von: tito gandini (www.wema.com)
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Datum: 05.11.2003
... und gleich von der "Regimepresse feierlich zitiert"
Ein gutes Zeichen für Italien Von Heinz-Joachim Fischer 02. November 2003 Kein Tag vergeht in Italien, an dem nicht die Justiz von sich reden machte. Je nach Standpunkt erfreut oder ergrimmt sie die Bürger. Aber oft verwundert es nur noch, was in den Gerichtssälen der Justizpaläste so alles geschieht - oder nicht geschieht, wenn sich die Prozesse über Jahre dahinschleppen. An die lange Dauer der Rechtsverweigerung, von internationalen Organisationen oft kritisiert, hat man sich in Italien gewöhnt. Von angelsächsischer oder altdeutscher Rechtsauffassung ist man in Mailand ebenso weit entfernt wie in Palermo, jedenfalls in der Praxis.
Theoretisch ist die italienische Justiz als dritte Macht im Staat unabhängig wie in jeder anderen ordentlichen Demokratie. So steht es in der Verfassung. Sie ist sogar sehr unabhängig, weil die Kontrolle durch die Exekutive, das Weisungsrecht der Justizminister, fast völlig fehlt. Doch Staatspräsident Ciampi sah jetzt aufs neue Anlaß, vor dem Obersten Richterrat (CSM) in Rom, dem Selbstverwaltungsorgan der "Magistrati", diese Unabhängigkeit anzumahnen, in beide Richtungen. Den Richtern und Staatsanwälten gebühre Respekt, so Ciampi; ihre Autonomie und Unabhängigkeit seien unantastbar, vor allem von seiten der Politiker. Dabei schien der Blick des Staatspräsidenten nach Meinung vieler auf Ministerpräsident Berlusconi zu fallen. Dessen Schwierigkeiten mit der Justiz sind bekannt. Er scheint nicht dagegen gefeit zu sein, durch neue Gesetze und mit Kontrollen durch das Justizministerium die Justiz disziplinieren zu wollen.
Aber ebenso deutlich ermahnte Ciampi die höchsten Vertreter der Magistratura - andere Länder kommen ohne ein solches Organ aus -, "auch in ihrem Verhalten autonom und unabhängig zu erscheinen". Hoffentlich hat der Präsident da nicht in den Wind geredet. Denn sowohl die acht vom Parlament bestimmten als auch die 16 in den Standesvereinigungen gewählten Magistrati des CSM sind parteipolitisch festgelegt. Auch Richter und Staatsanwälte dürfen eine politische Meinung haben; aber Recht einklagen, prüfen und sprechen müssen sie unbeeinflußt davon. Genau daran gebricht es nach Meinung von immer mehr Bürgern. Die Magistrati hätten offenbar vor allem die Politik im Kopf, monieren sie. Gewiß trifft das nur in wenigen Fällen zu. Doch diese sind um so spektakulärer und deshalb geeignet, das Vertrauen der Bürger in die Justiz zu erschüttern.
Staatsanwälte und Richter hatten ihre große Zeit vor zehn Jahren. Damals hatten die Bürger akzeptiert, daß sich die Magistrati in die Politik einmischten und die führenden Politiker noch vor einem Prozeß und vor rechtsgültigen Urteilen diskreditieren konnten. Ein Bescheid der Staatsanwaltschaft galt als Schuldspruch. Inzwischen sind die Waffen der Staatsanwälte stumpf, selbst die Urteile der Richter kraftlos geworden. Denn die Revolution der Magistrati ist vorbei. Seit Jahren meinen die Bürger, es seien nun genug Köpfe gerollt. Zudem betrat vor genau zehn Jahren ein erfolgreicher Medienunternehmer die politische Bühne: Silvio Berlusconi, bei dem die herkömmlichen Mittel der Justiz sich als machtlos erwiesen. Weniger, weil Berlusconi mit seinen drei nationalen Fernsehkanälen so mächtig wäre, sondern weil die Wähler bei den Parlamentswahlen als auch in Volksentscheiden der Justiz einen weiteren Zuwachs an politischer Macht versagten.
Da Staatsanwälte und Richter gegen Berlusconi und andere zwar lange Ermittlungen und Prozesse führten, dem Publikum aber eindeutige Beweise schuldig blieben, brachten sie sich immer mehr um ihre Glaubwürdigkeit. Berlusconi konnte mit seinen Hinweisen auf die Politisierung der Magistrati Zustimmung finden. Seine Auseinandersetzungen mit der Justiz schienen immer mehr zu einem politischen Streit zu werden, in dem es den Bonus des überparteilichen Rechts nicht mehr gab. Als letzter bestätigte jetzt der Präsident des Senats, Pera, diese gefährliche Entwicklung hin zum "politischen Kampf".
Dessen Opfer war zehn Jahre lang Giulio Andreotti, zwischen 1972 und 1992 siebenmal Ministerpräsident Italiens, davor Leiter fast aller wichtigen Ministerien in Rom, kurzum das Symbol jahrzehntelanger christlich-demokratischer Herrschaft in Italien. Staatsanwälte haben ihn seit 1993 in einem ersten Prozeßstrang (in Palermo) wegen Verbindung zur Mafia verfolgt; in einem zweiten Prozeß (in Perugia) wurde er gar des Mordes an dem Journalisten Pecorelli im März 1979 beschuldigt. Die Ankläger taten mit kafkaesker Unschuld jahrelang so, als ob es ernsthafter Erwägung wert wäre, daß der bekannteste und international angesehene Politiker nichts anderes sei als ein intelligenter Mafioso. Nun hat in dritter und letzter Instanz das oberste Berufungsgericht den Mordvorwurf als sinnloses Gespinst von unhaltbaren Mutmaßungen klassifiziert. Andreottis Freispruch (im Mordfall Pecorelli) war ein Todesurteil für die politisierte Justiz. Dieser bleibt der zweifelhafte Trost, daß sie zehn Jahre lang Andreotti und die "Democrazia Cristiana" nach Herzenslust diskreditieren konnte. Wegen der angeblichen Mafia-Verbindung steht ähnliches vom Kassationshof noch aus.
Das Bild einer nicht mehr auf die Realität bezogenen Justiz in Italien rundet ab, daß jüngst ein Richter in dem Abruzzen-Hauptort L'Aquila die Entfernung eines Kruzifixes aus einem dörflichen Klassenzimmer anordnete. Ob er nur unerfahren oder übereifrig war - der Zorn der katholischen Bürger und die Reaktionen der Politiker quer durch alle Parteien lehrten, daß nicht das Recht selbst, aber sehr wohl seine Diener ihren Dienst immer noch "im Namen des Volkes" versehen. Daß im Fall Andreotti jetzt das höchste Berufungsgericht, im Kruzifix-Streit gesunder Gemeinsinn die verirrten Magistrati zur Ordnung rief, ist ein gutes Zeichen für Italien. Eine Reform der Justiz, eine Entpolitisierung der Rechtsdiener könnte dadurch leichter werden.
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