e-politik.de: Hat sich Ihre Haltung gegenüber Fred Leuchter während der Dreharbeiten verändert?
Morris: Ich wußte von Beginn an, worauf ich mich einlasse. Das erste Interview war so bizarr, dass alles, was später folgte mehr oder weniger dasselbe war und nicht besonders überraschtee. Ich hatte auch eine Vorstellung, wie der Ablauf der Story sein sollte. Als ich das Interview 1992 geführt habe, wußte ich bereits, dass Leuchter in Ausschwitz gewesen war, dass er den ´Leuchter – Report´ geschrieben und für Ernst Zündel ausgesagt hatte. Was beim ersten Interview befremdend war, war seine Sprache, die Art und Weise, wie er erzählt hat. Fred liebt es, zu reden.
e-politik.de: Sie waren der erste, der Leuchters Vorliebe für Exekutionsmaschinen und seine Aussagen über Ausschwitz miteinander in Verbindung gebracht hat.
Morris: Das gehört beides für mich zusammen und es macht die Geschichte für mich erst interessant. Diese Geschichte nicht zu erzählen, wenn man über Fred berichtet, ist für mich unmöglich. Es ist für mich ein essentielles Thema, um Fred verstehen zu können. Seine Verleugnung des Holocaust verstehen zu wollen, ist ein entscheidender Punkt, um ihn als Person verstehen zu können.
e-politik.de: Können Sie ihn verstehen?
Morris: Ich habe es versucht, aber ich war nicht besonders erfolgreich. Manchmal glaube ich, es gibt ein bestimmtes Limit, einen bestimmten Punkt, bis zu dem man eine Person verstehen kann. In Freds Fall spielen sicher Eitelkeit und Selbstüberschätzung eine Rolle, ebenso wie der Wunsch, diese entscheidende Figur als verrückter, selbsternannter Geschichtsexperte zu spielen. Eine bestimmte Veranlagung zum Nazismus und den Glauben, die Welt erkennen zu können, indem man nur auf sich selbst blickt.
e-politik.de: Ist es richtig, dass es eine erste Fassung des Films gab, die nur das Interview mit Leuchter zeigte und Sie nachträglich weitere Interviewpartner suchten, weil die Reaktion des Publikums gespalten war?
Morris: Ich zeige jeden Film, den ich drehe einem Publikum, denn anders als Fred denke ich nicht, dass ich unfehlbar bin. Und ich wurde etwas unsicher während meiner Arbeit im Schnittraum. Deshalb habe ich den Film vor Publikum gezeigt, um herauszufinden, ob andere Menschen ihn genauso sehen, wie ich. Ich habe die Interviews ja schon 1992 geführt, dann bekam ich kein Geld, um den Film zu finanzieren. Und als ich das Geld endlich zusammen hatte, startete ich den Versuch, nur die Interviews von Fred zusammenzuschneiden. Für mich war offensichtlich, dass Fred Unrecht hatte, dass er nur verrücktes ´Blabla´ von sich gab.
Nach dem Screenig wurde klar, dass die Leute einfach mehr über Fred Leuchter wissen mußten. Ich mußte zeigen, dass der ´Leuchter-Report´ falsch war und deshalb andere Leute interviewen. Ich war schließlich der erste, der James Roth, den Chemiker, der für Leuchter die Gesteinsproben untersucht hat, befragte. Es gibt ein ganzes Buch, das den ´Leuchter-Report´ als falsch verdammt, aber niemand war bisher auf die Idee gekommen, den Chemiker zu befragen. Und James Roth erklärte nicht nur, dass der Report falsch ist, sondern konnte auch ganz genau anführen, wieso und warum. Er bewies wissenschaftlich, warum Leuchters angebliche Beweise falsch waren. All das wurde ein wichtiger Punkt des Films: es mußten einfach noch andere Fakten angesprochen werden. Das zentrale Thema aber blieb immer Fred: was geht in seinem Kopf vor, warum tut er das, was er tut, womit rechtfertigt er sich und sein Denken?
e-politik.de: Haben Sie mit vielen Revisionisten gesprochen?
Morris: Nein, nur mit Leuchter, David Irving in London und Ernst Zündel in Toronto.
e-politik.de: Was haben Sie als amerikanischer Jude während dieser Interviews gefühlt?
Morris: Leuchter habe ich nie als Antisemiten empfunden: er ist auf dem falschen Weg, aber kein wirklicher Antisemit, wenn man es nicht als Antisemitismus ansieht, dass er sich den Juden gegenüber sehr unsensibel verhält. Zündel, aber vor allem Irving, sind wirkliche Antisemiten. Ich glaube, wenn man über Antisemitismus in Amerika spricht, ist es etwas ganz anderes, als in Deutschland. Denn wie viele Juden kamen in Amerika durch Antisemitismus zu Tode? Ich habe gottlob persönlich kaum Berührung mit Antisemitismus gehabt, bis zur Idee meines Films nur darüber gelesen. Es ist etwas ganz anderes, es dann ´live´ zu erleben.
Es gab durchaus Momente, in denen ich fühlte, daß ich mit einem Antisemiten spreche.
Mein Interview mit Irving gehört zu den traumatisierendsten Momenten meines Lebens. Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob er wußte, daß ich jüdisch bin, denn ich beginne ein Interview nicht, indem ich mich als Errol Morris, der Jude, vorstelle. Aber Irving ließ soviel antisemitisches Geschwafel vom Stapel, sehr beeindruckend. Ich zuckte regelrecht zurück und dachte: das ist also Antisemitismus. Fuck you, Irving!
e-politik.de: Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie nie explizit in Ihrem Film sagen, dass Leuchter falsch liegt.
Morris: Das ist nicht richtig. Der Film urteilt sehr wohl über seine Sichtweise und zeigt auf, dass seine Schlüsse falsch sind. Er sagt nur nicht, dass dieser Mann ein Teufel ist.
e-politik.de: Wie in Ihren anderen Filmen lebt der Protagonist, in diesem Fall Fred Leuchter, in einer Art Traumwelt. Aber sein Traum verbindet sich dann mit der realen Welt.
Morris: Ich denke, daß Freds Traum mit der Realität in Konflikt geriet. Er ist ein Spezialist für Tötungsmaschinen. Das ist seine Welt und das ist in Ordnung: geh Fred und baue deine elektrischen Stühle, entwerfe deine Injektionsmaschinen! Für eine Weile war Fred Leuchter ein selbsternannter Experte auf seinem Gebiet. Aber eines Tages hatte er die Idee, die Geschichte des 20. Jahrhunderts neu zu erzählen. Ich sehe es als eine Parallele zum Erwachsenwerden: Wenn du ein kleiner Junge bist, hast du das Gefühl, alles kann wahr sein, dass die Welt dir gehört und jede deiner Phantasien wahr werden kann. Aber in Freds Geschichte gibt es keine Veränderung, er entwickelt sich nicht weiter und wird nicht erwachsen. Er glaubt den Unsinn, den er erfunden hat.
Foto Errol Morris: Copyright liegt bei Errol Morris