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Red Clenched Fist - Symbol der nordirischen Loyalisten

Nordirland - Vom ethnonationalen Konflikt zum kriminellen Bandenkrieg?

Autor :  e-politik.de Gastautor
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 18.10.2000

Die Welt blickt in den Nahen Osten. Aber auch in Europa bleiben die Konflikte, wie in Nordirland. Abseits des Medieninteresses steht Gewalt weiter an der Tagesordnung. Mit neuer Dimension, nämlich unter pro-britischen Loyalisten. Stefan Wolff diskutiert.


Die neueste Welle der Gewalt in Nordirland hat bisher zu drei Todesopfern geführt. Die Folgen gehen aber weit über das Leid der unmittelbar betroffenen Familien hinaus. In der traditionell loyalistischen Shankill Road vollzieht sich ein ähnlicher Segregationsprozess, wie er sich seit Beginn des Konflikts Ende der sechziger Jahre in Nordirland insgesamt zwischen Katholiken und Protestanten abspielte:

Anhänger der beiden hauptsächlichen loyalistischen paramilitärischen Gruppen Ulster Volunteer Force (UVF) und Ulster Defence Association/Ulster Freedom Fighters (UDA/UFF) ‚entmischen’ sich unter Druck und ziehen sich in sichere, das heisst mehrheitlich von Anhängern der eigenen Fraktion bewohnte Gebiete zurück. Nach inoffiziellen Angaben haben mehrere hundert Familien Umzugsanträge gestellt, womit der öffentlich verwaltete Teil des Wohnungsmarktes hoffnungslos überlastet ist. Bisher haben weder verstärkte Armee- oder Polizeipräsenz, noch die (Wieder-) Inhaftierung des erst kürzlich freigelassenen loyalistischen Terroristen Johnny Adair zu einer Befriedung der Situation geführt. Erst jüngst kam es wieder zu Anschlägen, darunter auf das Haus eines führenden Funktionärs der Progressive Unionist Party (PUP), dem politischen Arm der UVF.

Hintergründe: Splittergruppen und Drogenmarkt

Über viele Jahre hinweg demonstrierten die loyalistischen Paramiltärs relative Geschlossenheit. Ein Vereinigter Loyalistischer Kommandorat koordinierte die Aktionen und war maßgeblich an Zustandekommen und Einhaltung des Waffenstillstandes nach 1994 beteiligt.
Der Kommandorat brach allerdings 1997 zusammen, und seither existiert keinerlei institutionalisiertes Gesprächsforum zwischen UVF und UDA/UFF mehr. Hinzu kommt, dass sich die UVF im Laufe des Friedensprozesses in der Mitte der neunziger Jahre spaltete – radikale Gegner eines Übereinkommens mit der katholischen Bevölkerungsminderheit formierten sich in der Loyalist Volunteer Force (LVF) und ignorierten den Waffenstillstand. Bereits seit dieser Zeit gibt es eine erbitterte Feindschaft zwischen UVF und LVF, die schon in der Vergangenheit zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte.

Diese Feindschaft macht sich nun die UDA/UFF zunutze, um sich selbst als führende Kraft innerhalb der loyalistischen Gemeinschaft zu etablieren. Die Motive dafür sind allerdings weniger hehrer Natur. In erster Linie geht es um Gebietsansprüche und Marktanteile im überaus profitablen Drogenhandel und in einer weiten Reihe anderer krimineller Aktivitäten. Was vor einigen Jahren als politischer Richtungskampf begann, ist nun zum kriminellen Kleinkrieg geworden.

Konsequenzen: Gefahren für den Friedensprozess

Bisher hat sich der innerloyalistische Machtkampf noch nicht über Belfast hinaus ausgeweitet. Im wesentlichen als krimineller Bandenkrieg in den Medien und vor allem von Politikern porträtiert, scheint es, als ob es sich in der Tat lediglich um ein lokales, mit polizeilichen Mitteln wenn nicht unmittelbar lösbares so doch zumindest kontrollierbares Problem handeln würde.
Nordirland hat aber in der Vergangenheit bereits mehrfach unter Beweis gestellt, dass solche Kalkulationen leichtfertig sind.

Die Gefahren, die von diesem innerloyalistischen Machtkampf für den Friedensprozess ausgehen sind im wesentlichen zwei: ein allgemeiner Vertrauensverlust in der Bevölkerung und eine Ausweitung der Gewalt unter Einbeziehung republikanischer Paramilitärs.

