Der offiziellen Lesart nach gibt es in Frankreich keine Minderheitensprachen, weil es per definitionem keine nationalen Minderheiten gibt. Weil die französische Verfassung in ihrem 1. Artikel den Bürgern ihre Rechte ohne Ansehen von Rasse und Religion verleiht, darüber hinaus Artikel 2 Französisch als Sprache der Republik festlegt, ist es französischer Rechtsprechung nach nicht möglich, aus Gründen der Ethnizität Sonderrechte beim Sprachgebrauch einzuräumen. Eine positive Diskriminierung - also die Gewährung von Vorrechten - würde die Einheitlichkeit der Republik gefährden.
Förderung: ja - Zweisprachigkeit: nein
Das heißt nun nicht, dass der Staat taub gegenüber dem Elsässischen, Baskischen und Korsischen ist. Er nennt diese Sprachen allerdings "Regionalsprachen", die von einer dort ansässigen Gruppe von Menschen, die in erster Linie Franzosen sind, gesprochen werden.
In der Praxis werden die Sprachen zwar gefördert, indem in den betroffenen Gegenden unterschiedliche Angebote zum Erlernen der Sprache ermöglicht werden. Die Unterrichtung ist für die Schüler aber nirgends obligatorisch. Im Öffentlichen Leben ist Französisch auf jeder staatlichen Ebene zwingend vorgeschrieben, egal ob der Staat mit dem Bürger in Kontakt tritt oder umgekehrt. Die "Regionalsprachen" sind also aufs rein Private und auf die Verbreitung über Literatur, Presse und einzelne Rundfunksendungen beschränkt.
Keine nationalen Minderheiten - keine Minderheitenrechte
Völkerrechtliche Dokumente, die die Rechte nationaler Minderheiten betreffen (Artikel 27 des UN-Pakts über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19.12.1966) und Anspruchsrechte der Minderheiten gegenüber dem Staat formulieren, blieben in Frankreich mit der bekannten Begründung wirkungslos, dass es solche Minderheiten hier nicht gebe. Immerhin rang sich die französische Regierung im Jahre 1999 dazu durch, die Charta des Europarates über Regional- oder Minderheitssprachen zu unterzeichnen; die Ratifikation steht noch aus. Die Unterschrift war verbunden mit einer Erklärung, wonach die Charta in Frankreich nur in dem skizzierten, verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen anzuwenden sei. Konkret ausgeschlossen wurde wiederum jeglicher Gebrauch der Regionalsprachen auf öffentlicher Ebene. Als einziges Zugeständnis dürfen Gemeindeaushänge auch in der jeweiligen Sprache stattfinden. Letztlich verpflichtet sich der Staat auf völkerrechtlicher Ebene also nur zu dem, was innerstaatlich gegenüber Basken, Bretonen, Korsen und Elsässern aufgrund individueller Regelungen schon Usus ist.
Der Streit um die verfassungsrechtliche Begründung mag akademisch klingen. Dennoch entzündeten sich an der Frage, inwieweit Frankreich seine Regionalsprachen und -kulturen schützen und fördern muss, regelmäßig Debatten. Die wenigen einvernehmlich verabschiedeten Beschlüsse der korsischen Regionalversammlung betrafen die Forderung nach Anerkennung des korsischen Volkes und einer obligatorischen Unterrichtung der korsischen Sprache verbunden mit ihrer Offizialisierung. Überflüssig zu sagen, dass Paris diesen Forderungen mit bekannten Argumenten eine Abfuhr erteilt hatte.
Vergleichsweise weit vorgewagt hatte sich die damalige (sozialistische) Regierung gegenüber Korsika, als sie dem (immer noch gültigen) Sonderstatut von 1991 einen Artikel voranstellen wollte, der das korsische Volk als Teil des französischen anerkannte und ihm angesichts seiner Besonderheit die nachfolgenden Rechte zuerkennen wollte. Dieser Passus wurde vom Verfassungsgericht kassiert. Freilich sagten die Richter auch, dass an dem Statut selbst nichts auszusetzen sei, lediglich die Begründung der Rechte durch die Existenz eines korsischen Volkes sei verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Korsische Kulturpolitik: Viele selbsternannte Köche verderben den Brei
Immerhin hatte der französische Staat neben dem fakultativen Korsisch-Unterricht mit diesem Statut der Region weitgehende Selbstverwaltungsrechte in kulturellen Belangen eingeräumt. Die Kompetenzen werden dabei nach einem auch in anderen Bereichen der regionalen Selbstverwaltung üblichen Muster aufgeteilt. Die Region plant; der Staat stellt das Geld zur Verfügung, berät, koordiniert und kontrolliert die Maßnahmen. Was in der Theorie schlüssig klingt, birgt in der Praxis einige Schwierigkeiten, die symptomatisch für das schlechte Funktionieren der korsischen Variante von Dezentralisierung und Dekonzentrierung sind.
