Da haben wir sie wieder, die Frage, wer wir denn eigentlich sind, wir Deutschen. Was wir denn
eigentlich gemeinsam haben, an Werten, Kultur und so. Friedrich Merz, der Fraktionsvorsitzende
der CDU, hat auf das alte Thema das neue Etikett "Leitkultur" geklebt, und Medien im ganzen
Land haben dem CDU-Mann seine Worthülse von den Lippen gerissen und in endlosen
Feuilletondebatten mit Inbrunst diskutiert. Kein Tag an dem nicht ein neuer selbsternannter
"Leitkultur"-schaffender seinen Senf dazugibt. Egal ob Friedrich Merz und sein Begriff dabei gelobt
oder verissen werden - die CDU ist im Gespräch. Any news is good news - jede Nachricht ist
eine gute Nachricht - besagt ein geflügeltes Wort der Öffentlichkeitsarbeit. Unter diesem Aspekt
betrachtet hat der Fraktionsvorsitzende für seine Partei ganze Arbeit geleistet.
Um die Sache abzukürzen: die Diskussion um den Begriff "Leitkultur" wird wohl zu keinem
Ergebnis führen. Vermutlich war das auch nicht beabsichtigt. Eine bundesweit einheitliche
Kultur existierte nie, nicht umsonst ist Kulturpolitik von je her Sache der Länder. Das Wort ist
ja auch deshalb so zweckmäßig für seinen Erfinder, weil sich der dahinter stehende wachsweiche
Begriff in der Hitze der Debatte nach Belieben formen und verändern lässt. So lange, bis er einer
Mehrheit gefällt. Dann kann damit ein Zweck verfolgt werden. In diesem Fall geht es darum, eine
veraltete Ausländerpolitik ins neue Jahrtausend herüber zu retten, in dem man sich mit einer nicht
existierenden "Kultur" von den Ausländer abgrenzt.
Die Wirtschaft schreit derzeit nach Arbeitskräften, das Parlament beschließt munter Greencard
und Doppelpass. Schlechte Zeiten für Parolen wie "Überfremdung" oder "Das Boot ist voll". Da
müssen andere Worte herhalten, um strikte Regulierung von Zuwanderung, Abschaffung des
Asylrechts und ähnliche Dinge zu verkaufen. Die Alternative für die Union wäre, ihre alten
Standpunkte zu überdenken. Schwierig, schließlich hatte sie Worte wie "Einwanderung"
jahrelang nur in Verbindung mit Untergangsszenarien benutzt ("Unsere Gesellschaft kann das
nicht verkraften, usw. ..."), und das Thema zu einer Glaubensfrage hochstilisiert ("Die
multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert! etc."). Derartige Endgültigkeit macht eben unflexibel.
Die Worthülse "Leitkultur" erfüllt ihren Zweck, denn sie erregt Aufsehen und Emotionen.
Außerdem ist sie schwammig genug, um nicht durch sachliche Argumenten entkräftet zu werden
- ob das Boot tatsächlich voll ist oder nicht, lässt sich mit Bevölkerungsstatistiken ausrechen, wer
kann dagegen schon messen, was eine "Leitkultur" ist und wie sie durch Einwanderer
beeinträchtigt wird.
Statt über mögliche Leitungsfunktionen einer nicht vorhandenen einheitlichen Kultur in
Abhandlungen zu diskutieren, und damit den Erfindern dieses Unsinns dienlich zu sein, sollte
man den Begriff "Leitkultur" lieber so interpretieren, dass sein eigentlicher Zweck deutlich wird:
Lauter
Ellenlange
Intellektuelle
Texte
Können
Unsere
Lahme
Traurige
Unionspartei
Retten