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Flagge Tschechiens

Machtwechsel auf dem Hradschin

Autor :  e-politik.de Gastautor
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 17.03.2003

Tschechien hat einen neuen Staatspräsidenten. Nach drei Wahlgängen hat das Parlament den Ökonomieprofessor und rechtskonservativen Parteivorsitzenden Václav Klaus zum Nachfolger des Ex-Dissidenten Václav Hável ernannt. Ein Kommentar von Joyce Mariel.


Angenommen, die Stelle des deutschen Bundespräsidenten wäre zum ersten Januar 2003 vakant geworden und die Bundesversammlung hätte in zwei Wahlgängen keine erforderliche Mehrheit erzielen können. Die Tageszeitungen des Landes hätten laut überlegt, ob man die Wahl des Bundespräsidenten nicht den Bürgern überlassen sollte. Die aussichtsreichsten Kandidaten wären Ex-Kulturstaatsminister und Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin, Schlagerbarde Udo Jürgens und ein erzkonservativer Verfechter des Manchester-Kapitalismus, der Margaret Thatcher bewundert. Schließlich hätte sich die Bundesversammlung auf den letzten Kandidaten geeinigt, der dann den Sieg mit der hauchdünnen Mehrheit von einer Stimme erzielt hätte. Und die in großer Zahl anwesenden PDS-Vertreter hätten ihn mit ihren Voten unterstützt.

Was wie eine Farce anmutet, war in den letzten Wochen und Monaten in der Tschechischen Republik politische Realität. Die Amtszeit des Ex-Dissidenten Hável endete laut Verfassung am 31.12.2002. Es dauerte drei Monate und drei nervenaufreibende Wahlgänge, um seinen Nachfolger zu bestimmen. Angetreten waren Jan Sokol, Professor für Philosophie an der Prager Karls-Universität als Kandidat der tschechischen Sozialdemokraten. Ein weiterer Kandidat war der Schlagersänger Karel Gott. Und schließlich wurde am 07.03. Václav Klaus vereidigt. Er, der Professor für Wirtschaftswissenschaften blickt stolz von jedem Foto, auf dem er mit der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher abgebildet ist.

Nationale Symbole

In den letzten Wochen seiner Amtszeit hatte Václav Havel ein Zeichen gesetzt. Über der Prager Burg leuchtete ein riesiges Herz aus Neonröhren. Und obwohl seine Untertanen die Installation mit Bordell-Vergleichen schmähten, signalisierte sie das Ende einer Ära. Denn für Hável war das Herz, das er außer bei Staatsverträgen immer in seine Unterschrift einbezog, ein "nationales Symbol" für Frieden, Versöhnung und Ausgleich. Gleichzeitig wurde es zu einem Zeichen für Hávels integrierenden Regierungsstil.

Das Amt des tschechischen Staatspräsidenten zeichnet sich nicht durch übergroße Machtfülle aus. Die Verfassung der Republik hatte Hável während seiner Regierungszeit vornehmlich repräsentative Aufgaben zugestanden. Und doch war es ihm immer wieder gelungen, in Zeiten politischer Krisen sowohl als Mahner, aber auch als Vermittler zu wirken. Václav Hável war als Staatspräsident zum nationalen Symbol geworden, denn sein Lebensweg war eng mit der jüngeren Geschichte seines Landes verknüpft gewesen.

In der Dissidentengruppe "Charta 77" hatte er in den späten siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Versäumnisse der tschechoslowakischen Nomenklatura angeprangert und wurde mehrere Male für seine Meinungsäußerungen inhaftiert. Die demonstrierenden Massen, die 1989 einen Regimewechsel in der Tschechoslowakei herbeigeführt hatten, hievten ihn mit der Parole "Hável in die Burg!" auf den Staatspräsidentensessel, der in dem Prager Hradschin steht. Und dort saß Václav Hável mit einer kurzen Unterbrechung nach der Teilung der Tschechoslowakei bis zum Ende des letzten Jahres und wurde Zeuge der politischen Karriere seines jetzigen Nachfolgers Václav Klaus. Zweifellos sind sie groß, die Fußstapfen, in die der neue Staatspräsident jetzt treten muss.

Wer ist Klaus?

