Theorien in der Internationalen Politik
Hans Morgenthau - Realismus
Die Grundlage für die Theoriebildung ist das Internationale und anarchische System, in dessen Forschung es hauptsächlich zwei gegensätzliche Schulen gibt:
Eine sagt, eine vernunftgemäße Ordnung in der Internationalen Politik ist möglich, der Mensch ist von Natur aus gut und lernfähig und aktuelle Fehler sind mit mangelnder Aufklärung begründbar.
Die Andere vertritt die Ansicht, daß die Erde das Ergebnis natürlicher Kräfte ist, die im Wesen des Menschen existieren. Man muß lernen mit diesen Kräften umzugehen und sie zu akzeptieren. Streitbeilegung ist hier zum Beispiel immer nur ein Interessenausgleich, "geringeres Übel" statt "ideellem Perfektionismus". Das ist der Realismus.
Sechs Grundsätze des politischen Realismus
1. Der Mensch und demzufolge die Politik und die Gesellschaft werden von objektiven Naturgesetzen bestimmt, die man nicht ändern kann. Daher muß man lernen mit ihnen umzugehen. Die Unterscheidung zwischen objektiv Wahrem und subjektiver Meinung ist immer notwendig. Weder ist Neuheit eine Tugend, noch Alter einer politischen Theorie ein Mangel.
"Eine Theorie der Politik muß der zweifachen Prüfung durch die Vernunft und durch die Erfahrung unterworfen werden." => empirisches und induktives Vorgehen.
2. Die Politik wird geleitet durch den im Sinne von Macht verstandenen Begriffs des Interesses. Dieses Interesse ist das Bindeglied zwischen Vernunft und Tatsachen. Macht und Interesse sind die Zentralbegriffe.
Der Begriff des Interesses im Sinne von Macht führt zu gedanklicher Disziplin, vernunftgemäßer Ordnung und ermöglicht so eine theoretische Einsicht in die Politik.
"Eine realistische Theorie der Internationalen Politik bewahrt damit vor zwei verbreiteten Trugschlüssen: vor der übertriebenen Einschätzung bestimmter Beweggründe und ideologischer Rücksichten."
Der Staatsmann darf nicht alleine gute Absicht zeigen, er muß die intellektuelle Fähigkeit haben, Elemente der Außenpolitik zu erfassen und die politische Fähigkeit , diese erfolgreich umzusetzen. Dabei muß er zwischen dem Wünschenswerten und dem Möglichen unterscheiden können. Außenpolitik ist dann gut, wenn sie rational ist. Das oberste Ziel ist die Selbsterhaltung.
Demokratie kann durch Wählerjagd Rationalität beeinflussen.
3. Die Bedeutung des Begriffes Interesse ist flexibel, ideal zur Konfliktvermeidung ist
Interessengleichheit.
Definition von Macht: Alles was die Beherrschung von Menschen über Menschen betrifft.
Es gibt über- und untergeordnete Interessen, aber Macht und Interesse sind zeitunabhängige Begriffe.
Ein Mächtegleichgewicht ist gut für internationale Bindungen, Ordnungen und Überleben.
4. Es besteht ein dauernder Gegensatz zwischen sittlichem Handeln und der Notwendigkeit des Erfolgs politischer Handlungen. Sittlichkeit darf nicht allgemein auf stattliches handeln angewandt werden.
Politische Moral benötigt Klugheit, und diese Klugheit - das Abwägen der Folgen aller alternativen politischen Handlungen - ist die höchste Tugend der Politik.
(normative Theorie: theoretisch sind Moral und Vernunft vereinbar)
5. Das sittliche Streben einer Nation ist nicht gleichzusetzen mit den sittlichen Weltgesetzen,
davon abgesehen gibt es keine universelle "Welt- Theorie". Beispiel: Gott ist immer bei uns bedeutet nicht, daß Gott immer auf unserer Seite ist.
Sowohl der eigene, als auch alle anderen Staaten verfolgen Interessen, danach sollte man die Politik ausrichten.
6. Deutlicher Unterschied zwischen politischem Realismus und anderen Denkrichtungen: Politik (mit Interesse: Macht) hat genauso eine eigene Eigengesetzlichkeit wie Ökonomie (Interesse: Wohlstand) oder Jura (Interesse: Gerechtigkeit).
Der politische Realist bezieht mit ein, daß es auch andere Maßstäbe als die der Politik gibt, aber er ordnet sie denen der Politik unter. Er geht die Auseinandersetzung mit den legalistisch- moralistischen Einstellungen zur Internationalen Politik ein:
1.) Beispiel für nur Legalismus:
1939 greifen die UDSSR Finnland an. Zwei Probleme für Frankreich und Großbritannien, wurden die Satzungen des Völkerbundes verletzt, und wenn ja, wie reagieren?
