Tagebuch eines Magisterkandidaten, Folge 12
Autor : e-politik.de Gastautor E-mail: redaktion@e-politik.de Artikel vom: 22.10.2002
Igendwann ist es soweit: Die Magisterarbeit ist fertig! Joye Mariel über das Gefühl "danach", Freizeit und so manchen Zweifel.
Der Tee steht neben dem Notebook, der Aschenbecher daneben. Zigaretten sind auch in Greifweite, alle E-mails beantwortet und eine Runde Solitär habe ich auch gewonnen. Jetzt kann´s eigentlich losgehen.
OK, Computer, dann öffne mal den Ordner "Magisterarbeit", schließlich gibt es einiges zu tun! Aber halt! Was liegt da neben dem Aschenbecher? Der Auftragszettel eines Copyshops? Richtig, meine fertige Arbeit liegt ja schon beim Binden. Ich hab also gar nichts mehr zu tun.
Und nun? Ich könnte, ähm, ja genau! Ich könnte, komm streng Dich an, ähm ja, ich könnte aus dem Fenster gucken! Ja, das wird sicher sehr aufregend!
Und danach könnte ich meine kleine Altglassammlung zum Container bringen. Und dann?
Dieses Leerlaufwochenende ist nun mittlerweile Geschichte und es war viel ruhiger, als ich es mir in meinen kühnsten " Wenn Du erst mal fertig bist, gehst Du in jeden Club der Stadt" - Träumen ausgemalt hatte.
Abgabe
Dafür hatte der Abgabetermin der Magisterarbeit eine gewisse Größe.
Meine Freundin Carmen und ich hatten uns verabredet, noch einen Kaffee trinken zu gehen, wenn wir unsere Arbeiten abgegeben hatten. Vorher musste Super-Carmen noch mit ein paar gut gemeinten Ratschlägen Magisterarbeiten vor dem sicheren Verderben retten, denn aus irgendeinem Grund mussten wir noch einigermaßen unnötige Formalia wie unsere Lebensläufe an die Arbeiten anfügen, was wahrscheinlich einige ohne Carmen nicht gewusst hätten. Aber letzten Endes lagen dann doch alle Arbeiten in dreifacher Ausführung im Prüfungsamt. Mittlerweile waren wir zu sechst und steuerten das nächste Café an. Dort sollte nun eigentlich eine große Entspannungsphase einsetzen - doch weit gefehlt.
Da arbeitet man ein halbes Jahr mehr oder minder eifrig an seinem akademischen Abschluss. Spezialisiert sich auf mehr oder minder abstruse Themen, die einen vielleicht sogar mal später weiterbringen könnten oder eine Art Wanderung zurück zu seinen eigenen Wurzeln darstellen. Wäre der Abgabetermin nicht gewesen, hätten wir wahrscheinlich noch alle bis in alle Ewigkeit weiter geschrieben, verbessert, und kritisiert. Doch dieser Termin war nun mal mehr oder weniger unumstößlich festgeschrieben. Als jetzt unsere Arbeiten auf einem großen Stapel im Prüfungsamt lagen, musste erst eine große Korrigierlokomotive in unserem Kopf zum Stehen kommen. Und der Bremsweg war lang.
Fehler über Fehler
Trotzdem kam im Café ein einigermaßen flüssiges Gespräch zustande, das nur hin und wieder von spitzen Schreien und anschließenden beruhigenden Worten unterbrochen wurde.
Es zeigte sich nämlich, dass wir alle aus irgendeinem Grund trotz wochenlanger Korrigiererei die dicksten Hämmer erst bemerkten, als unsere Arbeiten schon auf dem Prüfungsamt lagen. Und die reichten von Marginalien wie der Platzierung des Abbildungsverzeichnisses bis zu Übersetzungsfehlern.
Hey, woher soll ich auch tschechische Umgangssprache können? Wann habt ihr denn englische Wörter wie bitch, to puke oder motherfucker gelernt? Sicher nicht nach einem Jahr Schulenglisch, oder? Dumm nur, dass ich jetzt in meiner Magisterarbeit über "die Sirenen blöder Launen" schwadroniere. Bleibt nur noch die Hoffnung, dass die fiesesten Fehler nicht bemerkt werden.
Wenn das englische Kabinett ein blindes Mitglied hat, warum sollten Münchner Dozenten nicht auch zumindest von einer zeitweiligen Sehschwäche befallen sein? Und schließlich werden ja, um ein gängiges Studentengerücht zu zitieren, die meisten Arbeiten ohnehin nicht gelesen.
Die Qual der Entscheidung
Da kann man nur hoffen, dass die Abschlussklausuren auch nicht zu kritisch beäugt werden. Denn die nächste Station auf dem Weg zum akademischen Titel steht bereits an: ich muss mich für fünf Themen entscheiden, in denen ich in Politikwissenschaft geprüft werden will. Und das kann dauern, ich bin nämlich nicht gerade als sehr entscheidungsfreudig bekannt.
Mein Freund Thomas kann ein Lied davon singen, schließlich habe ich zwei Monate gebraucht, um mich für eine feste Beziehung mit ihm zu entscheiden. Und vor meinem Aufenthalt in Prag schwankte ich zwischen der Georgetown University in Washington D.C. sowie den Unis in Granada, Talinn, Buenos Aires, Johannesburg und Seoul. Ganz zu schweigen von meiner Entscheidung, die Fächerkombination Politikwissenschaft, Amerikanische Kulturgeschichte und Recht für Sozialwissenschaftler zu einem Abschluss zu bringen. Bis diese Studiengänge auf meinem Studentenausweis standen, kostete mich das einen Hauptfachwechsel von Amerikanistik zu Politikwissenschaft und die Nebenfächer Hispanistik und Interkulturelle Kommunikation.
Wer weiss, vielleicht war ja gerade der Studiengang "Recht für Sozialwissenschaftler" doch keine so gute Idee. Ich könnte mich für den Fachwechsel einfach in die lange Schlange der Studenten einreihen, die vor dem Prüfungsamt stehen und noch Fehler in ihren Magisterarbeiten korrigieren wollen.
Tagebuch einer Magisterkandidatin, Folge 11
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