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Bomben für die Freiheit

Autor :  Philipp Nowack
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 16.06.2001

Seit 26 Jahren gehören politisch motivierte Attentate zum Alltag auf der Insel Korsika. Hintergründe und weiterführende Links von Philipp Nowack.


Ein von der Pariser Nationalversammlung in Auftrag gegebener Kommissionsbericht zählte zwischen 1973 und 1998 insgesamt 8760 Anschläge. Ziele sind zumeist Einrichtungen und Repräsentanten der französischen "Besatzungsmacht". Manchmal sind sich die Separatisten auch selbst im Weg.

Die jüngere Geschichte der politischen Zerwürfnisse beginnt Ende der 50er Jahre. Der französische Staat versuchte damals, durch zentrale Wirtschaftsplanung den ökonomischen Rückstand der Insel zu beseitigen und bildete dazu Planungsgremien, die sich vor allem der landwirtschaftlichen und touristischen Expansion widmeten. Parallel dazu artikulierte sich - nicht nur in Korsika - ein Regionalbewusstsein, das die zentrale Steuerung für unangemessen hielt.

Der Tag X auf dem Weingut

Als Tag X gilt der 21.8.1975. Ein Kommando des regionalistischen ARC (Action régionaliste Corse) besetzt ein Weingut französischer Algerienheimkehrer - "pieds noirs" genannt. Indem man ihnen vorwirft, Wein zu panschen, will man in Wirklichkeit den französischen Staat treffen. Die Expansion an Weinbergen, aus denen vor allem billiger Fusel und Verschnittweine gewonnen werden, geschehe am Willen und an den Bedürfnissen der Korsen vorbei. Angeheizt wird die Situation dadurch, dass vor allem Algerienheimkehrer gegen billige Kredite angesiedelt werden. Die Besetzung wird unter großem Polizeiaufgebot gewaltsam aufgelöst, zwei Polizisten sterben, der Anführer des Separatisten-Kommandos wird zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, wegen guter Führung aber frühzeitig entlassen.

In der Folge wird der ARC verboten, stattdessen gründet sich die FLNC (Front de Libération Nationale de la Corse; Nationale Befreiungsfront) nach dem Vorbild der algerischen FLN. Spätestens seit diesem Datum kann man von einem militanten korsischen Nationalismus sprechen, der die Zugehörigkeit zu Frankreich gewaltsam bekämpft. Die Moderaten, Reformorientierten gründen die UPC (Union du Peuple Corse). Nur das Bekenntnis zu einem korsischen Volk, dessen Geschichte nach deren Lesart eine der Unterdrückung durch wechselnde Besatzer ist, ist Klammer aller Gruppen. Unterschiede betreffen Militanz und Zielsetzungen der jeweiligen Gruppierungen, unter denen die UPC bald an politischem Gewicht verliert.

Schutzgeld und Bruderkampf

1983 wird die FLNC nach mehreren Attentatsserien verboten und geht in den Untergrund. Einem größeren Publikum wird sie fortan durch bizarre nächtliche Pressekonferenzen in der Macchia bekannt, wobei sich die Protagonisten schwer bewaffnet und vermummt den Journalisten "stellen". Für die politische Vertretung sorgen nach dem Beispiel der nordirischen Sinn Fein legale Ableger. Obwohl sich das Nationalisten-Lager in mehrere Parteien aufsplittet, schafft es bei den Wahlen zur Regionalversammlung 1992 ein Rekordergebnis: Zusammen erreichen sie 25%. Die im Untergrund operierenden Spaltprodukte der FLNC liefern sich vermehrt einen "Bruderkampf".

Beobachter führen das auch auf die Konkurrenz um finanzielle Mittel zurück. Die "Revolutionssteuer" - zumeist Schutzgelder und Erlöse aus eigenen wirtschaftlichen Unternehmen, - fließt nach beträchtlicher Kapitalabwanderung nicht mehr so opulent. Mafiöse Tendenzen etablieren und verselbständigen sich. Ein Gang-Krieg bricht zwischen den rivalisierenden Gruppen aus, der 1993 sein erstes internes Opfer namens Robert Sozzi fordert und mit 11 Opfern im Jahr 1995 seinen Höhepunkt erreicht. "In Wirklichkeit haben einige Führer des südlichen Sektors den nördlichen Sektor dazu angestiftet, Sozzi zu ermorden. Leute vom nördlichen Sektor sollten Sozzi umbringen, damit man den Norden anschließend in der Gesamtorganisation denunzieren und die Führer des nördlichen Sektors abservieren konnte" schreiben zwei ehemalige Nationalisten-Führer im Jahr 2000 in einem Enthüllungsbuch (Jean-Michel Rossi, Francois Santoni: "Pour solde de tout compte. Les nationalistes corses parlent - Entretiens avec Guy Benhamou", Denoel 2000; zu deutsch etwa: "Alle Schlachten sind geschlagen. Zwei korsische Nationalisten sagen aus").

