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e-politik.de - Home  Brennpunkt  Europa   Französische Präsidentschaftswahlen 2002


Lionel Jospin

Wahlen in Trance

Autor :  Timour Chafik
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 19.04.2002

Wenn Frankreich sich entscheidet, entscheiden sich viele nicht: Die Wahlbeteiligung wird geringer sein denn je. Doch gerade um die Unentschlossenen hätte der Lionel Jospin buhlen müssen. Timour Chafik über einen spröden Regierungschef.


Lustig kann er schon sein, der sozialistische Premier, und so schlagfertig: Ob ihm denn der Chat gefallen habe, will eine der virtuellen Plaudertaschen nach einem medienwirksamen Auftritt Jospins im Internet wissen. "Je suis heureux que ce chat m'ait plu parce que d'habitude je préfère les chiens.", antwortet der Premier prompt. Brüller, Jospin, absoluter Brüller! Die Netzgemeinde kugelt sich! Man beachte den Wortwitz! Zur Erklärung nehmen wir diese fiese Subjonctif-Konstruktion flugs auseinander und entdecken: chat = Chat oder auch, aufgepasst: Katze, und chien = Hund. Ha, der Lionel, freut er sich, dass ihm der Chat gefallen hat, weil er ja sonst lieber Hunde mag. Selten so gelacht.

Ein Land, 326 Käsesorten

Vielleicht hat er damit die Katzenlobby unter seiner Wählerschaft vor dem Urnengang vergrault. Aber selbst wenn, Frankreich wird es nie erfahren. Und es scheint, als sei es Frankreich auch ziemlich schnuppe: Die 25- bis 34jährigen betrachten den Wahlkampf mit öder Langeweile - zwei Drittel von ihnen, so aktuelle Umfragen, lässt vor allem der erste Wahlgang am 21. April kalt. 58 Prozent der Bevölkerung, Franzosen lieben Statistiken, interessiert das Wahlgeschehen "wenig" oder "gar nicht". Der Grund: Für die Mehrheit unter ihnen stehen die Gegner für die entscheidende Runde am 5. Mai schon jetzt im Ring: In der rechten Ecke Jacques Chirac, Präsident eines Landes mit 326 Käsesorten und erneuter Anwärter auf den Thron im Elysée. In der Linken Monsieur Lionel Jospin, Premierminister desselben Landes mit 326 Käsesorten und zum erneuten Mal in Versuchung, als Hausherr in den Palast an der 55, Rue du Faubourg-Saint-Honoré im Herzen von Paris einzuziehen.

Der Parteisoldat

Denn es ist nicht Jospins erster Versuch, ins Elysée einzuziehen. 1995 war der Sozialist bereits gegen Jacques Chirac angetreten und erst im entscheidenden zweiten Wahlgang mit respektablen 47,36 Prozent unterlegen. Im gleichen Jahr wurde Jospin auf dem Parteitag der Sozialisten mit mehr als 94 Prozent der Stimmen erneut zum Parteichef gewählt, und verordnete zwei Jahre später seiner Partei eine Frauenquote: In 30 Prozent, im Falle von Kommunalwahlen zur Hälfte, der 577 Wahlkreise, müssen seitdem Frauen die Kandidatenliste anführen. Die von Chirac 1997 verordnete Auflösung der Nationalversammlung und die darauf folgenden Neuwahlen brachte den Sozialisten unter Jospin den Erfolg zurück. Voilà, der Parteisoldat Jospin rüttelte bereits an einem Bein des Präsidentenstuhls.

In Jahren hassen gelernt

Doch gerade die Unlust der Franzosen hätte Jospin in den vergangenen Monaten dazu antreiben müssen, mit einem schärferen Profil auch unbequeme Wählergruppen jenseits seiner Stammwählerschaft zu mobilisieren. Das aber hat der 65jährige gänzlich verpasst: Fragt man die Wähler, welche Attribute auf den Noch-Premier zutreffen, vermischen sich "oberlehrerhaft" mit "spröde" und "protestantisch" zu einer nur wenig explosiven Mischung.
Jacques Chirac, dem seine Landsleute dank seines jovial-charmanten Auftretens selbst Affären größeren Ausmaßes verzeihen, kann darüber nur müde lächeln. Denn wer kennt das politische Nicht-Profil seines Gegenspielers besser als der gegenwärtige Präsident: Stunden, Tage, Wochen haben Chirac und Jospin in konfliktreicher Cohabitation dicht an dicht zusammen arbeiten müssen und sich dadurch hassen gelernt: "Jospin hat sich sehr im Griff - das führt zu inneren Spannungen und macht ihn verletzlich", lästerte Chirac im Stile eines Hobby-Psychologen.

Hier die Hirschkuh, da der Frauenversteher

Ausgerechnet Tiermehl führte schließlich zum Eklat: Als Chirac über das Fernsehen das Verbot von Futtermitteln auf Tiermehlbasis verkündete, platzte Jospin heraus: "Was der macht, ist zum Kotzen. Mitterrand hatte es mir schon gesagt: Das ist ein Lügner.", so oder ähnlich soll es aus seinem Amtssitz geschallt haben. Und er polterte weiter: "Chirac hat viel von seiner Energie und seiner Kraft verloren. Er ist müde, gealtert."
Nicht gut, Lionel, gar nicht gut, dachten da die Wähler. Woraufhin sich Jospin artig entschuldigte und der Präsident einen weiteren Punktsieg einheimste. Softie hier, Macho da - das sind die Pole, um die sich das interessierte Frankreich zur Zeit scharrt; und wenn es sein muss, bis zur Gattin: Für sein Alter sei er doch noch ganz gut, behauptet Bernadette Chirac, vom Gatten zärtlich "ma bichette" - meine kleine Hirschkuh - genannt. Sylvaine Agacinski hingegen, Angetraute des Premiers, achtet wie ein Fuchs darauf, dass ihr Mann sich in die richtige Richtung entwickelt: "Meine Frau will, dass ich feministisch bin, ohne dass - so hoffe ich - meine männliche Natur davon angegriffen wird."

Korruption fürs Volk

Männlichkeit hin oder her, was Jospin gegenüber seinem Kontrahenten fehlt, ist die von den Franzosen so sehr geschätzte unbequeme Art, das Aufmüpfige im Alltäglichen, was Mitterand und Chirac gleichermaßen virtuos beherrschten. Darauf steht der Franzos': Wenn eure Programmatik den Charme eines billigen Mineralwassers ohne Kohlensäure versprüht, dann schenkt uns wenigstens Dekadenz, Intrige und pompöse Baudenkmäler, in denen ihr euch selbst verewigt seht.
In den acht Jahren, in denen Chirac Bürgermeister von Paris war, gab er 14 Millionen Franc für seinen Privathaushalt aus. Die Franzosen sehen es so gelassen wie ihren Gang zur Urne am 21. April und am 5. Mai: 35 Prozent der Landsleute Chiracs und Jospins - Franzosen lieben Umfragen! - würden bei der Korruption mitmachen - wenn sie nur könnten.

Foto: Copyright liegt bei www.premierministre.gouv.fr

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