Die New Economy liegt am Boden, vorbei sind die Lobpreisungen des neuen Wirtschaftens: immerwährendes Wachstum, bis zur Selbstausbeutung motivierte Mitarbeiter und hierarchiefreie Unternehmen. Die am Neuen Markt notierten Start-ups galten als Sinnbild eines neuen Unternehmenstyps, die verstanden haben, wohin der Weg der Zukunft zeigt. Firmen der Old Economy waren wirtschaftliche Dinosaurier, die an den Börsen nur interessant schienen, wenn sie wie Siemens glaubhaft den Sprung zur "e-company" verkaufen konnten.
Die jungen Firmen der Internetökonomie boomten und fast täglich wurden weitere Unternehmen am Neuen Markt notiert. Dort konnte man einen zumindest in Deutschland nie gesehenen Aktienboom verfolgen. Gleichzeitig wurden die überwiegend von Risikokapital abhängigen Unternehmen von den Kapitalgebern auf Wachstum getrimmt, um möglichst schnell an der Börse platziert werden zu können.
Das Ende vom Lied ist bekannt. Die Spekulationsblase platzte, was etliche Konkurse und massive Stellenstreichungen nach sich zog. Zugespitzt formuliert bewegen wir uns gerade in einen neuen Mythos der "Re-Rationalisierung" der New Economy. Die derzeit von den jüngst noch als Popstars gefeierten Gründern ausgesandten Signale an die Wirtschaftswelt sind eindeutig: Wir tragen jetzt auch Krawatte, haben einen Betriebsrat und verstehen uns im Controlling. Motto: seriöse Konsolidierung.
Was bleibt von der New Economy?
Über diese in der jüngeren Geschichte beispiellose wirtschaftliche Phase der Internetökonomie wurde schon viel zu Papier gebracht und hinterher wussten alle, dass die Spekulationsblase platzen musste und es Zeit für den "Ausleseprozess" sei, in dem die "Spreu vom Weizen" getrennt werden muss. Prinzipiell zeichnet auch der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel den Aufstieg und Fall der Internetökonomie in diesem Schema nach.
Jedoch vermeidet der Keynesianer Hickel oberflächliche Plattitüden und liefert einerseits eine fundierte wirtschaftswissenschaftliche Erklärung für die Risikospirale, andererseits unterfüttert er seine theoretische Argumentation mit reichlich empirischen Material aus den USA und Deutschland. Im Anschluss an die schonungslose Analyse richtet das Buch den Blick in die Zukunft und gibt Antworten auf die Frage: "Wohin treibt die Wirtschaft die Risikogesellschaft?"
Hickel prognostiziert eine zunehmende Bedeutung der Internetökonomie trotz des Platzens der Spekulationsblase. Allerdings sieht er in dieser Entwicklung nun nicht gerade die Heilsbringung der Wirtschaft, sondern weist vielmehr auf zahlreiche Gefahren hin. So sind beispielsweise die Firmen der New Economy "strukturell stärker von den Aktienbörsen abhängig", weswegen die Gesamtwirtschaft ihre "beschreibbaren und kalkulierbaren Strukturen" verliert, so Hickel.
Alle Entwicklungen zusammen genommen, sieht er uns vor einer "totalen Ökonomisierung", also der wirtschaftlichen Durchdringung sämtlicher gesellschaftlicher und individueller Bereiche. Abzuwenden ist diese Entwicklung nur durch soziale, kulturelle und gesellschaftliche Gegenbewegungen, denn auch die "Politik der Mitte" ist längst von der Ökonomisierung verschlungen worden. Deshalb fordert Hickel die "Wiederentdeckung der Politik", ein "mehr statt weniger", kurz gesagt die Rückkehr zu keynesianisch orientierter Wirtschaftspolitik, fundamental getragen von zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Was bleibt von der Risikospirale?
Zweifellos analysiert Rudolf Hickel hier scharfzüngig die schiefe Bahn der Risikofinanzierung der New Economy und kann anhand einfacher Wirtschaftstheorie und reichhaltigem empirischen Material ein spannendes Wirtschaftsbuch vorlegen. Andererseits überzeichnet er mit polemisierender Sprache die "totale Ökonomisierung" und fordert ohne Blick auf vergangene wirtschaftspolitische Versuche mit keynesianischem Einschlag eine Rückkehr zu einer nachfrageorientierten Politik.
Auch die von ihm postulierten weitreichenden Veränderungen der individuellen Lebensumstände und gesellschaftlichen Prozesse erscheinen, ganz im Gegensatz zu seiner vorhergehenden wirtschaftlichen Analyse, wenig fundiert. So gilt es erst noch zu untersuchen, ob die "Mauern zwischen der Arbeitswelt und den individuellen Lebensverhältnissen" wirklich durchlässiger werden und eine zunehmende "Vereinzelung" bedingt durch das Internet festzustellen sein wird, wie Hickel behauptet. Hier hätte er besser zurückhaltend argumentiert, sich auf empirische Spurensuche begeben und zunächst Soziologen das Feld überlassen sollen.
Doch trotz dieser im letzten Teil des Buches dominanten ärgerlichen Überspitzungen und gewagten Hypothesen, ist Risikospirale ein fundiertes, faktenreiches und vor allem streitbares Wirtschaftbuch. Vielleicht liefert Rudolf Hickel hier die Steilvorlage für den sich angesichts der Argentinienkrise und der wirtschaftlichen Folgen des 11. September abzeichnenden "zweiten Sommer" keynesianischer Wirtschaftspolitik.
Rudolf Hickel: "Die Risikospirale. Was bleibt von der New Economy?"
Eichborn, Frankfurt a.M., 2001, 191 Seiten
19,90 Euro
ISBN 3-8218-3903-1