Satzungen wurden verletzt, also wird Rußland aus dem Völkerbund ausgeschlossen und F und GB wollen gegen Rußland in den Krieg ziehen => Vernachlässigung der Betrachtung der Konsequenzen.
2.) Beispiel für nur Moralismus:
China ist ein kommunistischer Staat, die Haltung des Westens (z.B. keine Handelsbeziehungen) ist rein von moralistischen Überlegungen gelenkt.
Laut politischem Realismus hat der Menschen mehrere Seiten in sich vereint (politische, moralistische, wirtschaftliche, etc.), aber er sollte immer nur die gerade Relevante betrachten, unter Umständen die anderen in die Überlegungen mit einbeziehen.
I. Verständnis der Internationalen Politik
Für das Verständnis der Internationalen Politik muß man einerseits die dort herrschenden Kräfte erkunden und sie andererseits auch verstehen. IP ist mehr als Zeitgeschehen und Zeitgeschichte, aber es gibt Grenzen des Verstehens: Tatsachen sind oft ähnlich, da gesellschaftliche Kräfte wirken, aber nie gleich.
Es ist schwierig, Ähnlichkeiten und Unterschiede zweier Situationen zu erkennen und werten zu können. Bzw. festzustellen ob es ein allgemeines Prinzip oder nur eine zeitabhängige Gültigkeit gibt. Die Vielfalt des internationalen Geschehens läßt Vorhersage nicht zu.
Verständnis des Internationalen Friedens (Frieden ist immer übergeordnet)
Die USA hat ihre Stellung geändert, sie ist nicht mehr unangreifbare Beobachterin, sondern ist mittlerweile auch verletzbar.
Drei Änderungen in der internationalen Struktur:
1. Das ehemalige Mehrstaatensystem mit Mittelpunkt Europa ist nun ein bipolares, weltumfassendes System.
2. Zwei gegensätzliche politische Systeme kämpfen um die Menschen.
3. Totale Zerstörung ist durch technische Fortschritte möglich, z.B. atomare Waffen (daher auch Verletzlichkeit großer Staaten)
II. Politische Macht
Internationale Politik ist immer ein Kampf um Macht.
Es gibt auch Akte nichtpolitischer Akteure (z.B. humanitärer, juristischer, wirtschaftlicher Art)
=>Internationale Politik ist nur eine Form des Zusammenwirkens von Nationen.
Daher Notwendigkeit der Unterscheidung von Internationaler Politik und Internationalen Beziehungen.
Das Wesen der Macht: Herrschaft von Menschen über das Denken und Handeln anderer.
Politische Macht: Wechselbeziehung zwischen öffentlicher Gewalt und Volk.
Unterscheidung zwischen militärischer und politischer Macht:
Politische Macht ist ein psychologischer Akt, militärische ein physischer Akt
Bei dem Beobachten politischer Macht darf man das Charisma eines Führers nicht vernachlässigen, das Volk muß hinter dem Führer stehen, um ihm Macht zu verleihen.
Er kann es beeinflussen durch:
a) Hoffnung auf Gewinn => Besitz
b) Furcht vor Nachteil => Sicherheit
c) Achtung/ Liebe => Prestige
Man muß unterscheiden zwischen Politik um ihrer selbst willen und Politik zur Beeinflussung der allgemeinen Politik. Das politische Ziel des Militärs ist es beispielsweise, den Angriff für eine andere Nation zu riskant zu machen.
Abwertung politischer Macht:
Der Kampf um Macht ist universell in Raum und zeit und kein geschichtlicher Zufall, Macht ist das wichtigste Element.
Man kann nicht einem Volk Macht nehmen, weil es dann dem anderen unterliegen würde. Der Mensch kann aber seinen Machttrieb innerhalb seiner Nation nicht ausleben, daher gleicht der Machtkampf der Internationalen Politik dem auf der nationalen Ebene.
Zwei Ursachen der Abwertung politischer Macht:
1. Die Philosophie der Internationalen Beziehungen hat sich gewandelt:
Ende der Adelsherrschaft durch das Bürgertum, historische Betrachtung, viele Philosophen und Historiker meinen, daß die "alte" Macht überwunden wäre.
=> aber statt Politik scheinbar egalitäre wirtschaftliche Abhängigkeit
2. Der Wandel der politischen Voraussetzungen von der Beziehungen USA - Welt:
Vorher gab es eine eigene Außenpolitik der USA, da in Europa zu viele Konflikte waren, die die USA nicht betrafen.
