Meine Lieben,
sitzt Ihr bequem? Kann Euch niemand hören – zumindest
niemand, vor dem Ihr Euch nicht peinlich benehmen wollt? Ja? Dann atmet mal
ganz tief durch, die Schultern lockern und jetzt sprecht mir nach:
"smrslina". Nein, ohne Vokale am Anfang! "smrs-li-na!" Ja, schon besser
und jetzt die Übung für Fortgeschrittene "trh" Ja, ihr habt richtig
gelesen - "trh". Nicht zu verwechseln mit "krk" oder
"strp" - einfach "trh". Die Wörter heißen in der
Übersetzung „Eiskrem“, geschrieben zmrzlina, „Markt“, „Hals“ und „stecken“.
Wie Ihr wahrscheinlich schon ahnen könnt, geht es heute um
die Eigenheiten der tschechischen Sprache. Eine Sprache, die "stul"
sagt und Tisch meint; eine Sprache, die einen Baum „strom“ nennt.
Ich war neulich auf einer Party. Ein tschechischer Student hatte
eine Flasche Zlivovitz mitgebracht, selbstgebrannt aus Muttis Keller. Ich hab
den Tschechen nach seinem Namen gefragt. Er hieß Jiøi. Ich hatte ihn zuerst
nicht verstanden, deswegen meinte ich schließlich mit einem Lächeln auf dem
Lippen und einem Stamperl Schnaps in der Hand "Ahh, Jirschi!" Antwort
Jiøi: "Nein, Ji**i!" Ich: "Sag ich doch, Jirschi!", darauf
er "Nein, Ji**i!"
"Georg", so heißt er in der deutschen Übersetzung,
tröstete mich schließlich ungemein mit der Tatsache, dass kleine tschechische
Muttersprachler das ø auch erst als letztes lernen. Dekuji moc!
Als ich hier ankam, hatte ich ein Semester Tschechisch für
Nichtslawisten in München belegt. Wenn ich heute hier durch die Stadt gehe,
erkenne ich einzelne kleine Wörter aus einem Wust von Unverständlichkeiten.
Erinnert Ihr Euch noch, wie es war, als Ihr noch nicht lesen konntet? Ja,
genauso geht’s mir gerade. Kleiner Trost: wenn "Joyce jse blba"
(Joyce ist doof) an der Wand stehen würde, könnte ich es erkennen. Und wenn ich
einfache Texte nur lange genug hypnotisiere, erschließt sich mir langsam der
Sinn. Letztens habe ich das bei Pornofilmen an der Tankstelle versucht. Als ich
die Titel identifiziert hatte, hörte der Tankwart auf, aufgeregt in sein
Telefon zu flüstern.
Das Tschechische hat sieben Fälle. Wie im Deutschen wird
nach Maskulin, Feminin oder Neutrum unterschieden. Jedes Geschlecht hat noch
mindestens zwei Endungen, dazu kommen noch die Pluralendungen. Macht meinen
bescheidenen Mathematikkünsten zufolge 84 verschiedene Endungsmöglichkeiten.
Und das Geschlecht eines Wortes muss nicht immer logisch sein. Aus unserem
guten alten Bundesadler wird in der wörtlichen Übersetzung "die
Bundesadlerin"! Und schon sind wir bei einem weiteren Phänomen: das
„-ova!“ „Já jsem paní Marielova. Bydlim
na Kratochvilova èislo 13. A jestli chcem jit do kina, budu vystupovat metrem
na stanice Muslova.“ „-ova“ heißt "gehörend" also eine klassische
Genitivform. Und die Kratochvilova-Straße gibt’s hier wirklich, sie ist bei mir
um die Ecke.
Sehr amüsant sind auch Deklinationen von männlichen Namen.
"Christiane" aus meinem Tschechischkurs weiß, was ich meine. Im
Genitiv wird ganz schnell aus einem Petr Petra, im Vokativ aus dem guten alten
Christian schnell eine Christiane. Und das alles schmerzfrei ...
Am besten sind immer noch die Gesprächspartner, die keine
anderen Fremdsprachen sprechen. Ansonsten fangen alle gleich an, mir auf
deutsch oder englisch zu antworten. Ich iiieebe jo immer schon fiier den
behmischen Akzent im deitschen, aber es ist doch jedesmal ein kleiner Triumph,
überhaupt ein Wort mit der passenden Endung rauszukriegen, da achte ich nicht
mehr auf meinen Akzent.
Schlimmer ist da aber noch der japanische Akzent von
Kazoito, unserem Quotenjapaner. Wie er und seine Landsleute nun mal sind,
spricht er bereits ein exzellentes Tschechisch, nur mit japanischer Aussprache.
Allerdings waren die Tschechen, mit denen er gesprochen hat, bisher alle so
überrascht über einen Japaner, der Tschechisch spricht, dass sie ihm seine
Aussprache nicht übel genommen haben.
Ich hoffe nur, dass die Damen und Herren in Brüssel, die die
Amtssprachen festlegen, nicht auf die dumme Idee kommen, Tschechisch einen zu
hohen Stellenwert einzuräumen. Aber ich ahne Fürchterliches, die Franzosen
haben ja auch ihre Sprache durchgesetzt.
Es ist ja nur gut, dass Russisch und Tschechisch so ähnlich
sind. Erstens für tschechische Bankräuber, die verstärkt russisch miteinander
reden, um die Spur auf die Russenmafia zu lenken. Zweitens für eine mala
studentka nìmecka, die jetzt in die hospoda geht, um ein pivo zu bestellen und
davon träumt, irgendwann "Krieg und Frieden" im Original lesen zu
können. Aber vorher muss sie noch fleißig Deklinationen üben. „Student -
Studenta- Studentì... Studentka-Studenty-Studentìm ...“
Joyce
Zur Folge 4 der Prag-Tagebücher
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