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Die Prag-Tagebücher, Folge 5

Autor :  e-politik.de Gastautor
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 09.03.2002

Wenn einer eine Reise tut... Studentin Joyce Mariel berichtet für e-politik.de von ihrem Erasmus-Studium in Prag. Ein kleines elektronisches Tagebuch.


Meine Lieben,

sitzt Ihr bequem? Kann Euch niemand hören – zumindest niemand, vor dem Ihr Euch nicht peinlich benehmen wollt? Ja? Dann atmet mal ganz tief durch, die Schultern lockern und jetzt sprecht mir nach: "smrslina". Nein, ohne Vokale am Anfang! "smrs-li-na!" Ja, schon besser und jetzt die Übung für Fortgeschrittene "trh" Ja, ihr habt richtig gelesen - "trh". Nicht zu verwechseln mit "krk" oder "strp" - einfach "trh". Die Wörter heißen in der Übersetzung „Eiskrem“, geschrieben zmrzlina, „Markt“, „Hals“ und „stecken“.

Wie Ihr wahrscheinlich schon ahnen könnt, geht es heute um die Eigenheiten der tschechischen Sprache. Eine Sprache, die "stul" sagt und Tisch meint; eine Sprache, die einen Baum „strom“ nennt.

Ich war neulich auf einer Party. Ein tschechischer Student hatte eine Flasche Zlivovitz mitgebracht, selbstgebrannt aus Muttis Keller. Ich hab den Tschechen nach seinem Namen gefragt. Er hieß Jiøi. Ich hatte ihn zuerst nicht verstanden, deswegen meinte ich schließlich mit einem Lächeln auf dem Lippen und einem Stamperl Schnaps in der Hand "Ahh, Jirschi!" Antwort Jiøi: "Nein, Ji**i!" Ich: "Sag ich doch, Jirschi!", darauf er "Nein, Ji**i!"

"Georg", so heißt er in der deutschen Übersetzung, tröstete mich schließlich ungemein mit der Tatsache, dass kleine tschechische Muttersprachler das ø auch erst als letztes lernen. Dekuji moc!

Als ich hier ankam, hatte ich ein Semester Tschechisch für Nichtslawisten in München belegt. Wenn ich heute hier durch die Stadt gehe, erkenne ich einzelne kleine Wörter aus einem Wust von Unverständlichkeiten. Erinnert Ihr Euch noch, wie es war, als Ihr noch nicht lesen konntet? Ja, genauso geht’s mir gerade. Kleiner Trost: wenn "Joyce jse blba" (Joyce ist doof) an der Wand stehen würde, könnte ich es erkennen. Und wenn ich einfache Texte nur lange genug hypnotisiere, erschließt sich mir langsam der Sinn. Letztens habe ich das bei Pornofilmen an der Tankstelle versucht. Als ich die Titel identifiziert hatte, hörte der Tankwart auf, aufgeregt in sein Telefon zu flüstern.

Das Tschechische hat sieben Fälle. Wie im Deutschen wird nach Maskulin, Feminin oder Neutrum unterschieden. Jedes Geschlecht hat noch mindestens zwei Endungen, dazu kommen noch die Pluralendungen. Macht meinen bescheidenen Mathematikkünsten zufolge 84 verschiedene Endungsmöglichkeiten. Und das Geschlecht eines Wortes muss nicht immer logisch sein. Aus unserem guten alten Bundesadler wird in der wörtlichen Übersetzung "die Bundesadlerin"! Und schon sind wir bei einem weiteren Phänomen: das „-ova!“ „Já jsem paní Marielova. Bydlim na Kratochvilova èislo 13. A jestli chcem jit do kina, budu vystupovat metrem na stanice Muslova.“ „-ova“ heißt "gehörend" also eine klassische Genitivform. Und die Kratochvilova-Straße gibt’s hier wirklich, sie ist bei mir um die Ecke.

Sehr amüsant sind auch Deklinationen von männlichen Namen. "Christiane" aus meinem Tschechischkurs weiß, was ich meine. Im Genitiv wird ganz schnell aus einem Petr Petra, im Vokativ aus dem guten alten Christian schnell eine Christiane. Und das alles schmerzfrei ...

Am besten sind immer noch die Gesprächspartner, die keine anderen Fremdsprachen sprechen. Ansonsten fangen alle gleich an, mir auf deutsch oder englisch zu antworten. Ich iiieebe jo immer schon fiier den behmischen Akzent im deitschen, aber es ist doch jedesmal ein kleiner Triumph, überhaupt ein Wort mit der passenden Endung rauszukriegen, da achte ich nicht mehr auf meinen Akzent.

Schlimmer ist da aber noch der japanische Akzent von Kazoito, unserem Quotenjapaner. Wie er und seine Landsleute nun mal sind, spricht er bereits ein exzellentes Tschechisch, nur mit japanischer Aussprache. Allerdings waren die Tschechen, mit denen er gesprochen hat, bisher alle so überrascht über einen Japaner, der Tschechisch spricht, dass sie ihm seine Aussprache nicht übel genommen haben.

Ich hoffe nur, dass die Damen und Herren in Brüssel, die die Amtssprachen festlegen, nicht auf die dumme Idee kommen, Tschechisch einen zu hohen Stellenwert einzuräumen. Aber ich ahne Fürchterliches, die Franzosen haben ja auch ihre Sprache durchgesetzt.

Es ist ja nur gut, dass Russisch und Tschechisch so ähnlich sind. Erstens für tschechische Bankräuber, die verstärkt russisch miteinander reden, um die Spur auf die Russenmafia zu lenken. Zweitens für eine mala studentka nìmecka, die jetzt in die hospoda geht, um ein pivo zu bestellen und davon träumt, irgendwann "Krieg und Frieden" im Original lesen zu können. Aber vorher muss sie noch fleißig Deklinationen üben. „Student - Studenta- Studentì... Studentka-Studenty-Studentìm ...

Joyce


Zur Folge 4 der Prag-Tagebücher

Foto: Copyright bei Joyce Mariel / e-politik.de


   


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