Aus europäischer Sicht mehren sich die Alleingänge der USA in der Außen- und Sicherheitspolitik - besonders seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Auf der internationalen Tagung "Unilateral oder multilateral - Die EU und die USA im Streit um eine neue Weltordnung" der Bundeszentrale für politische Bildung in Brühl wurde deutlich, weshalb: In Amerika herrscht tatsächlich eine andere Vorstellung von Kooperation in der Welt.
Verantwortlich für die Welt
Laut David Gompert vom US-Think Tank RAND Europe haben die USA "besondere Interessen" und vor allem "Verantwortlichkeiten" in der Welt. Regionen wie Korea oder der Persische Golf hätten den USA Verantwortung für ihre Sicherheit übertragen und würden dadurch steigende Risiken bergen. Wären die USA selbst oder aber die Länder, für deren Sicherheit die USA Verantwortung trägt, bedroht, seien die Amerikaner daher gezwungen unilateral zu handeln.
Die Kritik der EU an diesem Vorgehen bleibe solange wirkungslos, solange die Europäer nicht selbst derartige Verantwortlichkeiten übernähmen. Nur so würden die USA mittelfristig auch den multilateralen Weg einschlagen. Die USA müssten dann mehr Aufbauhilfe leisten und verstärkt an peacekeeping-Missionen mitarbeiten. Außerdem gebe es Unilateralismus nicht nur auf einer Seite des Atlantiks, so Daniel Harris, US-Generalkonsul für Nordrhein-Westfalen: "Wir alle verfolgen nationale Interessen, auch die einzelnen Mitglieder der EU".
Eine Frage der Moral
Demgegenüber versuchte Professor Harald Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, die radikal-europäische Position zu erläutern: "Die Entscheidung zwischen Uni- und Multilateralismus wird zur Frage der eigenen Moral. Die europäischen Länder sind daran interessiert, ihre Umgebung behutsam nach den Prinzipien ihres eigenen Projekts zu gestalten." Es gebe aber durchaus auch innerhalb des europäischen Zusammenwirkens erhebliche Schwächen - ausgelöst durch Alleingänge und nationale Egoismen. In Fragen großer Weltpolitik habe die EU zum Beispiel keine einheitliche Position.
Durch diese Uneinheitlichkeit sowie schlechte militärische Strukturen entstünde ein Vakuum, in das die amerikanische Politik leicht hineinstoßen könne. Die Vision Präsident Bushs laufe auf eine stramme Hierarchie der Welt hinaus: Die USA führen die freie Welt an und stehen über dem Recht - Schurkenstaaten sind vogelfrei. "Der Gegensatz zwischen EU und USA ist sehr ernst zu nehmen ". Die Europäer dürften aber nicht den Fehler begehen, die eigenen
Positionen aufzugeben, nur "um den großen Krach zu vermeiden".
Der 11. September als Katalysator
Eine ähnliche Position vertrat auch der Pariser Politologe Jacques Beltran. Die Europäer seien teilweise bestürzt über Washingtons Rhetorik im "Krieg gegen den Terror" und hinterfragten das Konzept, während die USA ihre Verbündeten oft als unzuverlässig ansähen. Die Folgezeit des 11. September habe Katalysatorfunktion für schon lange schwelende Meinungsverschiedenheiten über das internationale System gehabt.
"Washingtons Weigerung, die Afghanistan-Operationen über die NATO auszuführen, ist repräsentativ für die wachsende Tendenz in den USA, fälschlicherweise das Bilden von Koalitionen mit Multilateralismus gleich zu setzen." So entstünde ein fataler "Multilateralismus a la carte". Die EU müsse deutlicher machen, dass sie einen fairen, aber überwiegend "politischen" Beitrag zur Bewältigung der derzeitigen Weltprobleme leiste.
Die "atlantische Zivilisation" als Basis?
Einig war sich die Tagung darin, dass ein Auseinanderdriften der transatlantischen Partner verhindert werden müsse. Die Thesen von Professor Christian Hacke aus Bonn wurden im Plenum dennoch kontrovers diskutiert: Hacke hält nichts von einem erweiterten und vertieften "europäischen Europa", das zur Ineffizienz verurteilt bleibt. Er plädiert dafür, sich lieber auf die Unilateralität der USA zu verlassen. Als Leitlinie der Beziehungen müssten dabei die Vorstellungen der Politologin Hannah Arendt über die "atlantische Zivilisation" gelten. Ein "Atlantikrat" aus den fünf stärksten Ländern solle hierbei die Exekutivaufgaben übernehmen.
In den weiteren Redebeiträgen und Diskussionen wurde deutlich, wie unterschiedlich die Vorstellungen beiderseits des Atlantiks von Außen- und Sicherheitspolitik noch sind. Am Ende der Tagung stand eines fest: Ein wichtiger Schritt, die aufkommende Kluft zwischen den Partnern zu verhindern, wäre mehr Verständnis für die jeweils andere Position.
Für Studenten ist die Teilnahme an vielen Tagungen des Ost-West-Kollegs möglich und auch kostenlos.