In Deutschland herrscht der Wahnsinn. Der Rinderwahnsinn. Seit im November auf einem Bauernhof im sonst so beschaulichen Schleswig-Holstein der erste BSE-Fall entdeckt wurde, torkeln Politik, Landwirtschaft und Verbraucher von einem Schrecken in den nächsten. Mittlerweile sind es 16 Fälle (Stand: 20. Januar) – eine Ende aber ist nicht in Sicht.
BSE, oder Bovine Spongiforme Enzephalitis, hält die Welt in Atem. Zumindest bis wir wieder zum Alltag zurückkehren.
Zwei Bundesminister – Andrea Fischer und Karl-Heinz Funke – sind bereits zurückgetreten und das Landwirtschaftsministerium wurde auf Bundesebene der Krise angepasst: als Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft soll sich Renate Künast (B90/Grüne), die nun auch nicht mehr Landwirtschafts- sondern Verbraucherschutzministerin heißt, um das verlorene Vertrauen der Verbraucher in das Rindfleisch kümmern. "Lassen sie uns die BSE-Krise als Chance zum Neuanfang begreifen. (...) Das bedeutet: Verbraucherbelange zum Maßstab der Politik machen und vom Stall bis zur Ladentheke Transparenz schaffen", erklärte Künast zur Eröffnung der Grünen Woche am 18. Januar in Berlin.
Die böse Überraschung: Rindfleisch!
Ein hartes Stück Arbeit, das der Verbraucherministerin da harrt: In Ausgabe 2/2001 vom 16. Januar, kaum dass in Deutschland der 14. BSE-Fall diagonostiziert wurde, meldet die Zeitschrift Öko-Test:
„Pfui Teufel! Obwohl Hirn und Rückenmark angeblich schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Kalbsleberwurst gemischt wird, fand ÖKO-TEST in fünf Prozent der Testprodukte deutliche Mengen der riskanten Zutaten, in zehn Prozent noch Spuren.“
Das Magzin kommt dann zu dem Ergebnis, dass lediglich 84 von den 101 Proben „ohne Einschränkung zu empfehlen sind. Mit anderen Worten: Traue Deinen Augen nicht.
Was dann, kaum dass Ulla Schmidt am 10. Januar von Bundeskanzler Gerhard Schröder (beide SPD) als Nachfolgerin Andrea Fischers genannt war, ihr Ministerium zu einer Stellungnahme, nötigte. Darin hieß es lediglich: „Aussagen, die auf Veranlassung der Zeitschrift Öko-Test untersuchten Wurstsorten hätten Hirn und Rückenmark enthalten und dies in den Zusammenhang mit BSE zu rücken, sind nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums in keiner Weise belegt.“
Was kaum einen Verbraucher wirklich getröstet haben dürfte. Schließlich fiel so manchem hungrigen Einkäufer beim Bummel durch die Fleischabteilung auf, dass die Zutatenliste abgepackter Wurstwaren in letzter Zeit häufig mit ominösen schwarzen Balken verziert waren.
Die Lösung: Schwein und Huhn statt Rind
Die Industrie hat indes schneller und – wie man es gewöhnt ist – geschickter reagiert. Das beste Beispiel liefern zweifelsohne die Fast Food Ketten, die ohne viel Federlesen von Rind auf Schwein und Geflügel übergewechselt sind. Statt Hamburger mit beef, einfach, doppelt oder dreifach, gibt es nun halt das Beste vom pork oder turkey.
Noch viel schneller aber hat der Verbraucher reagiert. Verunsicherung? Klar. Bei Informationsveranstaltungen ist die Verzweiflung beinahe greifbar. Und unisono steht die Frage im Raum: Was sollen wir noch essen? Die Antwort wird dann an den Kassen gegeben – und sie lautet so, wie es die Fast Food Konzerne vorausgeahnt hatten: Schwein und Huhn sind jetzt der Königsweg. Ein Ansturm auf Öko-Produkte aber ist bislang ausgeblieben.
Das akzeptierte Risiko – oder: Die Lust am Tod?
Schnell und gründlich wird vergessen, dass auch diese Fleischlieferanten aus Fabriken stammen und mit zahllosen Medikamenten angereichert sind.
Verleugnet wird zudem, dass zumindest der Verzehr von Schwein, was die Übertragung von BSE auf den Menschen angeht, nicht völlig risikolos ist. Vergessen wird nämlich gerne, dass kein Schwein jemals alt genug wird, als dass die bisherigen BSE-Tests anschlagen könnten. Und bei Freund Huhn bleibt zumindest der Reiz, sich mit Medikamenten zu contaminieren und mittelfristig eine Antibiotika-Resistenz zu entwickeln.
Reaktionen, die so neu nicht sind!
Wie sieht es – um nur ein Beispiel zu nehmen - mit Zigaretten aus? Das Wissen über die Risiken sind bekannt: Gefäßschäden, erhöhte Herzinfarktgefahr und Krebs. Nur: Würde wegen genannter Risiken ein Raucher auf seinen Glimmstängel verzichten? Wohl kaum. Statt dessen bekommt man zu hören: „Leben ist gefährlich. Es endet immer tödlich!“
Der Todestrieb
Man kann die Dosis an tödlichen Gefährdungen aber auch mutwillig erhöhen. Und dazu neigt der Mensch wohl. Als in den 70er Jahren die Immunschwächekrankheit AIDS entdeckt wurde, prophezeiten viele das Ende zwischenmenschlicher Beziehungen – aus Angst sich zu infizieren und unweigerlich sterben zu müssen. Am Ende des Jahrtausends haben sich all diese Befürchtungen nicht erfüllt. Im Gegenteil: Bei Befragungen erklären Prostituierte regelmäßig, dass ihnen Freier das doppelte für ungeschützten Verkehr bieten.
Und die Zahlen? Noch im letzten Jahr rechnete das Bundesgesundheitsministerium mit etwa 2.000 HIV-Neuinfektionen. Ein Viertel davon bei Frauen. Damit leben derzeit insgesamt etwa 37.000 mit HIV infizierte Menschen in Deutschland - etwa 29.000 Männer und 8.000 Frauen.
Vermutlich wird man sich an BSE gewöhnen wie an Lungenkrebs oder AIDS. Es gehört zum alltäglichen Risiko dazu, zumal man auf altbewährte Gewohnheiten nur schwer verzichten kann. Denn was sollte den Rinkfleischkonsum vom Rauchen oder Sex unterscheiden? Unter Umständen enden alle drei mit dem vorzeitigen Tod. Ein Blick auf die Insel demonstriert es: Mit mehr als 170.000 infizierten Rindern ist Großbritannien fest im Griff der BSE-Seuche. Was die Briten aber nicht davon abhält weiter ihr beef zu essen.
Who cares?
Die Erklärung dafür hat vor langer Zeit der Wiener Psychologe Sigmund Freud gefunden: „Das Lustprinzip scheint geradezu im Dienste der Todestriebe zu stehen.“
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