Die politische Karriere von Hávels Amtsnachfolger begann direkt nach dem Sturz des sozialistischen Regimes. Vorher war Václav Klaus eher durch seine wissenschaftliche Laufbahn und seine politische Neutralität in Erscheinung getreten. Denn er wurde nicht nur in der damaligen Tschechoslowakei, sondern auch in Italien und beim "Klassenfeind" USA zum Ökonomen ausgebildet. Andererseits trat er auch nie durch besonderes Engagement für die regierende kommunistische Partei in Erscheinung. 1991 gründete er die "Bürgerlich-Demokratische Partei" (ODS), die vor allem deshalb so großen Zulauf fand, weil sie ein komplett gegenläufiges Programm zur bis heute reformresistenten Kommunistischen Partei KSCM präsentieren konnte.

Parteivorsitzender Klaus war es, der erst im Amt des Finanzministers und später als Ministerpräsident den wirtschaftlichen Umbau des Landes bis 1996 vorantrieb. Doch faule Bankkredite und Mängel im Sozialsystem ließen erst die Wirtschaft und dann die Regierung 1997 in eine tiefe Krise stürzen, von der sich weder der Markt noch das Parlament bis zum heutigen Tag erholt hat. Ministerpräsident Klaus musste zurücktreten, doch von der politischen Bühne des Landes war er nicht verschwunden. Vielmehr bewies er ein hohes Maß an Fantasie, indem er im darauf folgenden Jahr eine große Koalition mit den Sozialdemokraten bildete. Die vierjährige Liaison trug den Titel "Oppositionsvertrag", Klaus zog die Bezeichnung "Toleranzpatent" vor. "Postengeschacher" nannte es die tschechische Öffentlichkeit.

Václav Klaus und der Vorsitzende der Sozialdemokraten (CSSD) Milos Zeman hatten ihre politischen Pfründe bereits erfolgreich abgesteckt. Und sowohl Klaus als auch Zeman hatten den Posten des Staatspräsidenten fest im Blick. Im Juni 2002 endete die große Koalition und die Bürgerlich-Demokratische Partei richtete den Wahlkampf vollkommen auf ihr Flaggschiff Klaus aus. Die Bürger stimmten daraufhin nicht etwa begeistert für die ODS - die meisten gingen gar nicht zur Wahl. Die einzige Partei, die sich mit Recht Gewinner nennen konnte, waren die Kommunisten. In den Hochburgen der ehemaligen Staatspartei in der deutschen und polnischen Grenzregion konnten vor allem Protestwähler mobilisiert werden. Ganz Europa war sich nach der letzten Parlamentswahl einig: Václav Klaus` politische Karriere war zu Ende. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Klaus ging nicht aufs Altenteil, sondern in den Hradschin.

Der neue Staatspräsident

Im Grunde ist der neue Staatspräsident Klaus gewohnt, seine Worte abzuwägen. Im Gegensatz zum ehemaligen Vorsitzenden der Sozialdemokraten Milos Zeman, der in einer österreichischen Zeitung die Sudetendeutschen als "fünfte Kolonne Hitlers" bezeichnete, setzt er auf Contenance. Doch ob neue Antworten zu kritischen Fragen unter einem Staatspräsidenten Klaus zu erwarten sind, bleibt dahingestellt. In einem Interview mit einer der größten Tageszeitungen des Landes, Mlada Fronta Dnes, setzt er vor allem auf die Fortführung der bisherigen tschechischen Position, die Beneš-Dekrete weiter zu verteidigen. "Ob Helmut Kohl, ob die Präsidenten Herzog oder Rau, ob Kanzler Schröder; meine Einstellung blieb die gleiche." Und auch zur Frage des EU-Beitritts der Tschechischen Republik spricht er eine bekannte Sprache. Seine Meinung zur Europäischen Union orientiert sich am britischen Euroskeptizismus, den er selbst als "Eurorealismus" verbrämt. Bis zum Beitrittsreferendum Mitte Juni wird der deutlich EU-freundlichere, sozialdemokratische Ministerpräsident Vladimir Spidla viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um die tschechischen Bürger zu einem positiven Abstimmungsergebnis zu bewegen.

Neue Symbole dringend gesucht

Zwei Legislaturperioden, also acht Jahre, gesteht die tschechische Verfassung ihren Staatspräsidenten zu. Herrn Klaus bleibt also noch Zeit, bis seine Amtszeit als Staatspräsident einem Symbol wie Hávels Herz zugeordnet werden kann. Die tschechischen Bürger können nur hoffen, dass er nicht eines Tages auch den Hradschin verzieren möchte. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er kein Herz, sondern ein Wahlplakat anbringen lassen. Und das trug zumindest bis jetzt immer sein Konterfei.


   


Leserkommentar von W.M.
am 02.11.2003
Prima portraitiert- den Klaus...

Ganz hervorragendes Portrait! Gefällt mir ausgezeichnet, was da geschrieben wurde. Wolfgang M.

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