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Die Prag - Tagebücher, Folge 2

Autor :  e-politik.de Gastautor
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 21.12.2001

Wenn einer eine Reise tut... Studentin Joyce Mariel berichtet für e-politik.de von ihrem Erasmus-Studium in Prag. Ein kleines elektronisches Tagebuch.


Meine Lieben,

Zeit, dass ich mich mal wieder melde. Dieses Mal mit etwas ausführlicheren Betrachtungen do Praze. Schließlich habe ich mich schon ein bisschen eingelebt. Viele solcher Emails fangen ja mit Beschreibungen der nationalen Identität im allgemeinen an, da kann ich natürlich nicht hinten an stehen.

Also - der Tscheche an sich ist... Ja, wie ist er eigentlich? Der tschechische Student ist hochmotiviert, wie ich in Vorlesungen bereits schon miterleben konnte und kommt aus reichem Elternhaus. Der männliche tschechische Student sieht eher nach russischem KGB-Mitglied in Sozialhilfejacke aus, die studierende Tschechin ist oft sehr hübsch, sehr stark geschminkt und sehr knapp bekleidet.

Eine Eigenschaft zieht sich durch die gesamte Volksmentalität: die Tschechen können allesamt gerne mal Fünfe gerade sein lassen, was sich vor allem in der Arbeitsmoral niederschlägt. In Restaurants sind wahrscheinlich schon ein paar Leute verdurstet.

Ansonsten: österreichische Verhältnisse. Die Regierung hat einen Oppositionsvertrag abgeschlossen, es bewegt sich nichts vorwärts und nichts zurück. Und in den Höflichkeitsformeln sind sie genauso galant wie ihre ehemaligen Herrscher, "Bitte der Herr! Danke die Dame!" - wohin man hört. Die tschechische Höflichkeitsanrede entspricht der zweiten Person Plural. Wenn man gesiezt wird, heißt das also wörtlich: "Würdet Ihr, könntet Ihr?".

Weitere nationale Eigenheiten: Korruption und ein Rechtssystem im Aufbau - sehr spannend. Früher war es hier üblich bei Arztbesuchen oder Amtsgängen was "Kleines" mitzubringen. Eine Packung Kaffee, 'ne Flasche Schnaps oder Ähnliches. Das ist jetzt soweit fortgeschritten, dass bei größeren Geschäften immer einer mit einem großen Koffer hinterherläuft - sagt zumindest mein Chef. Und: Revision des Schuldrechts, weil keiner mehr eine Rechnung bezahlt hatte.

Bei uns ist es ja so, dass man nach zwei Mahnungen einen Brief vom Rechtsanwalt kriegt. Hier musste man bis vor Kurzem - auch nach einem Gerichtsverfahren - zu seinem Schuldner hin und ihm sagen: "Entweder du bezahlst jetzt oder ich pfände dir dein Auto, dein Haus und deinen Fernseher! BIST DU DAMIT EINVERSTANDEN?" Wer sagt da schon "ja"? Nur: ohne Einverständniserklärung ging leider gar nichts.

Es grüßt euch aus dem wilden Osten
Eure Joyce

Fortsetzung folgt...

Foto: Joyce Mariel / e-politik.de

 


Zur Folge 1 der Prag - Tagebücher


   


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