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Bruchbude!

Die Prag-Tagebücher, Folge 6

Autor :  e-politik.de Gastautor
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 07.04.2002

Wenn einer eine Reise tut... Studentin Joyce Mariel berichtet für e-politik.de von ihrem Erasmus-Studium in Prag. Ein kleines elektronisches Tagebuch.


Meine Lieben,
donnerstägliche Grüße aus dem schönen Praha am dvaadvacati listopadu oder zu deutsch dem 22. Blätterfaller - November klingt dagegen schlicht trivial! Aber die tschechische Sprache hat auch, wie ich jetzt entdeckt habe, ihre unschönen Seiten. Beispielsweise bevorzuge ich das deutsche Wort "Kater" gegenüber dem tschechischen "kotzová".

Ich grüße euch aus einem Land, indem ein Bier in der Kneipe vor der Tür meiner Bruchbude 84 Pfennig kostet, wo man eine Schachtel Zigaretten für 2,35 DM haben kann. Ein Herrenhaarschnitt kostet hier 11,20 DM und er sieht nicht mal danach aus. Und letzte Woche habe ich mal richtig viel Geld ausgegeben: ich war in einem Club und habe DM 8,40 Eintritt gezahlt - für Münchner Verhältnisse immer noch ein Witz.

Mir sind hier viele Dinge rund ums liebe Geld aufgefallen und die möchte ich in fast schon gewohnter Weise mit euch teilen: Erst einmal sind Tschechen sparsam. Frauen sparen an der Rocklänge, manche Männer an Deo und Duschgel. Faszinierend ist trotzdem, wie viele Möglichkeiten es hier gibt, Geld zu verdienen.
Da wäre zum Beispiel mein Traumjob: der Draußensteher. Selbiger hat die Aufgabe, dekorativ vor schicken Restaurants zu stehen, nett zu lächeln und "dobrý den" zu sagen. Sein Chef, der Oberdraußensteher steht dekorativ auf Parkplätzen direkt vor der Tür und hält sie für zahlende Kundschaft frei. Überhaupt wird hier noch für viele Dinge Humankapital eingesetzt, für die in Deutschland schon längst Automaten bestehen. Beispiele? Parkscheine, Zigaretten, die Garderobe in der Uni (jaaa, wir haben eine Garderobiere!), manchmal auch Fahrscheine und - man höre und staune - Fotofix-Automaten! Einer Bekannten ist es hier passiert, dass sie sich für einen Büchereiausweis in einen dieser Automaten gesetzt hat und statt einer Automatenstimme sprach eine leibhaftige Omi zu ihr, die einen vergilbten Vorhang zurückzog! Begehrt ist auch der Job einer lebenden Reklametafel. Jeden Donnerstag begegnet mir ein Häuschen mit Füßen, das sich gerade mit dem "Internet-Café! 1 Min. - 1 Krone" unterhält.

Wenn man vom Wenzelsplatz direkt in die Altstadt geht, wird man außerdem als Ausländer mit einer ganzen Fuhre von Konzertprospekten ausgestattet. Mittlerweile bin ich aber schon so routiniert, dass ich sogar in München, wenn mir jemand auf einem Wochenendtrip einen Flyer anbietet, "né diky!" sage. Alternativ dazu kann man die Dinger auch tauschen: "Biete zweimal Werbung für Mozarts Don Giovanni für einmal Jazzkonzert!"

Oft sind die Jobs nicht mehr ganz legal. Eine Goldgrube hatte der Mann entdeckt, der mich und Thomas hier in einer Nachttram nach unseren Fahrausweisen auf deutsch gefragt hatte. Er zeigte dann auch brav seinen Kontrolleursausweis, der dummerweise für den öffentlichen Nahverkehr in Absurdistan ausgelegt war: Ein denkbar schlechtes Foto auf einer rechteckigen Pappkarte! Prager Kontrolleure haben zwei Eigenschaften: erstens führen sie immer eine kleine Marke mit sich, die ein bisschen an amerikanische Polizeiabzeichen erinnert, zweitens sprechen sie definitiv kein Deutsch!
Ich möchte nicht wissen, wie viel er uns fürs Schwarzfahren abgenommen hätte, wenn wir uns doof gestellt hätten.

