Die Wahl war die sechste seit Abschaffung der Monarchie und Ausrufung der Islamischen Republik vor 20 Jahren. Das Parlament wurde bisher von konservativen Kräften dominiert, die 120 der bislang 270 Sitze inne hatten.
Rund 83 Prozent der 39 Millionen Wahlberechtigten hatten am 18. Februar 2000 ihre Stimme abgegeben, um über die Verteilung der 290 Parlamentsmandate zu entscheiden.
Schon bald zeichnete sich sowohl in der Provinz wie in der Hauptstadt Teheran eine deutliche Niederlage der konservativen Kräfte ab.
Präsident Mohammad Chatami scheint ein weiteres Etappenziel in Richtung demokratischer Wende erreicht zu haben. Die Legislative und Exekutive befindet sich nun in der Hand der Reformer.
Das politische System des Irans aber ist ein theokratisches Gebilde, wesentliche Machtinstrumente bleiben deshalb wohl auch weiterhin in den Händen der Islamisten.
Grund genug für e-politik.de, die komplexe Politik der Islamischen Republik Iran zu durchleuchten, über ihre Zukunft zu sprechen und die Rolle des Reformers Chatami darzustellen. Florian Wachter hat sich für e-politik.de mit Dr. Andreas Diek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Orient-Institut, unterhalten.
Im Interview: Dr. Andreas Diek (Deutsches Orient-Institut)
e-politik.de: Zwei Jahrzehnte lang war das ´iranische Modell´ ein Synonym für radikalen Islamismus. Nun gingen die Reformkräfte um Präsident Chatami als eindeutige Sieger aus den Parlamentswahlen hervor.
Entwickelt sich der Iran zu einer "demokratischen" Islamischen Republik?
Diek: Der Sieg der Reformkräfte bei den Parlamentswahlen beweist in erster Linie die Flexibilität des politischen Systems im Iran. Der erste von islamischen Geistlichen geführte Staat in der Neuzeit ist inzwischen offener und weiter auf dem Weg zur Demokratisierung fortgeschritten als alle mehrheitlich muslimischen Staaten der Region mit Ausnahme der Türkei.
Eine vorsichtige Liberalisierung begann schon unmittelbar nach dem Tod Khomeinis unter dem Präsidenten Rafsanjani (1989-1997), und die Wahl von Chatami 1997 war in vieler Hinsicht ein Dammbruch. Die junge Generation kennt das 1979 gestürzte Schahregime nur vom Hörensagen, aber umso ausgiebiger die Schattenseiten des klerikalen Regimes. Sie will in erster Linie politische und persönliche Freiheit und läßt sich durch ständig wiederholte Parolen wie "Verteidigung der Errungenschaften der Revolution" oder "Widerstand gegen die kulturelle Invasion des Westens" immer weniger überzeugen.
Daher hat der Iran die Chance, auch bei der Demokratisierung des politischen Systems eine Pionierrolle zu spielen, während manche andere Staaten die Phase eines totalitär-islamistischen Regimes vielleicht noch vor sich.
e-politik.de: Hierzulande entsteht häufig ein undurchsichtiges Bild von den politischen Entscheidungswegen im Iran. Neben Präsident und Parlament gibt es wichtige Geistliche, einflußreiche Minister, die umstrittene Justiz und einen übermächtigen Wächterrat.
Stichwort: Verflechtung von Staat und Religion. Wer besitzt dabei welche Machtkompetenzen?
Diek: Der Präsident steht im Iran seit 1989 auch der Regierung vor, die ihrerseits vom Vertrauen des Parlaments abhängt. Beide Institutionen sind jetzt in der Hand von reformbereiten Kräften.
Über der Regierung und dem Parlament steht allerdings der sogenannte "Revolutionsführer" bzw. Wali-ye Faqih ("Herrschender Rechtsgelehrter"), der nur von einem Gremium aus Geistlichen (dem zuletzt 1998 wiedergewählten "Expertenrat") abgesetzt werden kann. Er ernennt u.a. die Hälfte der Mitglieder des "Wächterrats", der alle Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem Islam überprüft und vor Wahlen aller Art eine Vorauslese der Kandidaten trifft. Außerdem kann der "Führer" jeden weiteren Funktionsträger ernennen und absetzen, u.a. die Spitzen der Justiz, der "Revolutionswächter" und diverser großer "Stiftungen" und sonstiger "Revolutionsorganisationen", die bisher der Kontrolle von Parlament und Regierung weitgehend entzogen blieben.
