e-politik.de: Wie ist es zu erklären, dass kein Geheimdienst der Welt vor
den Attentaten vom Dienstag gewarnt hat?
Gerhard Schmid: Ich finde das gar nicht seltsam. Wenn man sich die
ganze Aktion einmal näher besieht, erkennt man leicht, dass die Attentate nicht
nur lange vorgeplant waren, sondern auch, dass es sich hier um absolute Profis
handelt. Das Timing, die Logistik, und zusätzlich hatten sie einen in den USA
geschulten Piloten in jeder Maschine sitzen.
e-politik.de: Das vermutet man zumindest.
Schmid: Da kann man sich schon sicher sein. Kein Pilot, der ohnehin
weiß, dass er sterben wird, würde eine solche Passagiermaschine in diese Tower
fliegen. Der hätte sie woanders zum Absturz gebracht. Das waren also Profis, in
jeder Hinsicht. Darum haben sie auch wie Profis kommuniziert, haben nicht
geplappert und womöglich codiert gesprochen.
e-politik.de: Wie wird es jetzt weitergehen?
Schmid: Immer langsam. Zunächst einmal bin ich der Meinung, dass die
USA nicht eher agieren werden, als sie herausgefunden haben, wer für das
Attentat verantwortlich ist. Sie nehmen sich die Passagierlisten vor, schließen
diejenigen aus, die es nicht sein können, kontrollieren nach, wer eine
Pilotenausbildung gemacht hat etc. Da gibt es schon Möglichkeiten.
e-politik.de: ...und dann fallen Bomben auf Afghanistan, Libyen, den Irak...
Schmid: Der Irak hat damit sicher nichts zu tun. Wenn Saddam Hussein
in die Sache verwickelt wäre, hätte er nichts Eiligeres zu tun, als sich vor
der Arabischen Welt als der große Führer aufzuspielen und mit der Schmach zu
prahlen, die er dem Erzfeind Amerika im Heiligen Krieg zugefügt hat. Und
Ghaddafi möchte in den kommenden Monaten vor dem Europäischen Parlament eine
Rede halten: Er bemüht sich, sein Land zu einem "normalen" Staat zu
machen.
e-politik.de: Aber irgendetwas müssen die USA doch unternehmen, um vor der
Weltöffentlichkeit nicht als untätig dazustehen.
Schmid: Eben das ist das große Problem der USA. Und genau hier zeigt
sich wieder die Professionalität der Attentäter. Es gibt kein
Bekennerschreiben, keine erhellenden Statements. Die USA tappen nach wie vor im
Dunkeln. Das ist das Schlimmste, was ihnen in dieser Situation passieren kann.
Sie haben einen Schlag ins Gesicht, manche sagen sogar ins Herz, erhalten und
wissen nicht von wem. Solange sie nicht agieren können, ist jede Stunde, die
verstreicht, ein weiterer Triumph für die Feinde der Amerikaner.
e-politik.de: Wird es zwischen der EU, den USA und womöglich auch Russland
jetzt eine verstärkte Zusammenarbeit in Bezug auf Terrorismus geben? Eine Art
runden Tisch?
Schmid: Einen runden Tisch wird es mit Sicherheit nicht geben. Dazu
ist die Kommunikation unter den Geheimdiensten viel zu kompliziert. Das
funktioniert nur auf bilateraler Basis, multilaterale Gespräche gibt es nicht.
Hinzu kommt, dass jeder Geheimdienst nur gibt, wenn er auch nehmen kann. Eine
Hand wäscht die andere.
e-politik.de: Würden Sie uns zum Abschluss noch ein paar Worte zum NMD
sagen? Wozu soll das Abwehrsystem Ihrer Meinung nach dienen, zur Abwehr von
Gefahren aus dem Reich der Mitte oder des Terrorismus?
Schmid: Ehrlich gesagt, keines von beiden. Im amerikanischen
Wirtschaftssystem gibt es für gewöhnlich keine Unterstützung für die
Unternehmen. NMD ist nun wie Reagans damaliges Abwehrsystem eine Art
Subventionsprogramm für die High-Tech-Unternehmen. Finanziert wird das aus dem
Verteidigungshaushalt, da werden keine Fragen gestellt, denn Landesverteidigung
ist den Amerikanern heilig. Und zudem umgeht die Regierung so die Regeln von
GATT/WTO. In der angeschlagenen IT-Branche läuft das ähnlich. Hier gibt es
eine Initiative zur Absicherung der US-Computersysteme. Auch das ist eigentlich
nur eine große Subventionsaktion für die IT-Industrie.
e-politik.de: Also würden Sie NMD als nutzlos bezeichnen?
Schmid: Lassen Sie es mich einmal so formulieren: Kein Terrorist wird
versuchen, eine Atomrakete auf Amerika abzufeuern, die eigentliche Gefahr für
New York beispielsweise liegt doch darin, dass ein Terrorist ohne Probleme einen
Atomsprengsatz auf einem Boot in den Hafen bringen kann. Dazu braucht man keine
Raketen. Nur etwas Phantasie - und Mut.
Foto: Copyright liegt beim Europäischen Parlament
Zum Dossier über die Terroranschläge in den USA