Politischer Horror in Buchformat
Seit Wochen erster Platz auf der Bestsellerliste der New York Times, Spitzenreiter beim Buchversand Amazon.com. Der Roman "The Indwelling" (Das Innewohnen) hat offenkundig den Nerv von Millionen Amerikanern getroffen. Das Buch ist eine endzeitliche Moralgeschichte – geschrieben von Tim F. LaHaye (pensionierter evangelischer Pfarrer) und Jerry B. Jenkins (Sportjournalist). Verkündet wird die Wiederkunft Christi und die Tatsache, dass nur die wahren Christen von den Qualen der ewigen Hölle verschont blieben.
Populärkultur in Amerika kann so einfach sein. "The Indwelling" ist der siebte Teil der "Left Behind"-Romane, jener apokalyptischen Endzeitnovellen aus dem Tyndale House Verlag, die seit Mitte der 90er Jahre in regelmäßiger Folge erscheinen. Gebetsmühlenartig werden Botschaften der christlichen Rechten verbreitet, die einen an Zeiten der Mc Carthy-Ära erinnern. So ist der Hauptschurke der Serie ein kommunistischer Schläger, der als ´Antichrist´ mal eben die Vereinten Nationen übernimmt, um eine Weltregierung zu errichten. Das ist ein Politikszenario, wie es von vielen amerikanischen Staatsbürgern im Jahr 2000 befürchtet wird. Darum lesen sie auch "The Indwelling" und keinen Stephen King. Politischer Horror verkauft sich derzeit einfach besser. 17 Millionen Amerikaner sind bekennende Fans der "Left Behind"-Bücher.
Wurden die "Left Behind"-Romane bis 1999 noch überwiegend in christlichen Buchhandlungen verkauft, puschen Handelsketten wie Wal-Mart heute das Buch mit aggressiver Werbeoffensive.
George W. Bush liest gerne ... ultrakonservative Schmachtfetzen
Die Macht der fundamentalistischen christlichen Rechten über die amerikanische Politik ist keine Legende, sie ist Realität. Es sind nicht ein paar fanatische Sektierer, die ihre dogmatische Intoleranz und ihre Verschwörungstheorien in Geheimzirkeln verkünden; ein Teil des amerikanischen (weißen) Mainstream-Publikums hat sich längst damit identifiziert und liest fröhlich ultrakonservative Schmachtfetzen.
Vor allem in den bibeltreuen Südstaaten und im Mittleren Westen. Und aus Texas kommt bekanntlich George W. Bush. Auf die Frage, welche Bücher er derzeit lese, gab Bush Junior noch vor einigen Wochen unverholen zu, schon des öfteren Bücher der "Left Behind"-Reihe gelesen zu haben. Heute wäre die Antwort wohl eine andere. Aus wahltaktischen Gründen ... und wohl nur aus solchen.
Die 180 Grad-Drehung des George W. Bush
Der frisch gekürte Präsidentschaftskandidat der Republikaner folgte auf dem Republikaner-Konvent in Philadelphia seinem Prinzip des "mitfühlenden Konservativen" (compassionate conservative). Die Medien feiern Bush als Konservativen mit Herz, seine Strategen wissen, wie man die Wähler in der Mitte des politischen Systems sucht. In der Mitte Amerikas stehen bekanntlich auch die Minderheiten.
Und für die dreht man sich auch mal um 180 Grad. Das Mäntelchen der Liberalität ist schnell übergestreift. Der republikanische Kongressabgeordnete Jim Kolbe aus Arizona darf in Philadelphia eine Lobesrede auf Bush halten. Das haben Dutzende andere vor und nach ihm auch getan; nur, Kolbe bekennt sich offen zu seiner Homosexualität und widerspricht damit jedem puritanischen Moralverständnis eines bodenständigen Republikaners.
Für Stimmenfang darf auch mal ein Schwuler ans Mikrofon.
Die jungen Wähler und solche lateinamerikanischer Herkunft spricht George P. Bush an, 24-jähriger Neffe von George W. Bush.
Für Stimmenfang wird auch mal ein mexikanisch-stämmiger Jungspund vor den Karren gespannt.
Tatsächlich spricht Bush in jedem zweiten Satz von Integration, von Überwindung geistiger Barrieren, von einem Volk und der Gleichheit aller Amerikaner. Bildung, Gesundheit und Frauenrechte werden zu Prämissen erklärt.
Humor ist wenn man trotzdem lacht
Ehe man sich über die moderaten und versöhnlichen Töne freut, ist Vorsicht geboten. Weder die Vergangenheit noch sein Programm können Glauben machen, dass sein Mitgefühl mehr als nur eine Wahlkampfphrase ist. Bush sagt, er sei mitfühlender Konservativer.
Seine Einfühlsamkeit geht sogar so weit, dass er als texanischer Governeur inzwischen der absolute Hinrichtungsrekordhalter in den Vereinigten Staaten ist. 121 Menschen in fünf Jahren. Bush hat auch dabei seinen Humor behalten.
Beispiel für den spaßigen Bush: Karla Faye Tucker. Sie war die erste Frau seit 135 Jahren, die in Texas hingerichtet werden sollte. Ein Recht auf Gnade hatte auch sie. Bush lehnte ab.
"Please don´t kill me", erzählte er lachend, habe sie gefleht. "Ja", habe er ihr geantwortet, er habe einen toughen Job – aber er tue alles für das Wohl der Allgemeinheit.
Auch "Antichristen" sind potentielle Wähler
In Texas ist das verborgene Tragen von Schusswaffen erlaubt. Zum Wohl der Allgemeinheit. Bush hat sich trotz Widerstands immer dafür eingesetzt. Auch dafür, dass in einigen Städten Texas der öffentlich vollzogene Geschlechtsverkehr zwischen Schweinen verboten ist. Sitte und Moral sind für Bush das höchste Gut. Er vertritt die frommen Menschen, die brav dem politischen Katechismus frönen und ihren Revolver stets griffbereit neben Bibel und "Left Behind"-Romanen im Nachttisch verstecken. Erst die äußerste Rechte erobern und dann noch ein paar Stimmen unter den ´Antichristen´ sammeln.
Wird schon klappen, George!
Fotomontage: Copyright liegt bei gwbush.com