Ach ja, bevor ich's vergesse: meine Monatskarte kostet mich für den gesamten Bus-, Metro- und Trambahnbereich umgerechnet DM 15 ... Paradiesische Zustände für ein Münchner Kindl.

In punkto Geldsparen in der Halblegalität machen uns unsere östlichen Nachbarn definitiv noch was vor: ihr kennt wahrscheinlich alle diese netten Landeskunde-Statistiken, die irgendwann auf Fernsehgeräte pro Tausend Einwohner hinauslaufen. Lasst euch bloß nicht von den "armen Tschechen" täuschen, wo sich viele keinen Fernseher leisten können! Denkste! Ich wage mal zu behaupten, dass viele einfach schlau genug sind, sie nicht bei der tschechischen GEZ anzumelden - viel mehr als bei uns.
Oder: wie spart manch ein Tscheche Wasser? Er hängt zwei Magnete an den Wasserzähler, der dann keinen Wasserverbrauch mehr abliest. Und diese Tricks werden mit diebischer Freude weitergegeben, genauso wie die Nachricht vom kaputten Telefonhäuschen, von dem aus man für wenig Geld in die halbe Welt telefonieren kann.

Erwähnen sollte ich aber auch, dass es für Tschechen teilweise überhaupt nicht rosig aussieht. Eine Krankenschwester verdient hier 4.000 Kronen brutto im Monat - in Boutiquen hängen Lederjacken für 4.000 Kronen. Der Durchschnittslohn beträgt umgerechnet in Euro weniger als ein Zehntel des deutschen Durchschnittslohns. Klar, das macht die Gegend hier für ausländische Investoren so attraktiv. Und ich staune jedes Mal aufs neue über die Öffnungszeiten meines nächstgelegenen Supermarktes. Montag bis Samstag von 7.00 bis 21.00 Uhr, Sonntag (!) von 7.00 bis 17.00 Uhr. Und wann immer man einkaufen geht, immer sind alle zehn Kassen besetzt.

Weiteres Kuriosum dieses Niedriglohnlandes: der Obstabwieger. Er oder sie ist Spezialist, wenn es darum geht, im Supermarkt für möglichst viele Kunden gleichzeitig Obst und Gemüse abzuwiegen und Preisaufkleber auf Verpackungen zu kleben. Wenn er im Supermarkt seine Schicht geschoben hat, geht er zu seinem Nebenjob im indischen Tempel und posiert dort als 1000armiger Shiva. Aber wer braucht schon einen Supermarkt?

Die Top-Geldquelle sind natürlich Touristen. 2001 kamen zehn Millionen Leute aus aller Welt; das macht ein Touri pro Einwohner. Klar, dass sich viele Handelszweige komplett auf ihre Zielgruppe ausrichten. Das fängt bei den Vietnamesenmärkten an der Grenze an, die unglaublich hässliche Gartenzwerge in allen Farben und Formen verkaufen; von anderen grenznahen Dienstleistungen ganz abgesehen. Weiter geht's bei nicht weniger geschmackvollen Babuschkas, die aber dank neuester tschechischer Technologie einen Mikrosensor eingebaut haben, der durch feinste Schwingungen speziell das Stammhirn unserer amerikanischen Mitbürger unterschwellig anspricht. Wie sonst lassen sich die entzückten Aufschreie wie "hey look - ain't that wonderful?" in bestem American accent erklären?

Ein noch tiefgreifenderes Geheimnis ist das der Bohemian Crystal - Ladenkette. Mal ehrlich, was würdet Ihr in einem Bohemian Crystal-Laden erwarten? Kristall allüberall, oder? Glasmacherei (incl. Kristallglas) hat eine große Tradition im schenen Behmen, nur was da verkauft wird ist kein Kristallglas! Wird in der tschechischen Version auch nicht behauptet: "èeske sklo" heißt (in diesem Fall) böhmisches Glas. Das weiß der Tscheche, aber der Ausländer?

Ich verspreche euch, ich halte weiterhin Augen und Ohren weit offen, damit mir auch keines der Geheimnisse dieses kleinen Landes entgeht und ihr weiterhin meine Lach- und Sachgeschichten aus der goldenen Stadt lesen könnt.

èau èau sagt Joyce


Zur Folge 5 der Prag-Tagebücher

Foto: Copyright bei Joyce Mariel / e-politik.de


   


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