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Europa

Günter Gloser, MdB (SPD)

Keine neuen Tabus ...

Autor :  Christina Wegener
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 28.06.2000

Jüngst entwarf Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac seine Vision von einem Europa der Zukunft. Zuvor tat dies der deutsche Außenminister Joschka Fischer. Christina Wegener sprach mit Günter Gloser (SPD), MdB im Ausschuss für Angelegenheiten der EU.


Bundesregierung begrüßt Fischers Vision

e-politik.de: Kürzlich hielt Joschka Fischer eine Rede in der Humboldt-Universität zu Berlin, in der er als "Privatmann" seine Visionen für ein föderales Europa darlegte. Inwiefern korrespondieren die Visionen des Außenministers mit der Position der Bundesregierung?

Gloser: Die Bundesregierung hat die Rede sehr positiv aufgenommen. Sie gibt einen Anstoß zu einer Debatte über den Tag hinaus und zwar in Richtung des berühmten Stichworts der Finalität. Durch diesen Anstoß gewinnen auch gegenwärtige Themen eine neue Qualität. Wir müssen uns fragen, wie die Entscheidungsfähigkeit der Union in Zukunft aussehen kann. Die Rede des Außenministers war dazu ein guter Beitrag.

e-politik.de: Wie wurde die Rede Fischers von Seiten des Bundestages und des Ausschusses für Fragen der EU aufgenommen?

Gloser: Es hat im Ausschuß noch keine offizielle Diskussion über die Rede gegeben. Auch hier wurden die Gedanken des Außenministers als eine Anregung für die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union aufgenommen, an der wir alle teilnehmen müssen. Wie definieren wir die Rolle der Nationalstaaten? Wer nimmt welche Aufgaben wahr? Was heißt Vertiefung? Diese Fragen müssen wir gemeinsam beantworten.

e-politik.de: Keine Kritik aus den Reihen der Opposition?

Gloser: Während einer Aktuellen Stunde im Bundestag, die sich mit der Rede befaßte, wurde zumeist formale Kritik an der Rede geäußert, solche Themen seien vor dem Plenum des Bundestags zu diskutieren. Die CDU/CSU-Fraktion beanspruchte Fischers Vision für sich: Die Äußerungen des Außenministers würden angeblich auf dem Schäuble-Lamers-Papier von 1994 basieren.
Allerdings, und das habe ich auch in meinem Beitrag deutlich gemacht, gibt es einen wesentlichen Unterschied: Während der damalige Vorschlag der CDU auf der Ausgrenzung einiger Mitgliedsstaaten beruhte, hat Fischer immer wieder betont, dass der Integrationsprozeß für alle offen bleiben muß.

Diskussionsprozess normalisiert sich

e-politik.de: Sie sprachen von einer Debatte "über den Tag hinaus". Nach den anfangs recht heftig ausfallenden Reaktionen aus dem Ausland ist es heute aber schon viel ruhiger geworden um das Thema.

Gloser: Nein, der Diskussionsprozess hat sich nur normalisiert. In der EU werden verschiedene Sprachen gesprochen und die verfassungsrechtlichen Tradition der Länder unterscheiden sich. So wird zum Beispiel der Begriff "Föderation" in Frankreich ganz anders aufgefaßt als bei uns. Darauf beruhen Mißverständnisse. Ich bin mir sicher, dass auch innerhalb der Mitgliedsstaaten die verschiedensten Position zu diesem Thema bestehen. Die Diskussion muss deswegen ganz offen geführt werden, es dürfen keine neuen Tabus aufgestellt werden und auch Fischers Rede ist dabei nicht sakrosankt. Und bei der Debatte darf es nicht bleiben, wir brauchen Entscheidungen und konkrete Ergebnisse.

Europa wird kein Exklusivclub

e-politik.de: In seiner Rede sprach der Außenminister von einem "Kerneuropa" besonders integrationswilliger Staaten. Halten Sie diese umstrittene Idee für einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Erweiterung und Vertiefung?

