Die unmittelbaren Bilder, die uns live den Einschlag des zweiten Flugzeuges
in den Wolkenkratzer zeigten, und die Nähe, mit der über die
Rettungsarbeiten berichtet wurde, verstärkten die Emotionen weltweit. Es
war, als wäre ein Hollywood-Katastrophenfilm wahr geworden.
Die Sonderberichterstattung im deutschen Fernsehen begann am Dienstag um
etwa 15.00 Uhr nach dem Bekanntwerden der ersten Terroranschläge. Als erster
Sender unterbrach RTL sein Programm mit einer Live-Ausgabe von "RTL Aktuell
". Sieben Stunden sendete RTL von da an ohne Werbeunterbrechungen - ein
Novum auf dem deutschen TV-Markt. Am Mittwoch wurden dem Ereignis 23 Stunden
gewidmet.
Die ARD sagte wie das ZDF auch alle Unterhaltungssendungen ab und bewies
wieder einmal, Marktführer in Sachen Information zu sein. Die abendliche
"Tagesschau" erreichte am Dienstag 9,91 Millionen Deutsche. Sondersendungen
wie "Brennpunkt" und "Tagesthemen extra" waren ebenfalls willkommene
Informationsquellen. Am Mittwoch schrieb der ARD- und ZDF-Ereigniskanal
Phoenix mit zehn Millionen Zusehern in der Gesamtwertung einen Rekord in der
Sendergeschichte, man übernahm auch die Berichterstattung für einige dritte
Programme.
Ungewohnte Allianzen
Vielen Zusehern wurde am Abend der Ereignisse, als Deutschlands Straßen wie
leergefegt wirkten, wohl erst bewusst, welche Sender zur gleichen Familie
gehören. So schalteten sich RTL, RTL II und Vox zusammen, ProSieben, Sat 1,
Kabel 1, N24, Neun Live (ehemals tm3) und die auch zur Kirch-Gruppe
gehörigen Ballungsraumsender wie tv.münchen sendeten ein gemeinsames
News-Programm.
Während die hauptsächlich von RTL gemanagten Sendungen regen
Zuspruch erhielten (im Schnitt 5,3 Millionen Zuschauer, zeitweise ein höherer
Anteil als bei den öffentlich-rechtlichen Kanälen) und mit Moderator Peter
Klöppel einen Glücksgriff taten, der dafür bereits für mehrere
Auszeichnungen vorgeschlagen wurde, sah es bei den Kirch-Sendern anders aus.
Der journalistische Mix von ProSieben, Sat 1 und N24 sank im Laufe des
Abends in der Leistung und entsprechend bei den Quoten. Tochter Premiere
World beteiligte sich auf ihre Weise: das ausgestrahlte
Champions-League-Spiel musste ohne Kommentar auskommen. Alle Sender
entschlossen sich, zunächst Katastrophenfilme und Comedy-Sendungen aus dem
Programm zu nehmen.
n-tv besaß als einziger Sender die exklusiven Rechte an den CNN-Bildern, was ihm
einen bisher ungesehenen Marktanteil von 9,3 Prozent einbrachte. Der
Unerlaubte CNN-Bilder-Klau durch andere Sender könnte noch rechtliche Folgen
haben.
Viva stoppte sein Programm und sendete am Dienstag nur noch Standbild, am
Mittwoch Musikclips ohne Werbung und mit Sondersendungen. MTV verzichtete
ebenfalls auf Moderation, sendete aber weiterhin Werbung.
Schweigen auch auf den Bildschirmen
Am Mittwoch, als der DGB zu einer Schweigeminute aufgerufen hatte, schwiegen
auch die Fernsehsender. ProSieben, Sat 1 und Kabel 1 zeigten ein gemeinsames
Standbild, N24 sendete Bilder von schweigenden Menschen. Ähnlich auch die
ARD. Das ZDF, die verschiedenen Shopping-Sender, n-tv, der Kinderkanal und
Viva zeigten schwarze oder Standbilder, zuweilen kommentiert durch
Laufbänder. RTL machte dies erst zwei Minuten nach den anderen. MTV fügte den
Satz "Fuck terrorism" an. Die meisten Radiosender brachten klassische Musik
oder Stille. Ansonsten kehrten die Sender außer ARD, ZDF, RTL, n-tv, N24 und
Phoenix wieder zur Normalität zurück.
Zeitungsmarkt: ein verändertes Bild
Viele deutsche Zeitungen reagierten mit Sonderausgaben und
Auflagenerhöhungen. Erstaunlicherweise gehörten dazu bereits wenige Stunden
nach den Anschlägen die "Badische Zeitung" und der "Wiesbadener Kurier". Die
optisch-biedere "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kam am nächsten Tag
entgegen ihrer Tradition mit Fotos auf der Titelseite in die Kioske. Die
"Zeit" zog den Erscheinungstermin mit einem Sonderdossier auf Donnerstag
vor. Die nächste Sonderausgabe erscheint am folgenden Montag, der Reinerlös
geht an eine amerikanische Hilfsorganisation. Der normale "Stern" war
bereits seit Montag in Druck und konnte so den Terror nicht mehr
berücksichtigen. Am Donnerstag gab es dann jedoch noch eine 32-seitige
Sonderausgabe als Zusatz. "Zeit" und "Stern" erscheinen wieder am Montag, um
den Informationsfluss zu garantieren. Der "Stern" hatte noch vor kurzem eine
Anzeigenkampagne, die mit Bin Laden für die Newskompetenz des Magazins
werben sollte, angestoßen, konnte sie aber im letzten Moment noch stoppen.
