Es war sicher keine innige Freundschaft, aber eine erträgliche Beziehung. Der Medienkanzler machte Tagespolitik für die Schlagzeilen und die Schlagzeilen formten ihn zum Machtwortkanzler im Kabinett ... und im Land. Bild stilisierte Schröder zum Steuermann, der immer dann richtig durchzugreifen schien, wenn Matrosen wie Trittin oder Riester das Schiff in deutliche Schieflage brachten. Der Kanzler wird´s schon richten.
Freilich, die Bild blieb Massenblatt, aber löste sich in zwei Jahren Rot-Grün vom Image des schmuddeligen rechten Gassenblatts. Sogar die Süddeutsche Zeitung spendierte Lob:
"Bild ist eine nette und enorm professionell gemachte, liberale Boulevardzeitung geworden."
Das mag dem Chefredakteur Udo Röbel Anerkennung gewesen sein. Kaufen konnte er sich dafür nicht viel, denn seit dem zweiten Quartal 1998 gab es kein Auflagenplus mehr.
Etikett "Kohlianer"
Es waren zuletzt ´nur noch` 4,48 Millionen Leser. Worüber sich jeder andere Zeitungsmacher in Deutschland freuen würde, beklagt man bei Springer. Die Auflage ist zu gering.
Und deshalb ruft der neue Zeitungsvorstand des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, den einstigen stellvertretenden Bild-Chef Kai Diekmann zurück und schickt Röbel zum Online-Dienst.
Diekmann war im Juni 1997 vom damaligen Springer-Vorstandschef Jürgen Richter abgesetzt und zum eher unbedeutenden Springer-Auslandsdienst (SAD) berufen worden. Grund: Richter störte die offensichtliche Nähe Diekmanns zum damaligen Kanzler Kohl.
Nicht ganz unbegründet. Bereits als Schülerzeitungsredakteur in Bielefeld gelang dem heute 36-jährigen Diekmann der große Wurf: ein Interview mit dem Kanzler. Seitdem huldigte Diekmann Kohl - als Bild-Korrespondent in Bonn genauso wie als Vizechefredakteur. Dafür revanchierte sich Kohl und diktierte Diekmann ein ganzes Buch über die Einheit ("Ich wollte Deutschlands Einheit"). Und das wollte bei der peniblen Journalisten-Selektion des ex-Kanzlers viel heißen ... damals zuviel für Richter.
Dem Springer-Vorstand riss der Geduldsfaden, sehr zum Ärger Leo Kirchs, Großaktionär bei Springer und Dutzfreund Kohls. Am Ende verlor Richter den Machtkampf und musste selbst gehen. Das Blatt scheint sich nun zu wenden. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Leo Kirch wird sich freuen. Denn Diekmann steht nicht allein. Neben Bild wird auch die Bild am Sonntag (BamS), die B.Z. und die sog. blaue Gruppe, die Welt und die Welt am Sonntag (WamS), auf Kurs gebracht. Letztere galten schon in der Vergangenheit nicht gerade als Eckpfeiler der Arbeiterpresse.
Allüberall neue und zumeist jüngere Gesichter auf den Chefsesseln.
So übernimmt zum Beispiel Georg Gafron das Ruder bei der Berliner B.Z.. Ihm ist wie Diekmann bereits mehrfach das Etikett ´Kohlianer` aufgepresst worden. Ulrich Reitz beerbt Diekmann bei der WamS. Reitz kommt von der Rheinischen Post, die als erzkonservatives Lokalblatt gilt.
Das Bedrohungsszenario
Bildet sich nun die konservative massentaugliche Gegenöffentlichkeit zu Rot-Grün?
Setzen die alten Kohl-treuen Journalisten zum formierten medialen Gegenschlag an?
Im Schröder-Lager zumindest steht das Bedrohungsszenario.
Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, Medienberater für die rot-grüne Bundesregierung, erklärt in einem Zeitungsinterview:
"Die haben den Diekmann nicht aus Versehen da hingesetzt. Das Klima wird sich sicherlich verschlechtern."
Fast scheint es, als würde der derzeit einzig wirklich gefährliche, weil unberechenbare Gegner Realität werden: der politisierte Boulevard entzaubert die Aura des Medienkanzlers.
Das Regierungslager fürchtet nun, Kampagnen wären nicht mehr auf einzelne Lesergruppen beschränkt, weil sich eine unheilvolle Springer-Allianz aus Boulevardblättern und ´seriösen Zeitungen` bilden könnte.
Die Verzahnung der Redaktionen ist offenbar auch die neue Devise bei Springer - in der Vergangenheit fand man das eher selten. Was BamS und WamS nun am Sonntag vorlegen, könnte die Bild und die Welt werktags weiterstricken ...
"Hier unterschätzt keiner, welche Macht die über die Öffentliche Meinung haben können.", heißt es aus dem Regierungslager.
Bild bildet ... Meinung
Die Verunsicherung bei Rot-Grün ist groß. Was, wenn der versierte Kampagnenmann Diekmann nun bei der Bild ähnlich agiert wie zuletzt bei der Welt am Sonntag?
Ein Beispiel: Gerne und vor allem oft und opulent rechtfertigte sich darin der politisch endgültig gestürzte Altkanzler im Laufe des Spendenskandals. Kohls Nachfolger als CDU-Chef, Wolfgang Schäuble, vermutete denn auch die WamS hinter den Intrigen Kohls, die zu seinem Sturz als Parteichef beitrugen.
Hans-Hermann Tiedje, von 1989 bis 1992 Bild-Chefredakteur, weiß, wohin die Reise mit Diekmann gehen wird. Im Gespräch mit der taz meint er:
"(...) Und Bild macht Meinung - weil Bild das einzige Organ ist, das kampagnefähig ist. (...) Bei der Ökosteuer zum Beispiel. (...) Oder nehmen Sie das Thema Rente. (...) Und dann gibt es noch die Zuwanderung."
Die Bild war und ist hierzulande tatsächlich Meinungsführer - egal ob die Auflage nun über oder unter 5 Millionen liegt. Das zeigte sich erst jüngst beim unheilvollen Fall Sebnitz. Politik und Medien reagieren auf das Zentralorgan wie Lemminge. Was die Bild schreibt wird Thema. Agenda Setting at its best.
Genau deshalb ist Diekmann beim Medienkanzler und seinem Beraterstab der personifizierte Supergau - zumindest theoretisch. Denkbar wäre, dass Diekmann mit ´seiner` Bild im Verbund der Springer-Presse die öffentlichen Diskussion in die gewünschte Richtung lenkt. Mit banalen Schlagworten ließen sich sensible Themen wie Zuwanderung oder komplexe Vorhaben wie die Rentenreform genüßlich zerfleischen ... und der Steuermann Schröder müsste mehr als einmal SOS funken.
Wahrscheinlicher aber ist, dass Quote vor Ideologie kommt. Das weiß auch Kai Diekmann. Der Boulevard lebt vom Effekt. Und wenn man mit der Rente keinen erzielen kann, muss eben Blut und Sperma oder "Big Brother" auf die Titelseite. Auch wenn Diekmann lieber gegen den Kanzler schießen würde.
Collage: Copyright Logo liegt bei Bild, collagiert von e-politik.de