Es ist manchmal so, dass Dinge wahr werden, wenn man sie nur oft genug
beschwört. Als George W. Bush im Frühsommer Europa besuchte, um die
Werbetrommel für sein National Missile Defense System (NMD) zu rühren, nannte
er, wie schon oftmals in den Wochen zuvor, den Weltterrorismus und sogenannte
Schurkenstaaten als Hauptgefahr für die USA. Europa sah darin nicht mehr als
ein elegantes aber durchsichtiges Ablenkungsmanöver von der Angst vor China.
Und angesichts einer Aufkündigung des ABM-Vertrags flammten in den Köpfen
europäischer Spitzenpolitiker Gedanken an einen Rückfall in den erst
überwundenen Kalten Krieg auf.
Doch nun geben dem Präsidenten die Attentate auf das World Trade Center und das
Pentagon in makaberer Weise Recht. Einerseits, denn in der Tat hat sich die
Angst vor dem Terrorismus als berechtigt erwiesen. Doch andererseits, was
hätte NMD schon gegen Selbstmordattentäter in amerikanischen
Passagiermaschinen ausrichten können? Was gegen minutiös und lange vorgeplante
Aktionen, bei denen Entführer mit so einfachen Waffen wie Messern agieren?
Spanien und das UKUSA-Agreement
Das Fehlen von NMD ist nicht der Grund für diese Tragödie. Wahrhaft versagt
haben andere. Die Kontrollen bei Inlandsflügen beispielsweise - das gaben
amerikanische Sicherheitsexperten am Tag nach dem Unglück zu Protokoll - ließen
in den USA zu wünschen übrig. Man könne in dieser Beziehung von Europa und
den asiatischen Ländern noch eine Menge lernen. In diesem Fall räche es sich
wohl, dass individuelle Freiheit das oberste Prinzip in Amerika sei.
Doch zurück zu jenen Tagen im Frühsommer, als einzig Aznar, der Spanier, Bush
zur Seite stand und sich für NMD aussprach und ihn auch bei seiner Absicht
unterstützte, den ABM-Vertrag einseitig aufzukündigen. Warum er das tat, ist
mittlerweile kein Geheimnis mehr: Es handelt sich hierbei um ein simples
diplomatisches Tauschgeschäft. Denn seit Juni profitiert Spanien vom
sogenannten "geheimen" UKUSA-Agreement aus dem Jahr 1948. Besser
bekannt ist das Abhörsystem, dem das Agreement zugrunde liegt: Es trägt den
Namen ECHELON.
Abhören statt Abwehren
Aznar erhofft sich von diesem Schritt eine bessere Position in
der Auseinandersetzung mit der Untergrundorganisation der baskischen
Separatisten (ETA). Auch Großbritannien bedient sich der mit Echelon gewonnenen
Informationen zur Bekämpfung von Terroristen, der IRA nämlich. Ergo:
Bekämpfung des Terrorismus durch Abhören, nicht durch Raketen. Haben nun
angesichts der amerikanischen Tragödie die Geheimdienste versagt? Sind das
Echelon-Netz und die verbündeten Geheimdienste NSA (USA), GCHQ (England), DSD
(Australien) und CSE (Kanada) so ineffektiv, dass sie nicht in der Lage waren,
zumindest Stunden vorher unbestimmte Warnungen auszugeben? Ist Echelon nicht so
allmächtig und allgegenwärtig wie die europäische Öffentlichkeit befürchtet?
Schmid: "Echelon kann umgangen werden"
Gerhard Schmid, Vizepräsident des Europäischen Parlaments (EP) und Berichterstatter im nichtständigen Echelonausschuss des EP, ist sich sogar sicher, dass der Reichweite und der
Effizienz der Abhöraktionen Grenzen gesetzt sind, wie er in einem telefonischen
Interview mit e-politik.de bestätigte: "Es liegt an der Funktionsweise der
Echelon-Computer, dass Ihnen eine ganze Menge entgeht. Zwar werden alle Faxe
und E-Mails, die in der Reichweite des Systems liegen und die die angezapften
Glasfaserkabel durchlaufen, nach bestimmten Begriffen gescannt und dann
aussortiert. Ebenfalls aussortiert werden Telefonate von solchen Personen, deren
'Voiceprints' den Geheimdiensten vorliegen." Allerdings gebe es
viel schriftliche Kommunikation, die schlicht und einfach außerhalb der
Reichweite des Systems liegt, zudem sei die Abhörtechnik noch nicht so weit,
dass sie Schlüsselbegriffe aus beliebigen Telefonaten filtern könne.
Warnungen in den Wind geschlagen
Spätestens seit Mittwoch Nachmittag ist bekannt,
dass die Vereinigten Staaten bereits drei Wochen und erneut vier Tage vor dem
Zwischenfall gewarnt waren. Osama bin Laden hatte in einem Interview mit einem
palästinensischen Journalisten terroristische Aktionen von nie da gewesenen
Ausmaßen angekündigt. Zwar wurden, nach den Erfahrungen in Tansania und Kenia zahlreiche
US-Botschaften geschlossen oder zumindest unter verstärkte Bewachung gestellt,
richtig ernst genommen hat diese Warnungen in den USA allerdings niemand. Es
heißt dazu, die Warnungen seien zu unbestimmt gewesen.
Vorher wie nachher weiß man nicht, wer die Drahtzieher sind, nicht sicher zumindest, denn seit NSA ein Gespräch zweier Verbindungsmänner von Bin Laden aufgezeichnet hat, hat sich
jener Anfangsverdacht erhärtet, den der in Afghanistan untergetauchte Terrorist
so heftig abgestritten hat. Es ist Ironie, dass Echelon erst so spät gegriffen
hat, beinahe ebenso wie es Ironie ist, dass der Hauptverdächtige ein Mann ist,
der den USA einst helfen sollte. Im Kalten Krieg, den die Europäer so sehr
fürchteten.
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