1796- Ende des 19.Jhs was der Isolationismus der USA feste politische Tatsache und Expansion und Imperialismus standen im Widerstreit zu ihrer Politik.
Kampf um die Macht:
Die innere politische Ordnung einer Nation ist durch Faktoren wie soziale und kulturelle Gleichförmigkeit stabiler als die Internationale Ordnung.
Der Unterschied ist graduell, nicht prinzipiell - drei Grundstrukturtypen:
1.) Macht erhalten => Status- Quo- Politik
2.) Macht vermehren => Imperialismus- Politik
3.) Macht demonstrieren => Prestigepolitik
III. Nationale Macht
Substanz nationaler Macht:
"Nation" ist nichts sichtbares, nur empirisch erfassbar durch die ihr zugehörigen Menschen mit bestimmten gemeinsamen Merkmalen. Macht auszuleben ist in einer Nation nicht jedem möglich, Vertreter führen Politik, Staat als Rechtsverbund, Vertreter als "Herrscher".
Das Machtverlangen des einzelnen wird a) von dadurch in ihrer Freiheit eingeschränkten Mitmenschen verurteilt, oder b) durch die Gesellschaft mit Regeln, Gesetzen und Sittlichkeit kontrolliert und geregelt.
Durch Begeisterung für nationale Ziele kann man den individuellen Machttrieb eindämmen.
Wurzeln des Nationalismus
Nach dem 2.Weltkrieg gab es drei Vorteile:
- Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
- Gemeinsamer Markt
- Euratom (Europäische Atomgemeinschaft)
Nationalismus und Identifikation <=> innere Sicherheit und Stabilität
- Der deutsche Faschismus hatte laut dem politischen Realismus drei Ursachen:
- Niederlage im 1. Weltkrieg; Paranoia vor zerstörungswütigen Feinden
- Inflation hatte den Mittelstand finanziell degradiert, daher willig für Aktionen gegen arme Minderheiten.
- Die laut Nazis vom Versailler Vertrag und dem Bolschewismus verursachte Wirtschaftskrise 1929
Bewertung nationaler Macht
Die Bewertung ist nicht möglich, da einige Faktoren nie vorhersehbar, wie z.B. Erfolg durch Fehler anderer Staaten.
Irrtümer in der Bewertung von Macht:
- Eigene Macht als absolut betrachten: Macht ist immer relativ!
- Die Macht einer bestimmten Zeit mit der in der Zukunft zu erwartenden gleichzusetzen: nichts ist dauerhaft!
- Anerkennung von nur einem Faktor, und Vernachlässigung des Restes
Beispiele für C):
- Geopolitik: Pseudowissenschaftliche Behauptung, die Geographie zum Absoluten erklärt
- Nationalismus: entartet in politischer Metaphysik des Rassismus
- Militarismus: Macht einer Nation besteht in militärischer Stärke
IV. Schranken der Macht - Mächtegleichgewicht
Das soziale Gleichgewicht
Gleichgewicht ist die Stabilität innerhalb eines Systems, welches aus autonomen Teilen besteht. Wenn von außen eingewirkt wird, oder Teilelemente verändert werden, hat das System die Eigenschaft, entweder das alte Gleichgewicht wiederherzustellen, oder ein Neues zu bilden.
Dafür gibt es zwei Prämissen:
- Die auszugleichenden Elemente werden von der Gesellschaft benötigt oder haben sonst eine Existenzberechtigung, und
- ohne Gleichgewicht könnte eines der Teilelemente über das andere den Ausschlag gewinnen, seine Interessen beeinträchtigen und es sogar zerstören.
Gleichgewicht sorgt für Stabilität im System!
Die Technik besteht darin, das jedes Teilelement so stark sein muß, daß es sich gegen den Einfluß anderer wehren kann, aber nicht stark genug, um über den anderen Macht zu erlangen.
Laut Realismus wollen alle Staaten im Internationalen System Gleichgewicht, und es gibt zwei Hauptmodelle von Mächtegleichgewicht:
A) Modell des direkten Gegensatzes:
X verfolgt gegenüber Y imperialistische Politik, Y verfolgt gegenüber A eine Politik des Status Quo oder ebenfalls imperialistische Politik
B) das Modell der Konkurrenz:
X verfolgt gegenüber Z imperialistische Politik und Z leistet Widerstand oder ergibt sich. Während Y Z gegenüber aber Status Quo- Politik wünscht oder selber Z beherrschen möchte.
Methoden des Mächtegleichgewichtes:
Teilen und Herrschen
Entweder eine Nation hält die andere schwach, in dem sie sie teilt oder geteilt läßt.
