Böses Foul, Herr Merz!
Ich halte es mit Weizsäcker und Genscher!
von: Florian Wachter
- fwachter@e-politik.de
Datum: 02.10.2000
Lieber Herr Belafi,
ich bleibe dabei: Die Verdienste der Wiedervereinigung sind parteienübergreifend! Das weiß ein Friedrich Merz genauso wie ein Gerhard Schröder oder eine Angela Merkel. Wenn Herr Kohl in seiner Rede zum 3. Oktober den Sozialdemokraten gar die Aufgabe des Verfassungsziels (Einheit Deutschlands) vorwirft, wundere ich mich schon ein wenig ... Dadurch wird der peinliche SPD/CDU-Streit kaum entschärft. Ich halte es deshalb mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU). Zitat aus seinem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel vom 2.10.00: "Frage: Sind die Akteure, alle Verantwortlichen der Einheit am 3. Oktober 1990 angemessen gewürdigt worden? Weizsäcker: Wir erleben Parallelveranstaltungen der Parteien. Jede Partei feiert ihren eigenen Beitrag, warum nicht? Aber es ist kleinkariert, ein Zeichen der Verunsicherung über die eigene Zukunft und unwürdig, nur die eigenen Leistungen herauszustreichen und anderen ihre Beiträge zu bestreiten. Es ging und geht um die gemeinsame nationale Aufgabe bei uns und um die prägenden Vorarbeiten und Beiträge um uns herum. Drei Entwicklungen wirkten zusammen. Das Erste ist die Schlussakte von Helsinki 1975. Von ihr ging die Bekräftigung der freien Meinungsäußerung, der Reisefreiheit, das Recht zur friedlichen Grenzveränderung, das Recht auf Selbstbestimmung aus. Die polnische Solidarnocz war die erste große Konsequenz. Es folgte die Charta 77 in Prag. Die Bürgerrechtsbewegungen in der DDR führen sich auch darauf zurück. Hier liegt die wichtige Vorleistung für die Überwindung der Teilung. Von Seiten der alten Bundesrepublik waren es Schmidt und Genscher, denen das Verdienst für Helsinki zukommt. Das Zweite war die Entwicklung in der Sowjetunion. Gorbatschow, seit 1985 an der Macht, ebnete den Weg mit seinen Reformen und durch Widerruf der Breschnew-Doktrin, also durch Befehl an sowjetische Truppen, nicht mehr mit Gewalt gegen Reformbestrebungen in kommunistischen Bündnisländern einzugreifen. Maßgeblich trug dies zum friedlichen Verlauf Demonstrationen der Bürgerinitiativen in der ehemaligen DDR bei, am 9. Oktober 1989 in Leipzig, am 4. November in Berlin auf dem Alexanderplatz und am 9. November. Schließlich gehörte viel Realismus und gewaltiger Mut für Gorbatschow dazu, zuzustimmen, dass die DDR, dieses kostbarste Stück des Warschauer Paktes, ohne Gegenleistungen mit in die Nato abwandern durfte. Bei uns in Bonn waren es Kohl, Genscher und Schäuble, die hervorragende Arbeit leisteten. Schäuble brachte den Einigungsvertrag zustande. Genschers großes Verdienst war die zügige Vorbereitung und Durchführung der 2+4-Konferenz im vollen Bewusstsein, dass die Zeit drängt, insbesondere in der Sowjetunion. Kohl, der sorgsam auf die Stimmen der Bürger in der DDR hörte, zog die berechtigte Konsequenz zu raschem Handeln. Mit seinen zehn Punkten Ende November 1989 strukturierte er die Diskussion und zeigte Führung. Wesentlich führte er die Aufgabe der deutschen Vereinigung mit einem verstärkten europäischen Impuls zusammen und schuf, zusammen mit Genscher, Vertrauen im Ausland. Sozialdemokraten hatten mit ihrer Entspannungspolitik unverzichtbare Voraussetzungen für die Wende in Europa geschaffen, zumal Brandt. Wem ging der ganze Weg zur Vereinigung mehr zu Herzen als gerade Willy Brandt? (...)" ... und ich halte es auch mit Hans-Dietrich Genscher (FDP). Schließlich war er mit SPD und CDU in Regierungsverantwortung und damit maßgeblich für die Wiedervereinigung mitverantwortlich. Zitat aus seiner Rede auf der Festveranstaltung der FDP-Bundestagsfraktion zum 10. Jahrestag der Wiedervereinigung (1.10.00): »Die Einheit gehört keiner Person und keiner Partei allein, Sie ist keine Laune der Geschichte gewesen, sondern das Ergebnis einer langfristig angelegten Politik«. Soweit, so richtig.