Besonders bitterlich beklagte sich Chefkoordinator Jean-Francois Mozziconacci, Directeur Régional des Affaires Culturelles (DRAC), seines Zeichens kultureller Beauftragter des Staates auf der Insel und selbst korsischer Abstammung. In einem Tätigkeitsbericht, der eher einer Anklageschrift glich, ließ er 1996 seinem Frust freien Lauf. Unklare und nicht sinnvoll getrennte Kompetenzen zwischen Staat und Region würden unnötige Reibungsverluste produzieren. Vom Staat, das heißt vom Kultusministerium, alleingelassen müsse er sich mit lokaler Inkompetenz herumschlagen, die jenseits von hoffnungsloser Folklore und einem diffusen Begriff von Kultur und Identität für ziemlich viel Geld kaum etwas zuwege bringe.
Als Beispiel führte Mozziconacci ein Museum an, das mit umgerechnet 20 Mio. DM das für ihn unakzeptable Klischee des korsischen Bergbauern befördere. Neben der Kritik an dem Durcheinander korsischer Kulturpolitik lieferte er zur Fundierung seiner Klageschrift ein sprachgeschichtliches Exposé. Solange Korsika von Genua beherrscht war (bis 1769), seien alle Verwaltungsakte in italienischer Hochsprache verfasst. Das Korsische sei nie mehr als eine Mundart der dem Toskanisch entstammenden italienischen Hochsprache gewesen. Erst unter der Dritten Republik sei es Frankreich gelungen, Französisch als Amtssprache endgültig gegen das Italienische durchzusetzen. Wer sich also mit korsischer Geschichte auseinandersetzen wolle, müsse unter anderem Genua im Blick haben und dürfe nicht immer das romantische, folkloristische und selbstreferentielle Bild eines Volkes zeigen, das sich unter wechselnden Besatzern autonom entwickelt hat. Korsische Kultur und korsische Sprache sind demnach kein abgeschirmter Kosmos.
Mozziconacci, der sich mit seiner Polemik gegenüber allen Beteiligten in die Nesseln setzte und letztlich abserviert wurde, findet seine Unterstützer in denjenigen, die einen Mangel an korsisch-sprachiger Literatur von Rang feststellen und erst recht einen Mangel an Abnehmer dieser Literatur.
Die Verbreitung der korsischen Sprache
Korsische Periodika existieren hauptsächlich in Form von Parteipostillen. Unabhängige Zeitschriften veröffentlichen allenfalls einzelne Artikel in Korsisch. Während das Korsische im Fernsehen im Programm von France 3 nur mit 40 Minuten pro Woche vertreten ist, gibt es einige Lokalsender, die fast ausschließlich auf Korsisch senden und einen Regionalsender, der ungefähr ein Drittel seines Programms in Korsisch ausstrahlt.
Die mündliche Verbreitung der Sprache ist insgesamt recht beachtlich, wenn auch tendenziell rückläufig. Zwar fehlt es an einer aktuellen, systematischen und umfassenden Erhebung. Umfragen aus dem Jahr 1982 besagen aber, dass etwa 95% der angestammten Korsen - also ohne zugezogene Festlandfranzosen und Gastarbeiter - die Sprache verstehen und 85% sie auch anwenden, in welchem Ausmaß auch immer. Skeptischere Schätzungen behaupten das lediglich von 50% der Korsen. Zahlen über Unterricht in korsischer Sprache litten darunter, so die Aussage einer Studie der Universität Laval (Québec, Kanada), dass sie keine Auskunft darüber gäben, in welcher Intensität die Sprache im Unterricht gelehrt würde. Insgesamt hätten jedoch die meisten Schüler mit Korsisch zu tun, wenn auch nur ein geringer Teil wöchentlich mehrstündigen Sprachunterricht besuchte.
Wenn auch einige Kultur- und Bildungspolitiker Korsikas in der Insel die Chance einer Schnittstelle zwischen den romanischen Mittelmeeranrainern sehen, sei das eine eher utopische Hoffnung, so ein Fazit der Studie der frankokanadischen Universität. Weder zu Italien noch zu Spanien existierten nennenswerte Beziehungen auf diesem Gebiet.
Das Korsika-Dossier
Essay "Korsika - Eine mittelgroße Insel spaltet die Grande Nation":
Teil Eins
Teil Zwei
Teil Drei (mit Diskussionsforum)
Hintergrund zu Korsika:
Korsische Kultur zwischen Diskriminierung und Symbolismus
Bomben für die Freiheit - Geschichte der Attentate
Korsische Wirtschaft: bescheidener Wohlstand in Abhängigkeit
Das politische System Korsikas und seine Geschichte
Rotes Tuch Föderalismus - Korsika als Testfall