Noch vor Beginn
der turnusgemäßen Präsidentschaft des Rats der Europäischen Union (EU) durch
Italien zählen viele bereits die Tage bis zu ihrem Ende und können den 1. Januar
2004 nicht erwarten. Dann wird Irland die strategische Planung und die
Tagesgeschäfte der EU von Rom übernehmen. Auch der Verfassungsentwurf des
Europäischen Konvents gibt Hoffnung: Die rotierende Präsidentschaft soll
abgeschafft und durch einen hauptamtlichen Präsidenten ersetzt werden.
Das wird aber noch dauern. Dennoch darf als Trost festgehalten werden, dass in
den kommenden sechs Monaten Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi aller
Wahrscheinlichkeit nach zum letzten Mal die Möglichkeit haben wird, ein
europäisches Amt für seinen Drang zur Selbstdarstellung auszunutzen.
Symbol Rom
Verkaufen kann er, der Ministerpräsident Berlusconi: Mit großem Eifer
arbeitete er dafür, dass die Europäische Verfassung - auch nach Ablauf der
italienischen Präsidentschaft - in Rom feierlich unterzeichnet wird. Diesen
symbolischen Erfolg konnte er dann auch seinen Wählern mit nach Hause
bringen.
In der Tradition der Römischen Verträge von 1957 ist die Verabschiedung der
Verfassung in der italienischen Hauptstadt auch ein Stück weit als Akt
europäischer Identitätsbildung zu verstehen. Darüber hinaus hat Rom für ganz
Europa als spirituelles Zentrum und Hauptstadt des ersten großeuropäischen
Reichs eine besondere Bedeutung. Symbole sind wichtig in der Politik, aber sie
ersetzen Politik nicht - und sie können nicht über die schwere Staatskrise Italiens
hinwegtäuschen.
Risiko-Regierung
Zwei der drei führenden Regierungsparteien sind weder politiktauglich noch
demokratisch unbedenklich: Einmal ist da die unverhohlen separatistische,
ausländer- und europafeindliche Lega Nord, die von der Programmatik und Aussage
her immer wieder die Grenzen der Legalität überschreitet. Berlusconis Wahlverein
Forza Italia ist eine schwer berechenbare Größe, die bei genauerer Betrachtung
des Regierungsstils apolitisch bis antipolitisch ist - und damit Politik als Form
der Organisation eines Staates in Frage stellt. Lediglich der übliche
Verdächtige, die aus dem neofaschistischen MSI hervorgegangene Alleanza
Nazionale unter ihrem Parteichef Gianfranco Fini, kann Konsequenz und Stringenz
in ihrem politischen Handeln für sich reklamieren. Dies gilt ganz besonders für
Fini in seiner Rolle als Regierungsvertreter im Europäischen Konvent.
Problem Berlusconi
Die Bilanz der Regierung nach knapp zwei Jahren ist verheerend: Staatlichkeit
und Legalität sind geschwächt wie nie zuvor. Die Judikative, eine der drei
Staatsgewalten, wird vom Regierungschef in ihrer Autorität untergraben und
delegitimiert. Eine Kette von Gesetzen fördert nicht nur, aber in erster Linie
das persönliche, wirtschaftliche und politische Wohl Berlusconis. Alle Mittel,
die ein Regierungschef zu Verfügung hat, inklusive seiner Parlamentsmehrheit,
und alle Mittel, die der Ministerpräsident privat besitzt, werden dafür
aufgeboten, Machterhalt und Freiheit von Strafverfolgung der Person Berlusconi
zu sichern.
Das britische Wochenmagazin "The Economist" warnte in einem Meinungsartikel
vom 8. Mai 2003 vor der EU-Ratspräsidentschaft unter Ministerpräsident
Berlusconi und urteilte, er sei nicht der Mann, der für die Europäische Union
sprechen könne. Wie bereits bei seiner Wahl zum Regierungschef im April 2001
attestierten die Briten ihm aufgrund seiner Interessenskonflikte Unfähigkeit für
ein politisches Amt. Es steht nicht in der Tradition des "Economist" Politikern
die Eignung für ein Amt abzusprechen. Aus diesem Grund sollte man die Empfehlung
des Magazins beherzigen: Berlusconi müsse als Ministerpräsident zurücktreten und
als einfacher Bürger alle Anschuldigungen gegen seine Person in Rechtsverfahren
entkräften.
Ein Amerikaner in Rom
Undiplomatisch zeigt sich Berlusconi gegenüber den EU-Partnern: Konsequent
nützt er Vetomöglichkeiten für das nationale Interesse aus und hat damit die
Tradition Italiens als eines der integrationsfreundlichen Länder beendet. Im
direkten Vorfeld der EU-Präsidentschaft zog sich die Regierung auch in der
Irak-Krise nicht auf eine empfehlenswerte neutrale Position zurück, sondern
unterschrieb den "Brief der Acht", der das bilaterale Verhältnis mit den
Vereinigten Staaten über die Europäische Union stellte. Dies reiht sich in eine
Kette von Entscheidungen und Positionen Roms ein, die im Ergebnis als
europakritisch und amerikafreundlich bezeichnet werden müssen.
Dass Vertreter von EU und Mitgliedstaaten dem 1. Juli mit Sorgen
entgegensehen, ist deshalb verständlich: Die Rolle der Präsidentschaft als
Organisator, Verhandlungsführer und Vermittler ist von entscheidender Bedeutung.
Wie man das effizient, wenn auch zum Teil fragwürdig, erledigen kann, das hat
die dänische Präsidentschaft mit ihrem Höhepunkt des Kopenhagener Gipfels
vorgemacht.
Dennoch muss die Devise für die EU-Partner jetzt "Augen zu und durch!"
lauten. Die Mitte Oktober beginnende Regierungskonferenz über die Europäische
Verfassung sollte genügend Diskussionsstoff und Dynamik liefern, damit der
italienische Ratsvorsitz nicht die Initiative zu eigenen, wahrscheinlich
abenteuerlichen und bedenklichen Projekten ergreift.