Im Karfreitagsabkommen von 1998 hiess es in Bezug auf die Entwaffnung
paramilitärischer Organisationen, dass die unterzeichnenden Parteien all ihren Einfluss in
diesem Prozess geltend machen würden. Nicht mehr und nicht weniger. Während die IRA-nahe Sinn Féin seither darauf besteht, dass es keinen Automatismus zwischen der
Regierungsbeteiligung der Partei und der Abgabe der Waffen durch die IRA gibt, sind die
Unionisten in der Partei David Trimbles, und mehr noch in der Democratic Unionist Party
des Hardliners Ian Paisley, der Auffassung, dass es genau diese Verbindung gibt.
Ende Oktober hatten die UUP-Delgierten nun die Wahl zwischen einem Vorschlag der
prinzipiellen Gegner des Karfreitagsabkommens, den Friedensprozess ‚auszusetzen', wenn
die IRA bis zum 30. November nicht wenigstens mit einer Waffenabgabe beginnt, und dem
Vorschlag der prinzipiellen Befürworter des Karfreitagsabkommens, sofort Druck auf Sinn
Féin auszuüben, aber keinen festen Termin für ein Ende des Friedensprozesses zu setzen.
Mit knapper Mehrheit entschied man sich für die zweite Variante.
Im Detail bedeutet das unter anderem, dass die beiden Sinn Féin-Minister ab sofort nicht
mehr an Treffen des Nord-Süd-Ministerrates teilnehmen dürfen. Dieses Gremium hat
aufgrund seiner Funktion der Etablierung formaler Beziehungen zwischen Nordirland und
der Republik Irland für Nationalisten einen hohen symbolischen Wert, also genau für die
Bevölkerungsgruppe, die Sinn Féin zum Teil repräsentiert.
Darüber hinaus bedeutet die neue härtere Gangart der UUP auch, dass es zunächst keine
Fortschritte bei der, für Nationalisten ebenfalls wichtigen, Polizeireform geben wird, und
dass man sich für die Zukunft eine umfassende, notfalls einseitige ‚Überarbeitung' des
Karfreitagsabkommens vorbehält.
Eine ähnliche Krise hatte es bereits Anfang des Jahres gegeben. Damals wurde
Schlimmeres dadurch verhindert, dass Nordirland-Minister Peter Mandelson Parlament
und Exekutive in Nordirland kurzerhand suspendierte. Gleiches wäre zwar auch diesmal
wieder denkbar, doch ist es zu einem gewissen Grad wahrscheinlicher, dass damit eine
Entwicklung einhergehen würde, an deren Schlusspunkt das Ende des jetztigen
Friedensprozesses und die direkte britisch-irische Kontrolle über Nordirland stehen würde.
Damit wäre keiner der beiden Bevölkerungsgruppen sonderlich gedient. Aber auch
kurzfristig sind die unmittelbaren Konsequenzen, die sich aufgrund der derzeitigen
Entwicklung abzuzeichnen beginnen, schwerwiegend.
Erstens nämlich beginnt sich allmählich selbst unter gemäßigten Nationalisten, die von der
Social Democrat and Labour Party (SDLP) repräsentiert werden, eine Desillusionierung
bezüglich des gesamten Friedensprozesses auszubreiten. Das Auseinanderdriften der
gemäßigten Lager beider Bevölkerungsgruppen, also von SDLP und UUP, stellt den
gesamten Prozess der Umsetzung des Karfreitagsabkommens in Frage.
Zweitens wird damit die Anfälligkeit des Friedensprozesses für Störaktionen von
sogenannten ‚abtrünnigen' Terroristen größer. Während die loyalistischen Paramilitärs
momentan weitgehend mit internen Machtkämpfen beschäftigt sind, haben vermutliche
republikanische Hardliner in der vergangenen Nacht einen Bombenanschlag auf eine
Polizeistation verübt und zwei Beamte schwer verletzt. Solche Aktionen verleiten viele
unionistische Politiker dazu, schnell zwei und zwei zusammenzuzählen und die Richtigkeit
ihrer härteren Gangart zu reklamieren. Dabei realisieren sie jedoch nicht, dass das Ergebnis
dieser Rechnung so einfach nicht ist, da es eben (noch!) nicht die IRA ist, die diese
Anschläge begeht.
Und drittens müssen sich die unionistischen Verfechter dieser neuerlichen ‚Alles oder
Nichts'-Strategie auch fragen lassen, was denn die Alternative zur gegenwärtigen
Situation sei. Es ist unzweifelhaft, dass eine Demokratie nicht funktionieren kann, wenn
sie unter der ständigen Drohung bewaffneter Gewalt steht, und zu einem gewissen Grad
stellt das ungelöste Entmilitarisierungsproblem eine solche Drohung dar. Aber es ist eben
nicht nur ein Problem der IRA. Sollte allerdings der auf Sinn Féin und die nationalistische
Gemeinschaft jetzt ausgeübte Druck dazu führen, dass die IRA von ihrem Bekenntnis zum
Friedensprozess abrückt, wäre die Folge eine Rückkehr zu einem neuerlichen Bürgerkrieg,
der in 30 Jahren schon über 3000 Menschen das Leben kostete, von den Konsequenzen
für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Provinz ganz zu schweigen.
Eine solche Entwicklung kann sich eigentlich niemand in Nordirland wünschen, und doch
scheint es im Moment, als wäre ein Großteil der Weichen in diese Richtung schon gestellt.
Dr. Stefan Wolff, 31, ist Politologe am Fachbereich für Europastudien der University of Bath (Großbritannien).
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