Konkurrent "Max" erschien ebenfalls am Donnerstag außer der Reihe. "Spiegel
und "Focus" konnte man statt erst am Montag schon am Samstag kaufen. "Die
Woche", die auch im Internet nicht mit Aktualität glänzte, begnügte sich
damit, in ihrer regulären Donnerstagausgabe ausführlich zu berichten.
"Hamburger Abendzeitung", "B.Z." und "Berliner Zeitung" brachten große
Seiten mit Solidaritätsbekundungen.
Auch gewohnte Seiten
Die "tageszeitung" dagegen konnte auch in jenen Momenten nicht von ihrem
bissigen Ton ablassen: Bush habe nur deshalb so unberührt gewirkt, weil er
wusste, dass zum Zeitpunkt der Anschläge im World Trade Center die Manager
noch nicht im Büro gewesen wären, sondern nur das "Fußvolk". Die "Bild
"-Zeitung machte im gewohnten Stil auf: "Großer Gott, steh' uns bei!" und
"Terror-Bestie, wir wünschen Dir ewige Hölle!" stand da zu lesen. Immerhin
widmete man sich in einer Extra-Ausgabe ausschließlich den Ereignissen in
Amerika und ließ die restlichen Meldungen beiseite.
In den Großstädten war bei den Zeitungshändlern der Informationsbedarf der
Bevölkerung besonders zu spüren. Die "Süddeutsche Zeitung" war am Donnerstag
bei vielen Presseshops schon um 11 Uhr vergriffen, in den Lagern der
Bahnhofskioske ging der Vorrat an amerikanischen Zeitungen zur Neige.
Der Bertelsmann Verlag spendete zwei Millionen Dollar für Hilfsfonds und
schaltet in Initiative mit den Töchtern RTL Group und Gruner+Jahr Anzeigen
für mehr soziales Engagement und Spenden. Der Axel-Springer-Verlag nahm das
transatlantische Freundschaftsverhältnis sogar in seine
Unternehmensgrundsätze auf.
Webinfos: "Connection timed out"
Bereits kurze Zeit nach Bekanntwerden des ersten Flugzeugabsturzes auf das
World Trade Center am Dienstag, den 11. September, geriet das Internet an die
Grenzen seiner Kapazität. Ursprünglich vom US-Militär geschaffen, um über
ein Kommunikationssystem zu verfügen, das bei Ausfall eines Teils dennoch
weiter funktioniert, war es dem Besucheranstrom ab 15.30 Uhr
mitteleuropäischer Zeit nicht mehr gewachsen. Die Server nahezu aller
Informationsangebote, sei es CNN.com, Yahoo, sueddeutsche.de, focus.de,
spiegel.de, tagesschau.de, heute.t-online.de, n-tv.de oder n24.de fielen aus
und es hieß vielerorts nur noch "Connection timed out". Auch die
überlasteten Telefonleitungen der Provider trugen ihr Scherflein dazu bei,
vielen Surfern war es schwergefallen, überhaupt ins Netz zu kommen.
Bei einigen Infoportalen wie beispielsweise MSNBC.com war man nach eigenen
Aussagen zunächst mehr damit beschäftigt, die Geschehnisse zu recherchieren
als sich um Serverprobleme zu kümmern. Für eine Übergangszeit versuchten
dann manche, ihre Seiten durch möglichst wenige Bilder schneller zu machen,
bis später, zum Teil erst am Mittwoch, dann endlich Auslagerungen auf
Extra-Server die Erholung brachten. Das gesamte Netz kannte nur noch ein
Thema, selbst sehr spezielle technische oder wirtschaftliche Branchendienste
meldeten die Katastrophe.
Chaos contra fundierte Information
Insgesamt konnte das Internet als schnelle Informationsquelle zumindest
anfänglich nicht überzeugen. Später überboten sich die Angebote gegenseitig
mit Lockangeboten - anders kann man es kaum nennen - wie virtuellen
Kondolenzbüchern (bild.de) oder ruckelnden Videos der Terrorschläge. Die
Flut der Artikel und der zu verarbeitenden Informationen, die sich minütlich
änderten, äußerte sich entsprechend in chaotischen Aufmachungen ohne
erkennbaren "roten Faden". Fundierte Artikel und Analysen ohne reißerische
Zusätze boten netzeitung.de und spiegel.de. Und egal ob man seine E-Mails
abrufen (web.de) oder ein Buch kaufen wollte - überall bekundeten die
Betreiber ihre Solidarität mit den Amerikanern.
Die deutsche Medienlandschaft erfuhr in diesen Tagen fast schon
revolutionäre Veränderungen. Keiner konnte sich den Erwartungen der Leser
und Zuschauer entziehen und wie in solchen Fällen die Regel, verwischen hier
und da die Grenzen zwischen Informationsanspruch und Opportunismus. Es bleibt abzuarbeiten, wie sich die Medien darstellen, wenn die Ereignisse weiter
zurückliegen oder aber wie es wird, wenn kriegerische
Handlungen losbrechen.
Zum Dossier über die Terroranschläge in den USA