"Jerusalem und Al-Kuds werden nebeneinander liegen."
Am 27. September gab der israelische Premierminister Ehud Barak der Jerusalem Post ein Interview. Es war das erste Mal, dass Barak von Jerusalem als israelischer Hauptstadt und von Al-Kuds als Hauptstadt eines zukünftigen Palästinenserstaats sprach.
Getrennt von einander, aber nebeneinander sollten diese beiden Städte liegen. Weiter sagte Barak: "Ich weiß nicht, ob es ein Abkommen geben wird, aber wenn es ein Abkommen gibt, wird es das Ende des Konfliktes beinhalten und von der Welt anerkannte Grenzen für Israel."
War es dieses hoffnungsvolle und idealistische Interview, das Ariel Scharon den Anstoß für seinen Besuch auf dem Tempelberg gab, mit dem der offene Konflikt zwischen Israelis auf der einen Seite und Arabern mit israelischem Pass sowie den Palästinensern auf der anderen Seite begann. Schnell sprangen dann natürlich die Hisbollah im Libanon ganz offen und die arabischen Staaten diplomatisch verdeckt auf den Zug der Konfrontation auf. Straßenschlachten begannen, Tote gab es fast ausschließlich auf der palästinensischen Seite.
Rede vor dem Krieg?
Schockiert auch durch die Beteiligung der arabische Israelis an den schnell als "Al-Kuds-Intifada" getauften Unruhen ist am 7. Oktober die Stimmung in Israel gespannt. Erste Opfer unter den Sicherheitskräften sind zu verzeichnen, drei Soldaten werden auf ihrer Patrouille an der libanesischen Grenze von der Hisbollah entführt. Die Lage ändert sich, eine ausländische Macht greift in israelisch-palästinensische Auseinandersetzungen ein.
Barak hält eine Rede an das israelische Volk. Er ruft die Palästinenser und besonders Arafat zur Einstellung der Gewalttätigkeiten auf, um die Verhandlungen unter Vermittlung von Präsident Clinton weiterzuführen.
"Dies ist einer der entscheidenden Kämpfe in der Geschichte Israels – ein Kampf für unser ureigenes Recht, hier in dieser schwierigen und gequälten Region als freie Menschen leben zu dürfen."
Über Arafat und die Palästinenser sagt Barak: "Seit Madrid und Oslo, über ein Jahrzehnt, haben sich drei oder vier Regierungen in Israel bemüht, ein Friedensabkommen mit unseren palästinensischen Nachbarn zu erreichen, unter der Bedingung, dass wir einen Partner für den Frieden haben. Heute stellt sich ein Bild dar, dass es offensichtlich keinen Partner für Frieden gibt."
Nach der Äußerung von Hoffnung auf einen Frieden unter Berücksichtigung der vitalen Interessen Israel ruft Barak zur Einheit auf: "Aber jetzt ist die Zeit gekommen, dass wir uns auf eine Konfrontation vorbereiten, uns die Hände reichen und wir gemeinsam den Herausforderungen gegenübertreten, die vor uns liegen." Barak ruft Israel zur Einheit auf, meint aber in erster Linie nicht Links oder Rechts. "Ich möchte den arabischen Bürgern Israels sagen: Zusammen haben wir eine demokratische Gesellschaft aufgebaut, die das Zusammenleben verschiedener Gruppen anerkennt. (...) Ich appelliere an Sie noch einmal, das Verhalten beizubehalten, das die überwiegende Mehrheit der israelischen Araber ausübt: Verantwortungsvoll und überlegt zu handeln und sich nicht von Extremisten und Aufwieglern zu Handlungen verleiten zu lassen."
Resolution für die Palästinenser?
In der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober trifft der UN-Sicherheitsrat eine verhängnisvolle Entscheidung. Mit der Resolution 1322 wird der exzessive Gewalteinsatz gegen die Palästinenser verurteilt. Israel wird aufgefordert, Zivilpersonen - die Palästinenser - zu schützen. Zwar enthalten sich die Vereinigten Staaten der Stimme und Israel wird nicht direkt als Verursacher der Gewalttätigkeiten benannt, aber die Richtung ist klar. Israel ist verurteilt worden. Die Palästinenser fühlen sich bestätigt und vielleicht sogar von der UNO und der Welt im Kampf gegen die israelischen Besatzer unterstützt.
Die USA deckten Israel in diesem Fall nicht mehr im Sicherheitsrat – ein fataler Fehler, der von Richard Holbrooke auch umgehend kritisiert wird. Die Weisung kam ganz von oben mit der Argumentation, Washington wolle seine Rolle als ehrlicher Vermittler nicht diskreditieren. Zu diesem Zeitpunkt war aber der Friedensprozess bereits inoffiziell suspendiert. Eine diplomatische Fehleinschätzung mit unabsehbaren Folgen.
Israel unter Feuer
Alte Ängste werden wach. Die Erinnerung an den Jom Kippur-Krieg vor 27 Jahren sind ein Trauma. Die Lage im Jahr 2000 ist ähnlich brisant. Unruhen in Israel selbst; offener Aufstand in den nun mit regulären paramilitärischen Kräften ausgestatteten besetzten Gebieten; Gefechte an der Nordgrenze mit der Hisbollah; Spannung mit dem Libanon, da von seiner Regierung verständlicherweise territoriale Souveränität und somit Kontrolle über die Hisbollah verlangt wird; Syrien bezieht Position hinter dem Libanon; andere Staaten wie Saudi-Arabien verstärken das antiisraelische Lager.
Kommentatoren der Jerusalem Post resignieren und stellen fest, dass Israels Verhandlungsbereitschaft – wie zum Beispiel die Räumung des Südlibanon – von den Arabern als Schwäche interpretiert worden sei. Die Konsequenz müsse nun der harte Weg sein. Der Libanon und Syrien müssten einen Preis dafür bezahlen, dass sie Angriffe auf Israel von ihrem Territorium aus zuließen. Barak stellt das Ultimatum an Arafat, binnen 48 Stunden die Ausschreitungen einzustellen mit der Drohung, ihn sonst nicht mehr als Partner für Friedensgespräche anzuerkennen.
Israels Gesellschaft kriegsbereit?
Die Tauben in Israel sind entsetzt über die neue Gewalt und verfallen in Ratlosigkeit, während die Falken Morgenluft wittern und auf eine Politik der Stärke setzen. Diese Stärke hat Israel aber bisher immer tiefer in den Konflikt gezogen. Es bleibt auch offen, ob eine offensive Verteidigung die Unterstützung der ganzen Gesellschaft erfährt. Dass das Land sich seit seiner Gründung im Existenzkampf befindet war in den siebziger Jahren unbestritten. Ob das heute noch die Realität der Bürger Tel Avivs ist, bleibt fraglich. Israel will Frieden. Den nächsten großen Schritt müssen nun auch einmal die Palästinenser und die Araber tun.