Als die 105 Konventsmitglieder das erste Mal zusammen traten, kam das dem Startschuss zu einem politischen Verhandlungsmarathon gleich, denn während der veranschlagten gut einjährigen Zeit, muss ein gewaltiger Fragenkatalog abgearbeitet werden.
Nahezu 60 Fragen haben die Staats- und Regierungschefs mit der Erklärung von Laeken vorgelegt, die gleichsam die Arbeitsgrundlage des "Zukunftskonvents" darstellt.
Die zahlreichen Einzelfragen lassen sich in vier große Themenblöcke zusammenfassen.
Erstens wird es um die zukünftige Gestalt der Kompetenzabgrenzung zwischen den Mitgliedstaaten und der EU gehen,
zweitens um die Vereinfachung der Instrumente, etwa der qualifizierten Mehrheitsabstimmung,
drittens um die Schaffung von mehr Effizienz und Demokratie
und schließlich um die Frage, ob sich Europa eine Verfassung geben wird.
Die Ergebnisse werden Grundlage für die große Regierungskonferenz 2003 oder 2004 sein, wo die EU sich nachhaltig zukunftsfähig machen will. Dies erscheint angesichts zahlreicher großer Herausforderungen wie die anstehende Aufnahme von bis zu zehn Beitrittskandidaten sowie wirtschaftlicher oder außen- und sicherheitspolitischer Herausforderungen dringend erforderlich.
Diesen Anspruch verfolgte man schon bei den letzten Vertragsverhandlungen von Nizza, doch die Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen zurück und die "Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union", die den Weg zur Erklärung von Laeken und dem Konvent ebnete, wurde vielfach noch als größter Fortschritt gewertet.
Die Postenkeilerei blieb aus
Im Anschluss an den erfolgreichen Konvent zur Grundrechtecharta, versprechen sich sowohl die EU-Institutionen als auch die Mitgliedstaaten einen großen Wurf, wenn auch die Konventsmitglieder selbst auf die "Erwatungsbremse" drücken, wie es jüngst Jürgen Meyer (SPD), dem Vertreter des Bundestages zu entnehmen war.
Gleichwohl erscheint die Konzeption durchaus erfolgversprechend: Die 105 Mitglieder setzen sich aus 16 Europaparlamentariern, 30 nationalen Abgeordneten, 15 Regierungsvertretern, 2 EU-Kommissaren, sowie 13 Regierungsvertreter, 26 Abgeordneten aus den Beitrittskandidatenländern und schließlich dem Präsidenten plus zwei Vizepräsidenten zusammen.
Wermutstropfen für die Beitrittskandidaten: Sie besitzen nur Mitspracherecht.
Mit Giscard d'Estaing haben die Staats- und Regierungschefs in Laeken eine herausragende Persönlichkeit an die Spitze des Konvents gestellt, dessen Stimme Gewicht hat und dessen europapolitische Position zwischen den Verfassungs- und "Superstaats"-Gegnern wie Großbritannien und den Befürworten eines bundesstaatsähnlichen Modells, wie es einige Europaparlamentarier fordern, anzusiedeln ist.
Jedoch ist seine Stellung nicht ganz ungetrübt, da der französische Ex-Präsident Giscard d'Estaing trotz seines stattlichen Alters noch lange nicht an politische Enthaltsamkeit denkt. Böse Zungen behaupten, dass Jaques Chirac ihn durch die Berufung ins Konvent von Präsidentschaftsambitionen fernhalten wollte.
Die deutschen Mitglieder des Konvents wurden ohne relativ großen Zank aus den Reihen von CDU und SPD gewählt. Der Bundestag schickt mit Jürgen Meyer (SPD) einen Rechtsexperten mit Erfahrung vom Grundrechtekonvent ins Rennnen, während der zweite Vertreter, der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU), vom Bundesrat gewählt wurde.
