Die Prag - Tagebücher, Folge 3
Autor : e-politik.de Gastautor E-mail: redaktion@e-politik.de Artikel vom: 17.01.2002
Wenn einer eine Reise tut... Studentin Joyce Mariel berichtet für e-politik.de von ihrem Erasmus-Studium in Prag. Ein kleines elektronisches Tagebuch.
Hallo zusammen,
es ist Donnerstag, also mal wieder Zeit, mich mit neuen Dingen aus unserem kleinen schmucken Nachbarland zu melden. Sorry an alle, denen ich bisher noch nicht persönlich geschrieben habe, aber wie viele andere Dinge hier befindet sich die Internet-Anschlußsituation durchaus noch im Aufbau, das heißt im Klartext, ich komme nicht so oft und so lange an einen Internetanschluß heran, wie ich gerne möchte.
Im Aufbau befindet sich auch die tschechische Armee. Überall in Prag aber vor allem auf der Flaniermeile Nr.1, dem Wenzelsplatz, sieht man sie: junge Soldaten in schicken Uniformen meistens mit überglücklichen, kurzberockten und stark geschminkten Mädels im Arm. Man könnte also einen guten Eindruck von der tschechischen Armee bekommen, wenn man´s nicht besser wüsste ... Szenenwechsel.
Ende September hat die tschechische Regierung aufgrund der Anschläge in den USA die Botschafter von Israel und den Vereinigten Staaten zu einem Manöver eingeladen, um zu demonstrieren, wie sicher israelische und amerikanische Einrichtungen in der Tschechischen Republik sind. Abgesehen von der Tatsache, daß unser gutes Nachbarland wegen mangelnder weltpolitischer Bedeutung ohnehin keiner angreift, eine nette Geste. Und so waren auch alle anwesend, als die Armee ihre gesamte Ausrüstung (teilweise noch aus Sowjetzeit wie die Prager U-Bahn Waggons) aufgefahren hat und ihr Können unter Beweis gestellt hat.
Dummerweise ging das total daneben: den Jungs fielen sogar ihre Maschinengewehre aus der Hand. Trotzdem wurde ein Aufgebot von fünf Panzern nach Prag in die Nähe des Wenzelsplatzes geschickt, um die Zentrale von Radio Free Europe zu beschützen - zwei kamen auch an. Und die Mannschaft in diesen zwei Panzern tat nun alles daran, möglichst grimmig das Gebäude zu umstellen, Seitenstraßen abzusperren und den Verkehr komplett zu blockieren und ihre Maschinengewehre seltsam krampfhaft festzuhalten.
Das hinderte ein paar gewitzte Prager allerdings nicht daran, den verbliebenen zwei Panzern eines Nachts die Lichter zu klauen. :))) Was soll man dazu noch sagen? Vielleicht: "there is a Schwejk in all of them."
Trotz ihrer Armee sind Tschechen unglaublich stolz auf ihr schönes Land, so stolz, daß sie Ausländern, die Tschechisch sprechen, auf einmal einen magischen Rabatt auf Eintrittskarten, Zigaretten, Taxifahrten und Bier geben. Und wehe dem, der es wagt, die Tschechische Republik nach Osteuropa zu verlegen! Der Osten sind immer die anderen, wir sind hier in Zentraleuropa, oder patriotischer: im Herzen Europas. Diese Europaorientierung kommt vor allem bei den Politologen in zahlreichen Seminaren über die EU ans Licht. Diese Seminare (ich besuche hier die MA-classes) sind exzellent - EU für Fortgeschrittene, nicht für Beitrittskandidaten.
Allerdings hat das Interesse an Politik ungefähr seit 1995 rapide nachgelassen, und so ist Politikwissenschaft zur Zeit das out-Fach schlechthin. Weit höher in der Rangordnung rangieren private FHs, in denen man Personalmanagement, Buchhaltung etc. lernen kann. An der Spitze von allem stehen natürlich die Ökonomen, allerdings genießen Prager Mathematiker wirklich Weltruhm, können diese doch auf eine Jahrhunderte alte Tradition bauen.
Aber auch der Rest von Europa, repräsentiert durch meine Mit-ERASMUS Komilitonen, birgt trotz aller Verbundenheit noch einige Besonderheiten, hier grob skizziert (die folgenden Formulierungen sind natürlich nicht repräsentativ für die ganze Nation, das sei hier für die politisch korrekten angefügt):
- Finnen trinken viel (Kunststück bei den Preisen), haben aber alle durch die Bank ein leicht düsteres, destruktives Gemüt.
- Italiener haben Heimweh
- Spanier haben Heimweh
- Österreicher fühlen sich wie daheim
- Franzosen (männlich) cherchen la femme und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus
- Schwedinnen versuchen den Erwartungen, die ihnen vorauseilen, gerecht zu werden (die Mär von den steilen schwedischen Frauen hält sich noch immer)
- UK: very special indeed.
Ich habe das Glück, mit zwei zuckersüßen Irinnen zusammenzuwohnen, die mich irgendwann gefragt hatten, ob Maurizio, unser Quotenitaliener etwas gegen sie hätte, er sei immer so laut und so direkt. Ich muß mich im Gegenzug an den rhetorischen Charakter der Formulierung "Would you mind..." gewöhnen, die ich meistens mit einem bayerisch-grantligen "Ja freilich, macht mir des nix aus." in direkter englischer Übersetzung beantworte. Im allgemeinen sind unsere Iren verglichen mit den Engländern temperamentvoller, fröhlicher und haben mehr Esskultur, wobei es vor allem dahingehend noch einige Differenzen zwischen uns gibt.
Meine Lieben, das war´s auch schon wieder aus der tschechischen Hauptstadt. Ich habe versucht, die ganze Sache amüsant und nicht zu lang zu gestalten, damit ihr alle einen kleinen Eindruck habt, was hier bei mir so los ist.
Bis zum nächsten Mal
Joyce
Fortsetzung folgt
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