Oder man stärkt die schwache Nation, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Ausgleich schaffen ist möglich durch Gebietsausgleich, z.B. Zuteilung von Land, gewisse Menge fruchtbares Land, etc.
Wettrüsten ist das bezeichnendste Instrument in einem unstabilen, dynamischen System, die Stabilisierung des Gleichgewichts der Mächte durch gegenseitiges Herabsetzen des Rüstungsbestandes erfolgt nach einem ähnlichen Verfahren wie der Gebietsausgleich.
Bündnisse
Bündnisse sind in einem Mehrstaatensystem eine zwangsläufige Folge des Gleichgewichts der Mächte, ob eine Nation Bündnispolitik verfolgt ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, nicht des Grundsatzes.
Die rivalisierenden Staaten X und Y haben drei Möglichkeiten zur Wahl: Machtvergrößerung, Machtverbindung mit anderen Staaten oder dem Feind die Macht anderer Staaten vorenthalten.
Bei den Möglichkeiten zwei und drei verfolgen sie eben eine Bündnispolitik.
Bündnisse verleihen einer Interessengemeinschaft und ihrer Politik sowohl Zielstrebigkeit als auch Begrenzung.
Rein ideologische Bündnisse ( Heilige Allianz 1815 - stellt moralische Grundsätze auf) ohne materielle Werte sind eine Totgeburt, kann keine Maßnahmen treffen und keine Politik bestimmen.
Aber als übergeordneter ideologischer Moment über einem Bündnis kann es dasselbe stärken.
Ideal ist ein Bündnis zwischen gleich starken Nationen mit den gleichen Interessen.
Das typische Bündnis versucht mit einem Teil der Gesamtinteressen des anderen eine kooperative Politik zu führen, wobei die Verteilung der Vorteile der Verteilung der Macht entspricht.
Wirksamkeit ist nur dann möglich, wenn man sich auf gemeinsame Ziele und ein gemeinsames Vorgehen einigen kann.
Hauptziel: Verhinderung der Weltherrschaft durch eine Nation.
Kollektive Sicherheit:
Bündnisse werden von Nationen vornehmlich gegen Nationen oder gegen Bündnisse gebildet.
Kollektive Sicherheit ist dabei die Pflicht, einen Angriff auf einen Teil des Bündnisses als einen Angriff auf alle zu werten.
Es gibt im Gleichgewicht der Mächte zwei Modelle, das der zwei Waagschalen, die sich ausgleichen, oder das der zwei Waagschalen und des dritten Faktor, des sogenannten "Zünglein an der Waage":
Dieses verbindet sich nicht dauerhaft mit einer der beiden Seiten, sondern es schafft durch Unterstützung des jeweils schwächeren immer wieder den Ausgleich. Dieses Zünglein an der Waage hat eine Schlüsselfunktion, da es mehrere Funktionen hat:
- Es ist die Bedingung zur Erhaltung/Wiederherstellung des Gleichgewichtes
- Es kann Friedensregeln erzwingen.
- Der Ausgleich für andere kann auch die eigene Politik fördern
Gefüge des Mächtegleichgewichts:
Ein System herrscht auf seiner Waagschale, die anderen ordnen sich unter (Subordination).
Die Autonomie von dem Gleichgewichtssystem ist um so größer, bzw. die Unterordnung um so unbedeutender, je weiter man vom Machtzentrum entfernt ist.
Das ist ein System, das sich immer selbst erhält.
Historische Strukturwandlungen:
Expansion vom Mitteleuropa auf die ganze Welt ( 1.Weltkrieg)
Zentrum Europa war quasi halbierter Gleichgewichtskern.
Heute: Europa ist ein Faktor im Mächtegleichgewicht der Welt, ebenso wie der Balkan, oder der nahe und ferne Osten.
Drei Schwächen des Mächtegleichgewichts in der Internationalen Politik:
1.) Ungewißheit: Zur Machtbestimmung wird ein quantitatives Kriterium benötigt (gebiete, Rüstung, Bevölkerung, etc.). Da liegt laut Realismus ein Fehler, da die Größe der Gebiete zum Beispiel nicht unbedingt die Größe der Macht widerspiegelt.
Die rationale Berechnung ist immer erst im nachhinein möglich und wird bei Bündnissen noch erschwert.
2.) Unwirklichkeit: Durch diese Ungewißheit muß immer ein Machtspielraum für eventuelle Fehlkalkulationen vorhanden sein.
Die jeweilige politische Haltung kann die Waagschale auch erschweren oder erleichtern.
3.) Unzulänglichkeit: Es ist nicht nachweisbar, ob das Gleichgewicht der Mächte wirklich Kriege verhindern kann/verhindert hat.