Gegenüber der Wochenzeitschrift "Marianne" legt Rossi am 6.8.2000 nach: "Auf die Studenten, Bauern und Lehrer der siebziger Jahre folgte ein Lumpenproletariat, dem man sich wohl hüten musste, das mindeste politische Bewusstsein zu vermitteln." Heute habe die Bewegung "weder Kopf, noch Kader, noch ein zusammenhängendes und glaubwürdiges Projekt". Ihre Basis sei "zu jedem Abenteuer bereit." Ein Tag später musste Rossi für seine Offenherzigkeit mit dem Leben bezahlen, Co-Autor Santoni darf derweil um sein eigenes bangen.

Attentate trotz "Waffenstillstand"

Inzwischen hat der überwiegende Teil der Nationalisten unter Einbeziehung mehrerer FLNC-Splittergruppen nicht nur dem gegenseitigen Abschlachten entsagt, leugnet folglich den Mord an Rossi. Daneben haben sie wieder einmal einen "Waffenstillstand" verkündet, um damit ihre prinzipielle Unterstützung zu Jospins jüngstem Autonomie-Projekt zu bekunden. Die Attentate haben inzwischen aber nicht aufgehört. Die Zeitschrift "L'Express" hat davon allein in diesem ersten Halbjahr 89 gezählt.

Fragt sich also, welche Durchsetzungsmacht die lose vereinigten Nationalisten haben. Auch die Urheberschaft am Aufsehen erregenden Attentat auf den Präfekten Claude Erignac vor gut 2 Jahren - seines Zeichens oberster Repräsentant Frankreichs auf der Insel - wird geleugnet, ohne diesen Mord ausdrücklich zu verurteilen; das tut übrigens auch der Fraktionsführer der parlamentarischen Vertretung der korsischen Nationalisten, Jean-Guy Talamoni, nicht. Erstmals sind die so genannten "vitrines legales" - wörtlich recht treffend die "legalen Schaufenster" der militanten Untergrundorganisationen - ein Wahlbündnis unter dem Namen "Corsica Nazione" eingegangen und haben bei den Wahlen zur korsischen Regionalversammlung solide 17% eingestrichen. Immerhin genug, dass sie Jospin mit an den Runden Tisch geholt hat. Was den Premier von seinen Vorgängern jedweder Couleur unterschied war allenfalls, dass er das coram publicam tat.

Bislang zeigten sich die militanten Organisationen trotz Verhaftungswellen und internem Zwist erstaunlich überlebensfähig. Beobachter führen das auf die dezentrale Struktur dieser Gruppen zurück, die auch kurzfristig und ad-hoc mobilisieren können.

Etwa 90% der korsischen Bevölkerung hält übrigens nichts von der Unabhängigkeit. Viele Rentner, Staatsbedienstete und Politiker danken Amt und Einkommen dem französischen Staat. Die Hand, die füttert, beißt man nicht...Gleichwohl bekundet nach einer Umfrage der Wochenzeitschrift "Nouvel Observateur" aus dem Jahre 1996 etwa die Hälfte aller Befragten zumindest ein bisschen Sympathie für das nationalistische Lager.




Das Korsika Dossier

Essay "Korsika - Eine mittelgroße Insel spaltet die Grande Nation":

Teil Eins
Teil Zwei
Teil Drei (mit Diskussionsforum)

Hintergrund zu Korsika:

Korsische Kultur zwischen Diskriminierung und Symbolismus
Bomben für die Freiheit - Geschichte der Attentate
Korsische Wirtschaft: bescheidener Wohlstand in Abhängigkeit
Das politische System Korsikas und seine Geschichte
Rotes Tuch Föderalismus - Korsika als Testfall


   


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