Gloser: Joschka Fischer sprach ausdrücklich nicht von einem Exklusivclub! Es geht allein darum, dass Ländern, die in bestimmten Punkten übereinstimmen, die verstärkte Zusammenarbeit ermöglicht werden soll. Kein Land darf - wie in dem erwähnten Schäuble-Lamers-Papier vorgesehen - ausgeschlossen werden.

e-politik.de: Inwieweit sind die Reformen, die 1997 in Amsterdam beschlossen wurden, ein Schritt auf dem Weg zu der vom Außenminister anvisierten "Finalität"?

Gloser: In Amsterdam sind ja im Grunde alle schwierigen Fragen vertagt worden. Die Stimmgewichtung, der Abstimmungsmodus und die Zahl der Kommissare - über all das muss nun entschieden werden, um die EU handlungsfähiger zu machen. Nur dann ist sie auch bereit für die Erweiterung.

Europa fehlt Transparenz

e-politik.de: Nun zur konkreten Zukunft Europas: Welche Aufgaben wird die Kommission haben? Wie sollen wir Fischers Vorstellung von einer Regierung mit "angemessenen Kompetenzen" verstehen?

Gloser: Ganz persönlich halte ich für ein Problem, dass niemand weiß, wer für welche Entscheidungen geradezustehen hat. Ein Beispiel für die fehlende Transparenz ist die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik:
Einerseits ernennt der Rat einen Mister GASP, andererseits gibt es einen zuständigen Kommissar für Außenbeziehungen. Die Regierung muß für ganz bestimmte Aufgaben zuständig sein, die Kompetenzverteilung so klar wie innerstaatlich sein. Vielleicht wird in Europa irgendwann das Parlament die Regierung wählen? Auch das darf kein Tabu in der Debatte sein.

e-politik.de: Und das vielgerügte Demokratiedefizit? Kann es durch die Stärkung des Europaparlaments behoben werden?

Gloser: Die Frage der Stärkung des Europaparlaments hat zwei Facetten. Einerseits geht es um die Gewaltenteilung, also das Verhältnis der Exekutive zur Legislative. Andererseits müssen wir aber auch über das Verhältnis des EP zu den nationalen Parlamenten nachdenken, mit denen es noch lange nicht gleichgestellt ist. Wie kann die Rückkopplung des EP zu den nationalen Parlamenten, aber auch zu den Bürgerinnen und Bürgern verbessert werden?

e-politik.de: Welchen Beitrag erhoffen Sie sich von der französischen Ratspräsidentschaft zur Verwirklichung der europapolitischen Visionen?

Gloser: Ich denke nicht, dass die Ratspräsidentschaft in Zusammenhang mit Fischers Rede gebracht werden sollte. Denn hierbei geht es um eine langfristige Perspektive und eine Diskussion, die auch nach der Regierungskonferenz im Dezember geführt werden muß. Die französische Ratspräsidentschaft soll davon nicht beeinflußt werden, denn es ist Aufgabe genug, die in den Verhandlungen von Amsterdam nicht entschiedenen Themen zu einem positiven Abschluß zu bringen. Aber Fischer hat neuen Schwung erzeugt.

Frankreich und Deutschland bleiben Motor Europas

e-politik.de: Kann eine starke deutsch-französische Achse von anderen Mitgliedsstaaten als Gefahr wahrgenommen werden?

Gloser: Es gibt weder eine Achse, noch eine Gefahr. Es war immer Deutschlands Anliegen, kleinere Mitgliedstaaten am Integrationsprozess zu beteiligen. Die Geschichte hat aber auch gezeigt, dass dieser Prozess immer beschleunigt wurde, wenn Deutschland und Frankreich sich einig waren, egal wer die Ratspräsidentschaft inne hatte.

Günter Gloser kommt aus Nürnberg und sitzt für die Bayern-SPD im Deutschen Bundestag.

Foto: Copyright liegt bei Günter Gloser / Bayern-SPD


   

Weiterführende Links:
   e-politik.de: Diskurs um Fischers EU-Vision
   Homepage von Günter Gloser



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