Seit 1989 hat Ayatollah Khamene'i diese Schlüsselstellung inne, aber er nutzt seine Macht gelegentlich auch im Sinne der Reformer.
e-politik.de: Im Iran sind auf den ersten Blick einige Staatsstrukturen mit denen westlicher Staaten vergleichbar. Schließlich akzeptiert die Verfassung ja zumindest formal die parlamentarische Demokratie.
Wo aber sind klare Trennlinien zu ziehen?
Diek: Tatsächlich ist die Verfassung der Islamischen Republik eine Mischung sich widersprechender Elemente, nämlich des klerikalen Führerprinzips totalitärer Prägung und parlamentarischer Strukturen nach westlichen Vorbildern.
Bereits mit dem Tod Khomeinis war die Staatsdoktrin des Welayat-e Faqih ("Herrschaft des Rechtsgelehrten") ins Wanken geraten, weil kein Nachfolger mit vergleichbarem Charisma zur Verfügung stand, und die Position des "Fühers" wird tendenziell schwächer zugunsten der gewählten Institutionen. Da jedoch sämtliche Machtpositionen der Geistlichkeit und sonstiger Nutznießer der Revolution von dieser Staatsdoktrin abhängen, werden die konservativen Kräfte sie so lange irgend möglich verbissen verteidigen.
e-politik.de: Präsident Mohammad Chatami hat seit seiner Wahl vor drei Jahren die Innenpolitik des Iran durch eine vorsichtige Liberalisierung geprägt.
Außenpolitisch scheint der Iran um eine Annäherung an die EU, die arabischen Staaten und die USA bemüht.
Kann man vermuten, dass es in außenpolitischen Fragen bei Konservativen und Reformern wenig Dissens gibt während die Innenpolitik den eigentlichen Konflikt darstellt?
Diek: Irans Außenpolitik ist unter Konservativen und Reformern nicht weniger umstritten als die Innenpolitik, weil außenpolitischer Isolationismus für die Hardliner ein wichtiges Mittel des eigenen Machterhalts darstellt. Das hat bereits Khomeini mit einem bewußten Konfrontationskurs gegen die USA, der die Entmachtung der liberalen Elemente ab 1979 einleitete, vorexerziert.
Selbst der achtjährige Krieg gegen den Irak, dessen Ausbruch Iran nicht verschuldet hat, war den Hardlinern als Mittel zur ´Disziplinierung´ des eigenen Volkes willkommen.
Eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA ist im Iran immer noch ein politisches Tabu, wozu allerdings auch die USA selbst mit ihrer übertriebenen Eindämmungspolitik beigetragen haben.
e-politik.de: Welche Biografie hat der Präsident Mohammad Chatami?
Diek: Chatami, der 1978-1979 die iranische Moschee nebst Islamischem Zentrum an der Alster in Hamburg geleitet hat, war von 1982-1992 Kulturminister unter verschiedenen Regierungen. Er mußte schließlich zurücktreten, weil er nach Meinung der Konservativen die Zensurbestimmungen zu locker gehandhabt hatte, und war danach einige Jahre Leiter der Nationalbibliothek.
Seine Kandidatur für das Präsidentenamt 1997 kam überraschend, und man hatte dem sanften und bescheidenen Mann nicht zugetraut, allzuviele Wähler zu mobilisieren. Als er sich dann sehr schnell als liberaler Gegenpol zu Nateq-Nuri, dem Kandidaten des konservativen Establishments, profilierte und populär wurde, war es für ein Verbot seiner Kandidatur zu spät.
e-politik.de: Hat sich mit Chatami so etwas wie eine politische Kultur im Iran entwickelt, die durch alle Schichten geht?
Kann man sogar von einer verzweigten "Parteienlandschaft" sprechen?
Diek: Eine sehr vielfältige politische Kultur hatte sich im Iran bereits im Gefolge der Revolution von 1978/79 manifestiert. Sie wurde in der Folgezeit jedoch erneut - wie bereits unter dem Schah - unterdrückt.
Bereits unter Rafsanjani wurde die Pressezensur gelockert und unter Chatami wurde sie fast aufgehoben; allerdings kam es immer wieder zu Verboten einzelner Zeitungen durch den Druck seiner Gegner.
Neue politische Parteien, die diesen Namen verdienen, wurden im Iran erst seit zwei Jahren gegründet, aber man kann damit rechnen, dass diese sich schnell weiterentwickeln werden. Die intellektuelle Elite engagiert sich am stärksten für eine Öffnung des Systems, aber die Wahlergebnisse zeigen, dass der Wille zur Veränderung schon eine Mehrheit der Bevölkerung erfaßt hat.
e-politik.de: Welche Themen spielten im jetzigen Parlamentswahlkampf eine besondere Rolle?
