Im Anschluss an die verlorene Bundestagswahl 1990 gelang den Grünen (nach einer kurzen Durchhängerperiode) eine beeindruckende Erfolgsstory. Von 1992 bis 1998 gewannen sie fast bei allen Wahlen hinzu, vereinigten sich 1993 mit dem Bündnis 90 zu einer gesamtdeutschen Partei und traten nach der Bundestagswahl 1998 erstmals in eine Bundesregierung ein. Seitdem scheint alles gegen sie zu laufen. Man verliert fast alle Wahlen, Minister haben starke Probleme bei der Amtsführung und heftigste parteiinterne Streitereien über ureigene Themen wie Kriegseinsatz der Bundeswehr, Atomausstieg und Öko-Steuer belasten die politische Arbeit.
Was läuft da falsch? Dieser Frage geht der Hamburger Politikwissenschaftler Joachim Raschke nach. Raschke, der mit seinem Buch "Die Grünen. Wie sie wurden, was sie sind" (1993) bereits eine Fundamentalstudie über die grüne Bewegung vorgelegt hat, präsentiert mit "Die Zukunft der Grünen" eine Studie, die sich mit den Grünen seit der Wiedervereinigung befasst und dabei insbesondere die Zeit seit der Übernahme der Regierungsverantwortung im Herbst 1998 behandelt.
Fehlendes Steuerungszentrum
Beobachter sind sich einig: Die rot-grüne Bundesregierung hat im ersten Jahr ihres Bestehens ein desolates Erscheinungsbild geboten. Doch der SPD gelang es im zweiten Jahr, nach Abgang von Oskar Lafontaine und Bodo Hombach, ein neues, wirkungsvolles Steuerungszentrum zu etablieren: Bundeskanzler Schröder übernahm den Parteivorsitz, Frank-Walter Steinmeier stieg zum Leiter des Kanzleramts auf und Franz Müntefering kehrte an die Spitze der Parteiorganisation zurück.
Die Grünen haben ein solches Zentrum bis heute nicht. Die Erklärung ist laut Raschke ganz einfach: Ihnen sei es vor dem Eintritt in die Bundesregierung nicht gelungen, ein arbeitsfähiges Steuerungszentrum in der Partei zu etablieren. Heute gebe es zwei Fraktionsvorsitzende, zwei Parteisprecher, drei Bundesminister und diverse Landesminister. Nur: Diese bildeten kein operatives Steuerungszentrum - verstanden als ein drei bis fünf Personen starkes Gremium, welches die Spitzen von Partei, Fraktion und Regierung mit einbezieht.
Gelang die Etablierung eines solchen Gremiums schon in Oppositionszeiten nicht, argumentiert Raschke, so sei diese Aufgabe als kleinerer Partner in einer Regierungskoalition noch schwieriger. Gründe für ein Fehlen dieses Zentrums, seien Strömungskämpfe zwischen Links und Rechts, mangelnde Organisation auf Bundesebene zugunsten der Landesverbände, unzureichende Darstellung der eigenen politischen Ziele in der Medienöffentlichkeit sowie anti-elitäre Strömungen gegenüber den "Parteistars" Fischer und Trittin.
Grüne Politikfelder
Im Hauptteil des Buches untersucht Mitautor Achim Hurrelmann die Erfolge und Versäumnisse der Grünen in ausgesuchten Politikfeldern: Umweltpolitik, Atomausstieg, neue Energiepolitik, Ökosteuer, "Verkehrswende" und Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Durch die Abhandlung dieser spezifischen Politikfelder, sowie durch die umfassende Einbeziehung der SPD, weitet sich Raschkes Buch über die Grünen unter der Hand zu einer Studie über die gesamte rot-grüne Bundesregierung aus - auch aus diesem Grund ist das Buch lesenswert.
Fazit
Wer einen Einblick in die Geschichte der Grünen aus der Partei heraus gewinnen möchte, der greife für den "Realo-Flügel" zu Hubert Kleinerts Buch "Vom Protest zur Regierungspartei. Die Geschichte der Grünen" (1992). Wer vor allem Kritik des "Fundi-Flügels" an den heutigen Grünen nachvollziehen möchte, lese Jutta Ditfurths Buch "Das waren die Grünen. Abschied von einer Hoffnung" (2000). Für einen generellen Überblick über die jüngste Entwicklung der Grünen, sowie eine Diskussion der Zukunftschancen dieser Partei in und außerhalb der Bundesregierung, dürfte Raschke jedoch das Standardwerk geschrieben haben.
Joachim Raschke: "Die Zukunft der Grünen. So kann man nicht regieren."
Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2001, 470 Seiten
49,90 DM