Angenommen, die Stelle des deutschen Bundespräsidenten wäre zum ersten Januar 2003
vakant geworden und die Bundesversammlung hätte in zwei Wahlgängen keine
erforderliche Mehrheit erzielen können. Die Tageszeitungen des Landes hätten
laut überlegt, ob man die Wahl des Bundespräsidenten nicht den Bürgern überlassen
sollte. Die aussichtsreichsten Kandidaten wären Ex-Kulturstaatsminister und
Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin, Schlagerbarde Udo Jürgens und ein
erzkonservativer Verfechter des Manchester-Kapitalismus, der Margaret Thatcher
bewundert. Schließlich hätte sich die Bundesversammlung auf den letzten Kandidaten
geeinigt, der dann den Sieg mit der hauchdünnen Mehrheit von einer Stimme erzielt
hätte. Und die in großer Zahl anwesenden PDS-Vertreter hätten ihn mit ihren Voten
unterstützt.
Was wie eine Farce anmutet, war in den letzten Wochen und Monaten in der
Tschechischen Republik politische Realität. Die Amtszeit des Ex-Dissidenten
Hável endete laut Verfassung am 31.12.2002. Es dauerte drei Monate und drei
nervenaufreibende Wahlgänge, um seinen Nachfolger zu bestimmen. Angetreten
waren Jan Sokol, Professor für Philosophie an der Prager Karls-Universität
als Kandidat der tschechischen Sozialdemokraten. Ein weiterer Kandidat war
der Schlagersänger Karel Gott. Und schließlich wurde am 07.03. Václav Klaus
vereidigt. Er, der Professor für Wirtschaftswissenschaften blickt stolz von
jedem Foto, auf dem er mit der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret
Thatcher abgebildet ist.
Nationale Symbole
In den letzten Wochen seiner Amtszeit hatte Václav Havel ein Zeichen gesetzt.
Über der Prager Burg leuchtete ein riesiges Herz aus Neonröhren. Und obwohl
seine Untertanen die Installation mit Bordell-Vergleichen schmähten,
signalisierte sie das Ende einer Ära. Denn für Hável war das Herz, das er außer
bei Staatsverträgen immer in seine Unterschrift einbezog, ein "nationales Symbol"
für Frieden, Versöhnung und Ausgleich. Gleichzeitig wurde es zu einem Zeichen für
Hávels integrierenden Regierungsstil.
Das Amt des tschechischen Staatspräsidenten zeichnet sich nicht durch übergroße
Machtfülle aus. Die Verfassung der Republik hatte Hável während seiner
Regierungszeit vornehmlich repräsentative Aufgaben zugestanden. Und doch war es
ihm immer wieder gelungen, in Zeiten politischer Krisen sowohl als Mahner, aber
auch als Vermittler zu wirken. Václav Hável war als Staatspräsident zum
nationalen Symbol geworden, denn sein Lebensweg war eng mit der jüngeren
Geschichte seines Landes verknüpft gewesen.
In der Dissidentengruppe "Charta 77" hatte er in den späten siebziger und achtziger
Jahren des letzten Jahrhunderts die Versäumnisse der tschechoslowakischen
Nomenklatura angeprangert und wurde mehrere Male für seine Meinungsäußerungen
inhaftiert. Die demonstrierenden Massen, die 1989 einen Regimewechsel in der
Tschechoslowakei herbeigeführt hatten, hievten ihn mit der Parole "Hável in
die Burg!" auf den Staatspräsidentensessel, der in dem Prager Hradschin steht.
Und dort saß Václav Hável mit einer kurzen Unterbrechung nach der Teilung der
Tschechoslowakei bis zum Ende des letzten Jahres und wurde Zeuge der politischen
Karriere seines jetzigen Nachfolgers Václav Klaus. Zweifellos sind sie groß,
die Fußstapfen, in die der neue Staatspräsident jetzt treten muss.
Wer ist Klaus?
Die politische Karriere von Hávels Amtsnachfolger begann direkt nach dem Sturz
des sozialistischen Regimes. Vorher war Václav Klaus eher durch seine
wissenschaftliche Laufbahn und seine politische Neutralität in Erscheinung
getreten. Denn er wurde nicht nur in der damaligen Tschechoslowakei, sondern
auch in Italien und beim "Klassenfeind" USA zum Ökonomen ausgebildet.