Diek: Wie schon im Wahlkampf 1997 waren auch jetzt die Forderungen nach mehr Bürgerrechten und Rechtsstaatlichkeit die Hauptthemen des Pro-Chatami-Lagers.
Die Mehrheit der Iraner verlangt außerdem eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse, was nicht ohne eine Überwindung der seit 1979 geschaffenen Strukturen möglich sein wird. Die exzessive Verstaatlichung und die Pfründe der "Revolutionsorganisationen" sind schon lange als Wurzel des Übels bekannt.
e-politik.de: Gibt es neben dem "weichen" Reformer Chatami derzeit relevante Politiker, die durchaus noch weiter in ihren demokratischen Vorstellungen gehen?
Diek: Chatami stellt öffentlich niemals die Grundpfeiler des theokratischen Systems in Frage und betreibt eine Politik der kleinen Schritte, wie es seinem Naturell und politischem Realismus entspricht. Man kann aber davon ausgehen, dass die Mehrheit seiner Wähler viel mehr will.
Namhafte politische Führer, die das theokratische System grundsätzlich ablehnen, befinden sich seit langem im Exil oder leben nicht mehr, aber Forderungen nach einem völligem Rückzug der Geistlichkeit aus der Politik werden auch im Iran zunehmend laut. Zahlreiche potentielle Führer einer radikaleren Demokratisierungsbewegung warten nur auf ihre Stunde.
Gewarnt werden muß allerdings vor einigen lautstarken Exil-Organisationen wie den "Volksmujahidin", die zwar einen Sturz des Regimes, aber keinesfalls ein demokratisches System anstreben.
e-politik.de: Wie werden die konservativen Kräfte im Iran in den nächsten Wochen und Monaten reagieren?
Droht möglicherweise ein unkalkulierbares Machtvakuum?
Welche Positionen gibt es bei den Sicherheitsbehörden, im Geheimdienst, bei Polizei und Militär?
Diek: Auch die jetzigen Parlamentswahlen waren nur eine Etappe auf dem langen Weg zur Liberalisierung. Die konservativen Kräfte sind nach wie vor übermächtig in der Justiz und in den vom "Führer" direkt ernannten Ämtern und verfügen mit den "Revolutionswächtern" und der paramilitärischen Freiwilligenarmee der "Basidjis" noch über ein nicht zu unterschätzendes Repressionspotential. Ferner könnten sie Teile der Unterschicht und der Nutznießer staatlicher Privilegien gegen Frontalangriffe auf das System mobilisieren.
Ich erwarte allerdings keinen Zusammenprall mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, sondern einen weiteren stillen Machtkampf auf vielen Ebenen, wobei ein Teil der Konservativen sich auch flexibel zeigen wird, um zu retten was zu retten ist.
Selbst der "Führer" Khamene'i, außenpolitisch ein absoluter Hardliner, scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und zu weiteren Zugeständnissen bereit zu sein. Für die Geistlichkeit steht sehr viel auf dem Spiel, wenn sie sich noch lange gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit an Machtpositionen und Privilegien festkrallt.
e-politik.de: Wie müssen die EU, die USA und die arabischen Nachbarn auf das Wahlergebnis reagieren, um die demokratischen Kräfte wirklich unterstützen zu können?
Diek: Die EU-Staaten verfolgen schon seit vielen Jahren eine konstruktive Linie gegenüber Iran und haben alle Forderungen der USA zurückgewiesen, sich an der Isolierung des iranischen Regimes zu beteiligen. Seit dessen unübersehbarer Liberalisierung trägt diese Politik Früchte, und auch in den USA selbst werden die Rufe nach einer Revision der Eindämmungspolitik lauter, vor allem seitens der Erdölkonzerne und Exportunternehmen.
Den totalitären arabischen Regimes in Irans Nachbarschaft, von Syrien über den Irak bis zum Golf, sollte die Entwicklung im Iran ebenfalls zu denken geben.
Seit 1997, dem Amtsantritt Chatamis als Präsident des Iran, nutzten zuerst die Kulturschaffenden die neuen Freiheiten. Allen voran die Filmemacher. Ein Beispiel ist der Regisseur Majid Majidi. Sein Film "Kinder des Himmels" gibt es nun auch in Deutschland als Video-Kaufkassette. Marius Lechler hat sich "Kinder des Himmels" für e-politik.de angesehen.
Eine e-politik.de-Netzreportage führt zu den wichtigsten Internet-Adressen rund um die Islamische Republik Iran.