und Gründer der EU-kritischen Bürgerbewegung MDC bekräftigte, dass die deutsch-französischen Beziehungen zweifellos Grundlage für ein vereintes Europa seien.

Nur zwei Tage zuvor, am 18. Mai hatten sich Jaques Chirac und Lionel Jospin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Joschka Fischer bei einem informellen Treffen in Rambouillet hinter verschlossenen Türen vermutlich auch über den Vorschlag des Bundesaußenministers ausgetauscht. Es wurde keine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, aber nach der vierstündigen Begegnung zeigten sich alle Seiten äußerst zufrieden.

Prodi: Nachdenken über die Zukunft Europas

Der Präsident der europäischen Kommission Romano Prodi unterstützte Fischers Vorstoß indirekt, indem er sagte, es sei wieder an der Zeit über die Zukunft Europas nachzudenken. Er warnte jedoch vor zu radikalen Plänen, da solche den Widerstand einiger Mitgliedsstaaten, namentlich Großbritanniens provozieren könnten. Prodi schlug vor, ein Komitee "weiser Männer" mit der Definition der Visionen zu beauftragen.

Wie auch immer die weitere Diskussion verlaufen wird, es steht fest, dass die Grundsatzrede Fischers eine Zäsur in der Geschichte der EU markieren wird. Es ist an der Zeit, dass sich die Mitgliedsstaaten über ihre Ziele klar werden. Das politische Gewicht der EU steht in keinem Verhältnis mehr zu dem Demokratiedefizit in der Union. Will Europa weiter zusammenwachsen und weitere Aufgaben übernehmen braucht es eine Legitimation durch seine Bürger sowie effiziente und demokratische Entscheidungswege. Die abwehrenden Reaktion einiger Mitgliedsstaaten und heutiger Amtsinhaber sind politische Hindernisse, die es auf dem Wes zu einem demokratischen und mächtigeren Europa zu überwinden gilt.

Foto: Copyright liegt beim Europäischen Parlament/Pressestelle


   

Weiterführende Links:
   Vom Staatenverbund zur Föderation - Fischer
   Joschka Fischer - ein e-politik.de-Buchtipp



Leserkommentar von Olaf Klein
am 30.05.2000
Moment

Tag, natürlich muß man in dieser Hinsicht auch über Risiken sprechen. Aber das wichtige ist doch, daß wir ÜBERHAUPT darüber reden. Denn das ist doch nie geschehen. Es war nie klar wo es wirklich hin gehen soll mit Europa. Was letztlich dabei heraus kommt ist mir sicher nicht egal, aber der Diskurs darüber ist doch alle mal fruchtbarer als nicht an dem Thema zu rühren, weil es nationalstaatliche Befindlichkeiten berühren könnte. Nur die Auseinandersetzung mit einem Thema versetzt uns Bürger in die Lage darüber zu entscheiden. Und, daß WIR über Europa entscheiden müssen steht für mich absolut außer Frage.

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