"Das ist ein Erdbeben" – so beschrieb Jean-Marie Le Pen seinen Erfolg beim ersten Urnengang zur Franzöischen Präsidentschaftswahl. Kein Meinungsforscher hatte ihn auf der Rechnung gehabt und nun ist er es, der am 5. Mai gegen seinen Lieblingsfeind Jaques Chirac in der Finalrunde eintreten wird. Kein Politiker in Frankreich polarisiert so, wie es Le Pen tut.
Seit 30 Jahren Sammelbecken der Benachteiligten
Seit 1972 ist der Multimillionär und ehemalige Fallschirmjäger im Algerien-Krieg im politischen Geschäft aktiv. In diesem Jahr gründete er die rechtsradikale Partei Front National (FN). Er verstand sich von Anfang an als Sammelbecken für die "kleinen Leute" und die durch Globalisierung und wirtschaftlichen Wettkampf Benachteiligten. So gehörte auch der Südwesten Frankreichs mit einer hohen Arbeitslosenquote immer zu den Hochburgen der Front National.
In den 90er Jahren erlebte die FN ihre Blütezeit: in zahlreichen Kommunalwahlen erreichten die Kandidaten um Le Pen bis zu 30 Prozent der Stimmen.
1999 kam es dann die Krise seiner Partei: Eine Parteispaltung ließ vermuten, dass Jean-Marie Le Pen vor dem Aus stand. Und auch bei dem Vorlauf zur diesjährigen Präsidentschaftswahl hatte er Probleme, denn die 500 Unterschriften gewählter Mandatsträger, die für eine Kandidatur nötig sind, kamen nur schleppend zu Stande. In Frankreich glaubte man deshalb auch schon an den Niedergang der Rechtsradikalen. Um so heftiger ist nun das Erdbeben, das durch seinen Wahlerfolg Frankreich erschüttert.
Totgeglaubte leben länger
Für Jean-Marie Le Pen hat sich sein Lebenstraum verwirklicht. Vier Mal kandidierte er für das höchste Staatsamt, meistens mit vernichtendem Misserfolgen: 1974 errang er gerade einmal 0,7 Prozent, 1988 immerhin schon einmal 14,4 Prozent und 1995 15,1 Prozent. Nun hat es der Totgeglaubte geschafft. Profitieren konnte er dabei von den Ängsten der Franzosen: Kriminalität und islamistischer Terror treiben viele Wähler in seine Arme. Wenn man dazu noch die große Zahl der Protest- und Nichtwähler rechnet, erklärt sich Le Pens Erfolg.
Der Holocaust: Ein "Detail der Geschichte"
Seine Programmatik hat sich in den 30 Jahren seiner Politik nie verändert. Anhänger sammelte er mit seinen kämpferischen Reden zu nationalen Problemen. "Frankreich den Franzosen" machte Le Pen populär. Immer wieder schoss er über das Ziel hinaus: als er 1997 in München den Holocaust als "Detail der Geschichte" bezeichnete, schadete er sich und seiner Partei.
Für den Präsidentschaftswahlkampf hat er sich wieder einmal prekäre Forderungen herausgesucht. Zu Le Pens Wahlversprechen zählen der Ausstieg aus dem Euro, 200 000 zusätzliche Gefängniszellen, die sofortige Abschiebung illegaler und straffälliger Immigranten und die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Die Meinungsforscher rechnen ihm für den entscheidenden zweiten Wahlgang am 5. Mai nicht die geringste Chance zu. Die Proteste in Frankreich nach Le Pens Wahlerfolg lassen ebenfalls darauf schließen. Doch die Prognosen lagen beim ersten Wahlgang auch vehement daneben. Für eine Überraschung und eine Demütigung Chiracs ist Le Pen immer gut. Und der kämpferische Rechtspopulist sonnt sich in seinem Erfolg, die politische Grundordnung Frankreichs erschüttert zu haben. Der 5. Mai 2002 wird somit auf jeden Fall in die persönliche Erfolgsgeschichte des Jean-Maire Le Pen eingehen.
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