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e-politik.de - Home  Brennpunkt  Politik in Deutschland   Antisemitismus-Debatte in Deutschland


Juden sind Semiten, Araber auch

Autor :  Florian Wachter
E-mail: fwachter@e-politik.de
Artikel vom: 20.06.2002

Die Antisemitismus-Debatte zeigt, dass mit Begrifflichkeiten äußerst vorsichtig umgegangen werden muss. Antisemitismus selbst ist ein missverständlicher und letztlich missverstandener Begriff. Florian Wachter macht darauf aufmerksam.


Darüber gibt es keinen Zweifel: Der Hass auf Farbige wird als Rassismus bezeichnet, die Abwertung der Frau als Sexismus, die Diskriminierung von Schwulen und Lesben als Homophobie. Die Begrifflichkeiten sind seriös und unmissverständlich, weil sie die Abneigung gegen bestimmte Gruppen von Menschen an spezifischen Merkmalen festmachen.
Schwieriger ist das beim Begriff des Antisemitismus. Mit Antisemitismus wird eine eindeutige Zielrichtung in der öffentlichen Debatte impliziert. Der Begriff hat sich als Diffamierungsvokabel und Synonym für Judenhass in der Umgangssprache wie auch der Sozialwissenschaft etabliert.
Antisemitismus ist also eine Ideologie, die der Rechtfertigung der Feindseligkeit gegen Juden dient. Dabei richtet sich der Antisemitismus anders als der religiös motivierte Judenhass gegen alle Menschen jüdischer Herkunft, unabhängig davon, ob diese gemäß der jüdischen Religion leben oder nicht. In einer Bestimmung der politischen Philosophin Hannah Arendt ist Antisemitismus "genau das, was er zu sein vorgibt: eine tödliche Gefahr für Juden und nichts sonst."

Juden und Araber sind Semiten

Antisemitismus wurde 1879 von dem deutschen nationalistischen Journalisten Wilhelm Marr (1819-1904) geprägt, der mit diesem die zeitgenössische antijüdische Propaganda "wissenschaftlich" zu untermauern suchte. In seinem Pamphlet "Der Sieg des Judentums über das Germanentum" (1879) taucht der Begriff erstmals als rassistisch motiviertes Vokabular auf - eingegrenzt auf die Volksgruppe der Juden.

Denn als Semiten werden in der theologischen Literatur alle Nachfahren Sems, des ältesten Sohnes des biblischen Patriarchen und Urvater Noah, bezeichnet. Damit bezog sich dieser Ausdruck auf eine Sprachgruppe von Völkern des Nahen Ostens, zu der Juden und Araber gleichermaßen gehören. In dieser Bedeutung wurde der Begriff Semitismus bis in die 1870er auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur verwendet.
Heute dagegen wird er durch den Zusatz "Anti" in der Wissenschaft, im politischen Diskurs und der Umgangssprache als Synonym für Judenfeindlichkeit benutzt. Der Blick in das Lexikon macht aber deutlich, dass der Begriff Anti-Semitismus eigentlich ein Widerspruch in sich ist:
Demnach sind Semiten nämlich eine "(...) Bezeichnung für eine Völkergruppe mit untereinander verwandten Sprachen, die im Wesentlichen zu den Orientaliden gehört". Von Juden ist dabei nicht die Rede.

Hitler schüttelte einem Semiten die Hand ...

Welche absurde Dimension die verwischte Begriffsdefinition von Antisemitismus bekommt, wird durch ein Verweis auf Adolf Hitler klar. Als der 1942 den Großmufti von Jerusalem begrüßte, hat er geografie- und theologiegeschichtlich einem Semiten die Hand geschüttelt!

Wie erklärt sich heute dann aber der Konsens darüber, dass Antisemitismus weiterhin und ausschließlich als Diffamierungsbegriff gegen Juden verstanden wird?

Antwort gibt die rassenmorphologische Argumentation, die Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Darwinismus verbreitet wurde. Sie findet sich in Aufsätzen von völkischen Nationalisten wie Wilhelm Marr oder Adolf Josef Lanz. Dort stand die Vermischung von orientalischer und nordischer Rasse im Mittelpunkt der Diskussion. Es wurde die Gefahr beschworen, dass die als höherwertig gesehenen nordischen Charakteristika durch Mischung beeinträchtigt werden.
Während diese Rassenideologie im Falle arabischer Völker mangels Kontakt theoretisch blieb, waren jüdische Gemeinden in Europa weit verbreitet und schienen somit aus rassenideologischer Sicht eine unmittelbar präsente Gefahr. Die Ressentiments richteten sich also gegen Nachfahren der jüdischen Semiten und nicht gegen arabische Semiten.

Diese historische Unschärfe hat sich bis heute in der Antisemitismus-Debatte verankert.
Benutzt man heute das Wort Antisemitismus, sollte man zumindest die Sprach- und Begriffsverwirrung im Hinterkopf haben. Auch wenn sich daran gemeinhin niemand stört. Der Begriff wird wie selbstverständlich als Pendant für ein Wort benutzt, das die Sache eindeutiger und unmissverständlicher auf den Punkt bringen würde: Judenfeindlichkeit nämlich.


e-politik.de wird in unregelmäßigen Abständen in einem Dossier Artikel zum Thema Antisemitismus veröffentlichen.



   

Weiterführende Links:
   Projekt zu Shoa, Holocaust und Antisemitismus



Leserkommentar von Schüler
am 29.11.2002
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