Wer sich aufs glatte Parkett der Politik begibt, muss damit rechnen auszurutschen. Die jüngsten Skandale und Skandälchen deutscher Politiker und Politikerinnnen haben es wieder deutlich gezeigt: Von den lauernden Augen und Ohren von Opposition und Medien wird jeder Fehltritt, jedes falsche Wort registriert und gnadenlos ausgeschlachtet. Der Schaden ist dann oft nicht nur politisch, sondern auch persönlich schwer zu verkraften. Dennoch tun Menschen sich diesen Stress an. Sie vertreten uns, das immer weniger politisch engagierte Volk, setzen bei permanenter zeitlicher Überbelastung Gesundheit, Familienleben und Freizeit aufs Spiel. Was treibt heute Menschen an, in die Politik zu gehen, und welche Wege gehen sie?
Der lange Weg durch Kommunal- und Landespolitik
Blättert man in Kürschners Volkshandbuch oder besucht die Homepages von Politikern, stößt man schnell auf sich wiederholende Muster. Die typische Karriere beginnt im Kleinen, etwa mit der frühen, aktiven Mitgliedschaft in einer Partei. Dazu kommt persönliches Engagement für kommunale Angelegenheiten, zum Beispiel in den Bereichen Umwelt, Schulpolitik, Sozialeinrichtungen, oder für Themen wirtschaftlicher Art. Die meisten Einsteiger in die Politik identifizieren sich mit dem, wofür sie kämpfen. So wirken sie bürgernah und authentisch und werden bei Wahlen oft mit hohen Quoten belohnt. Ihr weiterer Weg in die Landespolitk führt über den Vorsitz im Ortsverein ihrer Partei und einen Sitz im Stadtrat schließlich in den Landtag. Und da endet er auch oft. Viele sind desillusioniert, weil sie nicht das erreichen konnten, wofür sie vehement eingetreten waren. Ein Sprung nach Berlin würde für sie zudem bedeuten, ihren Beruf, ihr soziales Umfeld aufzugeben und sich als Berufspolitker von dem zu entfernen, wofür sie als Lokalpolitiker ganz konkret eintreten wollen. Einer von denen, die diesen Preis nicht zahlen wollen, ist Sepp Dürr, Fraktionschef der Grünen im bayerischen Landtag. Er sieht seine Karriere ausschließlich in der Kommunal- und Landespolitik: "Dank der CSU geht mir in Bayern die Arbeit so schnell nicht aus." Wagt einer nach Jahren den Sprung aus dem Land- in den Bundestag, gehört er erst einmal zu den berühmten "Hinterbänklern" – ein mühsamer Weg.
Auf der Überholspur nach Berlin
Wer schneller nach Berlin und ins Rampenlicht der breiten Öffentlichkeit kommen will, versucht möglichst jung über eine Parteikarriere die bundespolitische Bühne zu betreten. Frühe Mitgliedschaft in der Jugendorganisation der Partei, reichlich Durchsetzungsvermögen, Konfliktbereitschaft und rhetorische Fähigkeiten bieten eine solide Grundlage. Mit einem passenden Studium, Verbindungen zur Mutterpartei und einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein stehen die Chancen auf einen flotten Durchmarsch durch die Parteiinstanzen nicht schlecht. Dass dabei Privatleben, "normales" Berufsleben und oft der Realitätssinn zu kurz kommen, muss der Jungpolitiker in Kauf nehmen – Karriere geht vor. Allerdings: "Eine Bundestagskarriere zu planen, geht ziemlich in die Hose." Das meint jedenfalls Christoph Moosbauer, der schon mit 29 Jahren in den Bundestag einzog. Er hatte auch einfach das Glück, der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein– genau wie die meisten anderen "Jungstars" im Bundestag.
Nützliche Sprungbretter: Jobs in der Politik, bei Verbänden und Gewerkschaften
Andere – auch viele junge Leute – betreten die Wege in die Politik jedoch nicht über die Lokal- und Parteipolitik, sondern über Verbände, Gewerkschaften oder gemeinnützige Vereine. Dort kann man sich ehrenamtlich engagieren und auch Geld verdienen. Erfahrung in Sachen Politik gibt es gratis dazu. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, 31, etwa hat schon mal als Mitarbeiter von Bärbel Tewes, Landtagsabgeordnete in Niedersachen, und MdB Ernst Kastning die Luft der Landes- und Bundespolitik geschnuppert, bis er dann 1998 per Direktmandat selbst ins Berliner Parlament einzog. Auch sein Kollege von der CDU, Thomas Rachel, 38, hat seine ersten politischen Sporen als Assistent des späteren Bundesverkehrsministers Matthias Wissmann verdient und das Bonner Büro der Wirtschaftsvereinigung Stahl geleitet.
Gewerkschaftsarbeit hat lange Jahre Arbeitsminister Walter Riester geleistet, bevor er in die Bundespolitik ging – direkt ins Kabinett Schröder und ohne Bundestagsmandat.
Quereinstiege: Direktflüge ins Kabinett
Direkt im Kabinett gelandet ist auch der neue Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Wie sein Vorgänger, der Journalist und jetzige Mitherausgeber und Chefredakteur der ZEIT Michael Naumann, ist er ein Quereinsteiger in die Politik. Parteipolitik ist ihm vermutlich so fremd wie der Paragraphen-Dschungel in Gesetzgebungsverfahren, durch den sich jeder normale Abgeordnete quälen muss. Auf der Ebene der Ministerposten zählt vor allem die fachliche Qualifikation – und die kann er, der Philosophieprofessor und Kulturreferent der Stadt München, vorweisen. Aber Politik als feste Konstante des Berufslebens ist seine Sache sicher nicht.
Der homo politicus – eine aussterbende Gattung?
Für viele ist ihr Engagement in der Politik nicht irgendein Job, sondern Berufung. Sie machen weiter, auch wenn sie vom politischen Gegner verunglimpft und von den Medien gejagt werden. Und selbst dann noch, wenn die Wähler ihnen die Gunst entziehen. Sie kämpfen, weil sie das sind, was die träge Mehrheit nicht sein will: Politiker mit Leib und Seele.
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