Antwort auf die Antwort
von: Matthias Belafi
- matthias@belafi.de
Datum: 02.10.2000
Lieber Herr Wachter,
In meinem letzten Leserkommentar schrieb ich, daß ich ein solches Niveau der Kommentierung von e-politik nicht gewohnt bin. Das heißt schließlich nicht mehr, als daß ich die Kommentare in der Regel für sauberer bearbeitet und besser recherchiert halte als den Ihren. Daraus machen sie sofort einen "niveaulosen" Kommentar. Und genau hier finden sie auch meinen Vorwurf, unsauber gearbeitet zu haben. Sie reagieren auf gewisse Reizwörter nicht mehr mit Argumenten, sondern mit dem Pawlowschen Reflex. So wird aus Merz' Vorwurf, die 1990 führenden Sozialdemokraten hätten die Einheit nicht gewollt, der Vorwurf der Vaterlandslosen Gesellen. Warum setzen sie sich nicht mit dem Text auseinander? Es geht hiert doch nicht um pauschale Verurteilungen aller Sozialdemokraten!
Wenn unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung das zehnjährige Jubiläum der Deutschen Einheit gefeiert wird, dann hat die Opposition doch das Recht darauf hinzuweisen, daß es die von ihr geführte Bundesregierung war, die die Einheit umgesetzt hat, während die SPD damals gezögert hat. Es gaht dabei nicht um die Vorleistungen Willy Brandts usw. zur Einheit, sondern nur um die Haltung der 1989/90 führenden Sozialdemokraten. Und da sieht die Faktenlage nun mal schlecht für die Herren Schröder, Lafontaine usw. aus.
Gerhard Schröder nannte noch 1989 eine auf Wiedervereinigung gerichtete Politik "reaktionär und hochgefährlich." (Hann. Allg. Zeitung, 27.09.89) Als niedersächsischer Ministerpräsident lehnte er dann am 22.6.90 die deutsch-deutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion im Bundesrat ab, ebenso wie Lafontaine. Über letzteren schreibt Egon Bahr: "Ich erinnere mich an eine SPD- Präsidiumssitzung, in der wir Oskar eindringlich baten, fast bettelten, er möge doch einmal sagen, dass er sich über die Einheit freue. So empfinde er nicht, war die ehrliche Antwort." Und der so "flegelhaft" beleidigte Hans Eichel schrieb Ende 1989 in einer SPD-Zeitschrift: "Diejenigen, die jetzt von Wiedervereinigung daherreden, haben aus der Geschichte nichts gelernt." (FAZ, 21.9.00) Kurt Schumacher hätte sich bei solchen Äußerungen ganz gewiß für diese SPD geschämt!
Mag ja sein, daß nicht nur Sie, sondern auch manch anderer Zeitungskommentator unlauter gearbeitet hat. Ich halte es da mit Karl Feldmeyer in der FAZ vom 16. September: "Wer die Haltung der beiden großen Parteien SPD und CDU/CSU zur Jahreswende 1989/90 betrachtet, kommt zu einem ganz eindeutigen Urteil: Die Union war für die Wiedervereinigung, die SPD dagegen." Und die Welt (15.9.00) kommentiert: "Mit der Einheit hatte diese SPD nicht mehr gerechnet. Und sie hat sie auch nicht mehr gewollt."
Ich habe nichts gegen Ihre entgegengesetzte Meinung, wenn Sie sich einfach inhaltlich mit dem Thema auseinandersetzten. Widerlegen Sie doch bitte all diese Belege dafür, daß die damals führenden Sozialdemokraten sich einfach nicht für die Einheit eingesetzt haben. Dann haben wir die inhaltliche Diskussion, zu der ich will und vor der sich die SPD fürchtet.