Der ursprünglich ins Spiel gebrachte CDU-Kandidat Wolfgang Schäuble war schnell aus dem Rennen, da die CDU erkannte, dass er keine Mehrheitschancen hatte. In der Folge unterstützte sie den SPD-Kandidaten.
Irritationen herrschen lediglich über den von der Bundesregierung entsandten Delegierten, Peter Glotz. Sicher ist der häufig zum Grundsätzlichen neigende SPD-Politiker eine verdiente Persönlichkeit, doch durch europapolitische Fachkenntnisse hat er bisher noch nicht auf sich aufmerksam gemacht.
Erstaunlich ist zudem, dass er vergleichsweise niedrigrangig ist. Andere Staaten schicken teilweise stellvertretende Regierungschefs in den Konvent.
Gemunkelt wird, dass Gerhard Schröder die prestigeträchtige Gremiumsmitgliedschaft nicht dem populären Joschka Fischer überlassen wollte, der europapolitisch sowieso schon klar vor Schröder liegt. So könnte Schröder versuchen über den loyalen Glotz durch eigene Vorschläge sein Profil als Europa-Politiker bis zur Bundestagswahl im September 2002 zu schärfen. Das gerade mit Blair vorgelegte Papier mit Anstößen zur Ratsreform kann hierfür als Beleg gelten.
Was kann man von dem Konvent erwarten?
Der Ausgang des Konvents ist bisher noch keinesfalls absehbar und es scheint fast alles möglich zu sein. Die Schwierigkeit der Prognose gründet in der offen angelegten Form des Konvents. Das Präsidium legt die Agenda und den Rahmen fest. Hierzu gibt es bisher allenfalls Andeutungen.
Sicher zu sein scheint jedoch, dass der Konvent in drei Phasen ablaufen wird.
Zunächst soll bis zum Sommer eine Bestandsaufnahme über die überhaupt zur Verfügung stehender Optionen angefertigt werden.
Auf dieser Arbeitsgrundlage soll dann bis zum Ende des Jahres über die verschiedenen durch die Landschaft ziehenden Leitbilder diskutiert werden und auch das Für und Wider einer Verfassung erörtert werden.
Schließlich wird eine Konsolidierung der Diskussionsergebnisse bis zum Frühjahr 2003 angestrebt.
Was harmlos und ein bisschen nach Debattierclub klingt, wird handfeste Probleme mit sich bringen, denn schließlich geht es um die Macht(-verteilung) in der zukünftigen EU. Und hier gehen die Vorstellungen sehr weit auseinander: Von Fischers Föderalismus-Konzept, das eine umfassende Aufwertung der EU-Kompetenzen vorsieht, bis zu Blairs intergouvernementalistischer Vorstellung, die schon die verbindliche Aufnahme der Grundrechtecharta in die Verträge verhindert hat. Der Engländer verbindet mit ihr die "Staatswerdung" der EU, die er rundherum ablehnt.
Als endgültiges Ergebnis des Konvents ist schließlich alles vorstellbar, was zwischen den zwei in der Erklärung von Laeken angedeuteten Polen liegt.
Einerseits die Einigung auf ein Dokument, sozusagen ein Verfassungsentwurf, der alle Fragen der Agenda umfasst und abhandelt, und andererseits ein undurchsichtiger Wust von Einzelantworten auf die 60 Fragen, die dann sicher auf der Regierungskonferenz von den Staats- und Regierungschefs weiter zerpflückt werden und zu einem "Reförmchen" à la Amsterdam verkommen.
Dass schon jetzt die Regierungspolitiker versuchen, die Entscheidungen zu beeinflussen, kann man am gerade von Schröder und Blair gemeinsam vorgelegten Positionspapier zur Reform des Europäischen Rates ablesen.
Aber auch die Bürger dürfen sich zu Wort melden. So sind alle Tagungen des Konvents öffentlich, zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure sind als Beobachter geladen und im Internet wurde eigens eine Seite für die Zukunftsdiskussion eingerichtet.