Sie sind immer noch benommen. Die Schmach der Niederlage bei
den Präsidentschaftswahlen sitzt bei den französischen Sozialisten tief. Doch
sie bekommen ihre zweite Chance: Am 9. und 16. Juni wählen 41 Millionen
Franzosen die neue Nationalversammlung und die Sozialisten hoffen auf den Sieg:
"Wir wollen, wir müssen gewinnen" beschwört Dominique Strauss-Kahn, früherer
Finanzminister seine Genossen. Nicht ganz uneigennützig: Strauss-Kahn gilt als
einer der Kandidaten für den Posten des Regierungschefs, sollte die "Parti
socialiste" (PS) den Wahlsieg erringen.
Zeichen der Hoffnung
Dass Lionel Jospin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen so verheerend verlor, empfinden die Sozialisten immer noch als tiefe Ungerechtigkeit. Und sie sehen Zeichen, dass sich das Blatt für sie wendet: Immerhin 15.000 neue Mitglieder hat die Partei in den Wochen nach der Wahl gewonnen. Und das Erschrecken in der französischen Bevölkerung über
den Erfolg des Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen sollte die Anhänger der
Linken auch davon abhalten, ihre Stimmen noch einmal zu zersplittern.
Ideologisch hat die Partei das ihre getan, um ihre Wähler
für sich zu gewinnen: Das Programm wurde nach links korrigiert: Mit Erhöhungen
des Mindestlohns, der Erschwerung von Entlassungen und dem Ende der
Privatisierung sollen die Benachteiligten dazu bewegt werden, ihr Kreuz bei
einem der sozialistischen Kandidaten zu machen.
Frankreichs Linke hofft, aber die Umfrageergebnisse sprechen gegen sie. Geht es nach den Demoskopen, steht ihnen die zweite große Niederlage dieses Jahres ins Haus: Gerade einmal 45 Prozent werden der Linken vorausgesagt, die Bürgerlichen erreichen bei den Befragungen 55 Prozent – eine Größe, die im französischen Mehrheitswahlrecht mit 577 Wahlkreisen für die
Sozialisten niederschmetternde Ausmaße annehmen kann.
Jacques Chirac scheint auf der Gewinnerstraße zu sein. Der
Präsident sonnt sich immer noch in seinem 80-Prozent-Erfolg der Präsidentschaftswahl.
Aber er vergisst dabei nicht, dass er viele dieser Stimmen Wählern zu verdanken
hat, für die die Gaullisten eigentlich Tabu sind. So besetzte er auch den
Posten des Premierministers mit dem liberalen Jean-Pierre Raffarin und nicht
mit dem sehr rechts stehenden Gaullisten Nicolas Sarkozy. Der könnte die gerade
gewonnenen Wähler zu schnell wieder verprellen.
Geheimwaffe Raffarin
Der Übergangs-Premier könnte für Chirac die Geheimwaffe
sein: er verkörpert das "Frankreich von unten" und wirkt bei seinen Auftritten
freundlich und bescheiden. "Ein Minister ist ein Diener" war einer seiner
ersten Sätze in einem Fernsehinterview – der Hochmut der Pariser Technokraten
ist ihm ein Graus. Auf die Wähler wirkt das, aber noch ist die Person "Premier
Raffarin" nicht mit Inhalten gefüllt. Er hat kein ausgefeiltes Programm, das den Franzosen nähergebracht wird.
Chirac plant deshalb auch weiter: Er gründete eine neue Sammelpartei der Rechten: Union pour la majorité présidentielle (Union für die Präsidentenmehrheit) – der
Name ist Programm. Chirac will nach fünf Jahren Kohabitation mit Jospin das Zepter
wieder ganz allein in der Hand halten. Und somit ziehen die Gaullisten, die
Union pour la Démocratie francaise und die Démocratie liberale unter einer
Flagge in die Wahlentscheidung.
Für die Sozialisten könnte diese Sammelpartei die Niederlage
besiegeln. Aber dass das französische Wahlvolk für Überraschungen gut ist,
haben die Präsidentschaftswahlen bewiesen. Und so ist es gut möglich, dass am
Ende der Parlamentswahlen die Sozialisten als strahlende Sieger jubeln.