Ein Minister schiebt den Gewerkschaften indirekt die Schuld an dem Terrormord an einem Regierungsberater zu. In Rom gehen über eine Million Menschen gegen die eigene Regierung auf die Straße. Ein anderer Minister bezeichnet die Demonstranten als demokratiefeindlich. Und der Staatspräsident sieht sich genötigt, Demonstrationen als "Salz der Demokratie" zu rechtfertigen.
Das politische Klima in Italien ist derzeit erschreckend aufgeheizt, ein vernünftiger Dialog über geplante Gesetze scheint beinahe unmöglich. Verglichen mit der täglichen Polemik in Italien klingen selbst die scharfen Worte nach der Abstimmung über das deutsche Zuwanderungsgesetz harmlos - wobei in Deutschland immerhin Wahlkampf ist.
In Italien geht der Wahlkampf aber offenbar auch ein Jahr nach den Wahlen weiter. So muss man sich die derzeitige politische Stimmung dort wie kochendes Wasser in einem Kessel über offenem Feuer vorstellen. Obwohl das Wasser, bei diesem Bild die politische Stimmung, längst kurz vor dem Überkochen ist, wirft ständig jemand neues Brennholz in Form von neuen Polemiken ins Feuer, die das Wasser weiter erhitzen.
Bossis Politik der peinlichen Polemik
Alles auf die Berlusconi-Regierung zu schieben, wäre jedoch zu einfach. Ohne Zweifel tut Umberto Bossi, Führer von Berlusconis rechtspopulistischem Koalitions-Partner Lega Nord, alles, um den Umgangston unerträglich zu machen. Während Bossi öffentlich eine Verbindung zwischen Linksterroristen und Gewerkschaften herstellt, geht Berlusconi nur ein wenig subtiler vor: Auf ein- und derselben Pressekonferenz sagt der Regierungs-Chef zunächst, dass es keine Verbindung zwischen dem Gewerkschaftsprotest und Linksterrorismus gibt, um dann jedoch wieder auszurufen: "Wir werden den Umsturzversuchen auf den Plätzen und den Pistolenschüssen widerstehen!" Und seit dem Mord an seinem Regierungsberater muss plötzlich jede Reform in Gedenken an die Ideen des Toten umgesetzt werden - womit er jede Kritik an den geplanten Gesetzen einem moralischen Vergehen gleichkommen lässt.
Die Schuld der Gewerkschaften
Die Gewerkschaften tragen jedoch ebenfalls kaum zur Entspannung bei. Denn bei allem Respekt vor den Demonstranten in Rom: Die Gesetzesänderung - sie soll Entlassungen erleichtern - ist eher eine Kleinigkeit angesichts der nötigen Reformen des italienischen Arbeitsmarktes. Selbst links-orientierte Italiener unterstellen Sergio Cofferati, Chef der größten Gewerkschaft CGIL, sich mit Hilfe der Demonstranten an die Spitze der Linken katapultieren zu wollen.
Die Angst des Mitte-Links-Bündnisses vor der Radikalisierung
Dafür spricht, dass sich Massimo D'Alema, Spitzenpolitiker des Mitte-Links-Bündnisses Ulivo (Olivenbaum) darum bemüht, die moderaten Kräfte seiner Partei zu stärken. Denn für Ulivo wäre es gefährlich, endgültig die Wähler der politischen Mitte zu verlieren, die Berlusconi im letzten Jahr zum Sieg verhalfen. Zudem haben Ulivo-Spitzenpolitiker wie Rutelli oder Fassino bei manchem Italiener den Eindruck erweckt, mehr auf Anti-Berlusconi-Demos statt auf die Oppositions-Arbeit im Parlament zu setzen. Sie müssen sich jetzt nicht nur vorwerfen lassen, Ulivo zu weit nach links gerückt zu haben, sondern auch die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie nicht zu akzeptieren - schließlich ist und bleibt Berlusconi trotz allem ein gewählter Regierungs-Chef.
Die möglichen Folgen des angespannten Klimas
Allerdings könnte Ulivo dank des Aufstandes der Gewerkschaften und Fehlreaktionen der Berlusconi-Regierung Erfolg mit seiner Taktik haben. Seit den Großdemonstrationen häufen sich die Fehler bei Berlusconis Ministern. Gerade Bossi lässt sich von den gemäßigten Politikern der Regierung kaum noch zügeln und drohte vor kurzem mit dem Ende der Koalition.
Doch auch renommierte Kommentatoren trauen sich momentan kaum eine seriöse Prognose zu, wie lange es mit der Berlusconi-Regierung noch gut geht. Zumal der Olivenbaum derzeit noch viel zu schwach und zerstritten ist, um als regierungsfähig zu erscheinen.
Daher ist es momentan das Wichtigste, dass Italiens Politiker lernen, endlich wieder anständig miteinander umzugehen. Sonst besteht die Gefahr, dass Italien zum politisch gespaltenen Land wird - und in Polarisierung findet sich der beste Nährboden für politisch motivierte Gewalt.
Collage: e-politik.de-Grafik