Eine der Grundprämissen des Karfreitagsabkommens war, ein Ende der Gewalt durch eine allgemein akzeptables Abkommen zwischen Katholiken und Protestanten zu erreichen. Nach dreissig Jahren bürgerkriegsähnlicher Verhältnisse mit über 3000 Toten war das eine durchaus tragfähige Grundlage für einen Kompromiss. Sollte Gewalt wieder zu einem Bestandteil des Lebens in Nordirland werden, würde diese Kompromissgrundlage schwerwiegend unterminiert werden. Das würde vor allem Gegnern im protestantischen Lager Munition liefern, um die Politik der Ulster Unioinist Party von David Trimble zu attackieren. Sollte Trimble die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen verlieren, also nicht mehr die stärkste unionistische Fraktion im nordirischen Parlament stellen, wäre das gesamte Projekt des Friedensprozesses in Frage gestellt.

Das hätte logischerweise Folgen für die Haltung der beiden nationalistischen/republikanischen Parteien SDLP und Sinn Féin, für letztere vor allem unter dem Gesichtspunkt der zu erwartenden Reaktion der IRA, die durchaus eine Rückkehr zur Gewalt erwägen könnte.
Wesentlich unmittelbarer ist aber eine andere Bedrohung: Rivalisierende loyalistische Gangs könnten versuchen, ihre Existenzberechtigung durch das Provozieren von Angriffe auf Katholiken zu beweisen. Einerseits würden sie damit aus ihrer Sicht zeigen, dass sie bessere Loyalisten sind als ihre Gegner im eigenen Lager, wo das Bedrohen, Verletzen und Töten von Katholiken nach wie vor recht positiv gesehen wird, wie man an der Popularität von Johnny Adair sieht. Sollte sich daraus dann ein neuer Konflikt mit der IRA oder katholischen Splittergruppen entwickeln, könnten sich die verschiedenen rivalisierenden loyalistischen Fraktionen durch die Verteidigung ‚ihrer’ Gemeinschaft hervortun. Das würde dann auch Schutzgelder und andere Strategien zur Finanzierung des ‚Abwehrkampfes’ rechtfertigen und damit Einnahmequellen legitimieren, die den Gangs seit Beginn des Friedensprozesses mehr und mehr abhanden gekommen sind.

Keine friedliche Regelung in Sicht

Obwohl sich seit der Eskalation des Machtkampfes im August die Stimmen mehren, die zu einer Beilegung des Streits aufrufen, sind bisher sämtliche Vermittlungsversuche gescheitert. Gespräche zwischen den beiden die UVF und UDA/UFF repräsentierenden Parteien haben bisher zu keinem Ergebnis geführt. Gezielte Drohungen und Anschläge auf Mitglieder der PUP machen erfolgreiche Verhandlungen im Moment auch relativ unwahrscheinlich. Die Führung der Ulster Democratic Party, die die UDA/UFF repräsentiert, ist zudem wesentlich schwächer. Sie ist nicht im nordirischen Parlament vertreten und hat, im Gegensatz zur PUP, aber auch zu Sinn Féin, nur relativ wenig Kontrolle über ihren paramilitärischen Anhang, der in erster Linie wohl trotz seiner Wiederinhaftierung von Johnny Adair kontrolliert wird.

Die Aussichten für einen Erfolg des Friedensprozesses in Nordirland sind damit keinesfalls besser geworden. Es bleibt aber abzuwarten, ob und welche der Szenarien Wirklichkeit werden. Hier sind wieder einmal nicht nur die Politiker in Belfast, London und Dublin gefragt, sondern auch die Bevölkerung Nordirlands, die in der jüngsten Vergangenheit mehrfach ihren Willen zum Frieden und zur Aussöhnung bewiesen hat – aber eben nicht alle und vor allem nicht immer. Unsicherheit wird also auch in Zukunft ein bestimmendes Merkmal des Friedensprozesses in Nordirland bleiben.


Dr. Stefan Wolff, 31, ist Politologe am Fachbereich für Europastudien der University of Bath (Großbritannien).


   

Weiterführende Links:
   Homepage von Dr. Stefan Wolff



Leserkommentar von von
am 12.02.2001
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