Das ganze hat dennoch nichts damit zu tun, daß manche Auswüchse der momentanen Diskussion ausgesprochen lächerlich sind. In diesem Punkt scheinen wir uns wohl einig zu sein. Sie werden aber vermutlich ahnen, wo ich den Grund für diese Diskussion ansiedle: Die Sozialdemokraten drücken sich nun mal davor, diese Tatsachen anzuerkennen.
Letztenendes werden die Historiker all dies zu klären haben.
Antwort auf den Kommentar von Herrn Belafi
von: Florian Wachter
- fwachter@e-politik.de
Datum: 29.09.2000
Lieber Herr Belafi, vielen Dank für Ihre Reaktion auf meinen Kommentar "Böses Foul, Herr Merz!". Es zeigt, dass er genau das erreicht hat, was ein Kommentar erreichen sollte. Nämlich eine kontroverse Diskussion anzuregen. Kommentare sind subjektive Meinungsäußerungen. Warum ich in ihren Augen allerdings niveaulos kommentiert hätte, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Auch nicht, wo ich unlauter gearbeitet hätte. Sagen Sie es mir. Dann müssten allerdings auch viele deutsche Zeitungskommentatoren bei ihren Beiträgen zur Merz-Rede mit Unterstellungen gearbeitet haben ... Ich werfe Ihnen jedenfalls nicht vor, in Ihrem Kommentar unlauter zu arbeiten ... nur weil Sie eine andere Meinung vertreten. Das hätten auch Sie nicht nötig gehabt. Grundsätzlich halte ich allerdings so manches Politikerstatement dieser Tage in Sachen "Deutsche Einheit" für schäbig und unlauter. Da mache ich keinen Unterschied zwischen den Parteien, zwischen SPD, CDU/CSU, FDP, den Grünen oder der PDS. Fast könnte man den Eindruck haben, man stünde vor einem Haufen Kleinkinder, die ihre Sandburgen verteidigen ...
Böses Foul, Herr Wachter!
von: Matthias Belafi
- matthias@belafi.de
Datum: 24.09.2000
Dieses Niveau der Kommentierung war ich von e-Politik bislang nicht gewohnt. Florian Wachter arbeitet mit Unterstellungen und unlauteren Methoden, die er eigentlich Friedrich Merz zuschreiben möchte. Von "vaterlandlosen Gesellen" ist beim Oppositionsführer keineswegs - nicht einmal unterschwellig - die Rede. Wachter kann seine Vorwürfe überhaupt nicht untermauern. Und die wenigen Belege, die er anführt, widerlegen ihn selbst. Er verfährt vielmehr nach dem altbewährten Rezept: "Immer nur kräftig verleumden. Irgendetwas bleibt immer hängen." Merz hat doch vollkommen recht: Die Einheit, die die Sozialdemokraten wollten, war unrealistisch. Wer zweifelt denn noch am "window of opportunity", das Helmut kohl geschickt genutzt hat, bewußt oder unbewußt. Und es ist ja wohl legitim, dies anzuführen, wo die jetzigen Regierungsparteien sich anschicken, zum zehnten Jahrestag der Einheit Kohl selbst seine Verdienste um diese streitig zu machen. Schön, Schröder mag sich daran nicht beteiligen, aber was hilft das bei einer Fraktion von fast 300 Abgeordneten! Man kann momentan zu Kohl stehen wie man möchte, aber daß es die Einheit ohne seine damalige, nun mal CDU-geführte Regierung so nicht gegeben hätte, ist ja wohl nicht von der Hand zu weisen. Selbst Gregor Gysi weiß Kohl in dieser Frage zu verteidigen. Wenn SPD und Grüne dazu nicht in der Lage sind, ist es nicht nur Merz' gutes Recht, sondern seine Pflicht als Oppositionsführer darauf hinzuweisen, auch in einer Tonart wie sie der Haushaltsdebatte nun mal zukommt. Stellt sich also nur heraus, daß Hans Eichel ein solches Sensibelchen ist, daß er diese leicht überspitzt formulierte Wahrheit nicht ertragen kann. Florian Wachter darf sich gerne einreihen.
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