Andererseits trat er auch nie durch besonderes Engagement für die regierende
kommunistische Partei in Erscheinung. 1991 gründete er die "Bürgerlich-Demokratische
Partei" (ODS), die vor allem deshalb so großen Zulauf fand, weil sie ein komplett
gegenläufiges Programm zur bis heute reformresistenten Kommunistischen Partei KSCM
präsentieren konnte.
Parteivorsitzender Klaus war es, der erst im Amt des Finanzministers und später
als Ministerpräsident den wirtschaftlichen Umbau des Landes bis 1996 vorantrieb.
Doch faule Bankkredite und Mängel im Sozialsystem ließen erst die Wirtschaft und
dann die Regierung 1997 in eine tiefe Krise stürzen, von der sich weder der Markt
noch das Parlament bis zum heutigen Tag erholt hat. Ministerpräsident Klaus musste
zurücktreten, doch von der politischen Bühne des Landes war er nicht verschwunden.
Vielmehr bewies er ein hohes Maß an Fantasie, indem er im darauf folgenden Jahr
eine große Koalition mit den Sozialdemokraten bildete. Die vierjährige Liaison
trug den Titel "Oppositionsvertrag", Klaus zog die Bezeichnung "Toleranzpatent"
vor. "Postengeschacher" nannte es die tschechische Öffentlichkeit.
Václav Klaus und der Vorsitzende der Sozialdemokraten (CSSD) Milos Zeman hatten
ihre politischen Pfründe bereits erfolgreich abgesteckt. Und sowohl Klaus als
auch Zeman hatten den Posten des Staatspräsidenten fest im Blick. Im Juni 2002
endete die große Koalition und die Bürgerlich-Demokratische Partei richtete den
Wahlkampf vollkommen auf ihr Flaggschiff Klaus aus. Die Bürger stimmten
daraufhin nicht etwa begeistert für die ODS - die meisten gingen gar nicht
zur Wahl. Die einzige Partei, die sich mit Recht Gewinner nennen konnte,
waren die Kommunisten. In den Hochburgen der ehemaligen Staatspartei in der
deutschen und polnischen Grenzregion konnten vor allem Protestwähler mobilisiert
werden. Ganz Europa war sich nach der letzten Parlamentswahl einig: Václav Klaus`
politische Karriere war zu Ende. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Klaus
ging nicht aufs Altenteil, sondern in den Hradschin.
Der neue Staatspräsident
Im Grunde ist der neue Staatspräsident Klaus gewohnt, seine Worte abzuwägen. Im
Gegensatz zum ehemaligen Vorsitzenden der Sozialdemokraten Milos Zeman, der in
einer österreichischen Zeitung die Sudetendeutschen als "fünfte Kolonne Hitlers"
bezeichnete, setzt er auf Contenance. Doch ob neue Antworten zu kritischen Fragen
unter einem Staatspräsidenten Klaus zu erwarten sind, bleibt dahingestellt.
In einem Interview mit einer der größten Tageszeitungen des Landes, Mlada Fronta
Dnes, setzt er vor allem auf die Fortführung der bisherigen tschechischen
Position, die Beneš-Dekrete weiter zu verteidigen. "Ob Helmut Kohl, ob die
Präsidenten Herzog oder Rau, ob Kanzler Schröder; meine Einstellung blieb
die gleiche." Und auch zur Frage des EU-Beitritts der Tschechischen Republik
spricht er eine bekannte Sprache. Seine Meinung zur Europäischen Union orientiert
sich am britischen Euroskeptizismus, den er selbst als "Eurorealismus" verbrämt.
Bis zum Beitrittsreferendum Mitte Juni wird der deutlich EU-freundlichere,
sozialdemokratische Ministerpräsident Vladimir Spidla viel Überzeugungsarbeit
leisten müssen, um die tschechischen Bürger zu einem positiven Abstimmungsergebnis
zu bewegen.
Neue Symbole dringend gesucht
Zwei Legislaturperioden, also acht Jahre, gesteht die tschechische Verfassung
ihren Staatspräsidenten zu. Herrn Klaus bleibt also noch Zeit, bis seine Amtszeit
als Staatspräsident einem Symbol wie Hávels Herz zugeordnet werden kann. Die
tschechischen Bürger können nur hoffen, dass er nicht eines Tages auch den
Hradschin verzieren möchte. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er kein
Herz, sondern ein Wahlplakat anbringen lassen. Und das trug zumindest bis jetzt
immer sein Konterfei.