Noch am Montag morgen schien die Welt für den Bundeskanzler in Ordnung zu sein. Es sah so aus als würden die europäischen Verbündeten in der Irak-Frage fest an der Seite der Deutschen stehen. Zudem sind die Umfragewerte gut. Die SPD hat nach einer langen Durststrecke wieder zur Union aufgeschlossen. Das zweite TV-Duell wird eindeutig zu Gunsten des Bundeskanzlers gewertet. Nachdem die Flut den Kanzler in den Sonntagsfragen nach vorne gespült hatte, punktet er nun mit einer klar ablehnenden Haltung zu einer Militäraktion im Irak.
Die Bundesregierung gerät nun dennoch unter Druck. Medienberichte sprechen eindeutig davon, dass Deutschland sich in der Irakpolitik gegenüber seinen Verbündeten isoliere. Der Kanzler verweist stoisch auf die guten Beziehungen zu Washington und darauf, dass Freundschaft auch heiße, sich nicht zum Vasallen seiner Freunde zu machen.
Nachdem nun auch von NATO-Kreisen die Haltung der Bundesregierung kritisiert wird, Deutschland langsam aber sicher alleine dasteht und der irakische Diktator Saddam Hussein die Haltung der Bundesregierung öffentlich im staatlichen Fernsehen lobt, drängen sich zwei Fragen auf:
1. Kann der Bundeskanzler dem wachsenden internationalen Druck seiner Verbündeten standhalten?
2. Liegt angesichts der früheren außenpolitischen Linie nicht der Verdacht nahe, dass sich der Kanzler die Anti-Kriegs-Stimmung der Bevölkerung nur zu nutze macht, um möglicherweise entscheidende Stimmen zu gewinnen?
Ein "klares Nein" nur für die Stimmen?
"Ich kämpfe für die Fortsetzung einer Konstellation, der rot-grünen Koalition, die bewiesen hat, dass sie im Inneren Reformen durchsetzen kann, und die im Äußeren das Ansehen Deutschlands deutlich gemehrt hat.", so der Kanzler am vergangenen Sonntag im TV-Duell. Doch die neuerworbene Reputation Deutschlands droht an der Schröderschen Rhetorik zu zerbrechen. Das befürchten zumindest die Kritiker, allen voran der Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber.
Das neue deutsche Selbstbewußtsein, das dieses kategorische Nein signalisiert, trifft die Stimmung der Wähler. Nachdem Schröder im zweiten TV-Duell am vergangenen Sonntag erneut seine Position im Irak Konflikt deutlich gemacht hatte, gingen die Umfragewerte noch einmal deutlich nach oben. 57 Prozent der Befragten gaben an, die außenpolitischen Argumente des Kanzlers überzeugender zu finden. Nach dem Duell war die Zahl derer, die Gerhard Schröder am 22. September lieber als Kanzler sähen, von 44 auf 51 Prozent gestiegen. Stoiber lag in diesen Punkten weit abgeschlagen hinter Schröder.
Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Glos, vermutet, dass Gerhard Schröder gezielt versucht, Stimmen zu gewinnen, in dem er den Wählern Versprechen gibt, die er am Ende nicht halten wird.
Die Deutschen und der Krieg
Nachdem die Bundesregierung mit ihren Einsätzen im Kosovo und der erzwungenen Entscheidung für einen Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan bereits massiv Kritik der Bevölkerung ernten mußte, tut Gerhard Schröder im Moment gut daran, seine Wähler nicht durch eine deutsche Zusage für einen Einsatz im Irak zu vergrämen. Ob diese Position allerdings länger als bis zum 22. September aufrechterhalten werden kann, bleibt weiterhin fraglich.
Kritiker gehen davon aus, dass der Bundeskanzler ein Hintertürchen finden werde, das ihm erlaubt die Verbündeten bei einer Intervention im Nahen Osten zu unterstützen - auf welche Weise auch immer.
Für und Wider
Dabei muss man bemerken, dass sowohl Gerhard Schröder als auch Herausforderer Edmund Stoiber gewichtige Argumente für ihre Position ins Feld führen, sofern sie auf Polemik verzichten und Sachfragen erörtern.
Stoiber hat recht, wenn er vor der Gefährlichkeit Saddam Husseins warnt, der UN-Resolutionen mit Füßen tritt und in der Vergangenheit bereits Massenvernichtungswaffen eingesetzt hat. Er hat recht, wenn er fordert, man müsse den Druck auf den Irak erhöhen und nicht theoretische Möglichkeiten ausschließen. Oberste Priorität habe die Fortsetzung der UN-Inspektionen.
Schröder hält dagegen, dass die Situation im Nahen Osten zu instabil ist, als dass man riskieren könnte mit einem neuen Konflikt die Lage weiter zu verschärfen. Weiterhin ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Kampf gegen den Terrorismus noch nicht gewonnen ist und es während des noch laufenden Afghanistan-Feldzugs wenig sinnvoll erscheint, einen neuen Konflikt zu beginnen. Zumal existieren noch keine Pläne, wie eine Ordnung für den Nahen Osten aussehen könnte, nachdem ein Irak-Feldzug beendet ist.
Der Ton macht die Musik
Dennoch ist das Vorgehen des Kanzlers unbedacht. Auch im Wahlkampf sollte man das Gefühl für leise Töne nicht verlieren. Deutschland läuft Gefahr, sich in der Irakfrage bei seinen Nachbarn zu isolieren und damit bei wichtigen Entscheidungen übergangen zu werden.
Und weiterhin bleibt eine Frage offen: Wie ehrlich ist Gerhard Schröder in dieser Frage zu seinen Wählern? Denn auch er weiß, dass er - sollte die SPD nach dem 22. September an der Regierung bleiben - international eine schwere Position zu vertreten hätte.
Foto: Copyright liegt bei der SPD