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Plattencover - WYSIWYG

Chumbawamba: What You See Is What You Get ...

Autor :  Klaus Halama, Florian Wachter
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 16.05.2000

Im Mai 2000 tourten die Pop-Guerillas durch Deutschland und präsentieren ihr aktuelles Album "WYSIWYG". e-politik.de hat sich mit den Engländern unterhalten.


Die überzeugten Gegner der Eisernen Lady

Chumbawamba haben noch nie den Weg des geringsten Widerstands eingeschlagen. Gegründet während der Thatcher-Ära der Achtziger, war das Kollektiv eine der wenigen Stimmen, die der vorherrschenden Meinung einer Generation widersprachen, deren Standpunkt lautete "Nach mir die Sinflut". Mit einer Mixtur aus Politik, Popkultur und jeder Menge Lärm waren sie lange Zeit der Geheimtip. Als Band gelangten sie erst mit ihren beiden Hitsingles "Timebomb" und "Tubthumping" in das Interesse der breiten Öffentlichkeit.

Gefälliger Pop mit Texten, die in den Hintern treten

Ihre Texte sind zwar weiterhin kontrovers und radikal, musikalisch hingegen konzentrieren sie sich nun auf höchst eingängigen Gefälligkeitspop. Das scheint aber Kalkül zu sein. Im Info zur aktuellen Platte findet man dann auch die treffende Zustandsbeschreibung: "In der teflonbeschichteten Kultur, wo nichts hängen bleibt, alles zum Himmel stinkt und man schon mit einem gepiercten Bauch zum Rebellen wird, wagt WYSIWYG den Versuch, Rock'n' Roll wieder gefährlich zu machen. Mit 22 Tracks und einem umfangreichen Beiheft ist dieses Album ein wahres Schwergewicht - und selbst hinter den engelsgleichen zuckersüßen Balladen wartet ein überraschender Tritt in den Hintern."

Chumbawamba sind mit ihren Ansichten und ihrem Habitus dennoch nicht unumstritten. Manchmal kommen sie sogar selbst ins Grübeln. Zumindest Trompeter Jude Abbot und Gitarrist Boff Whalley im Interview mit e-politik.de.

e-politik.de: Besteht nicht die Gefahr, dass Ihr mit Eurer Message eigentlich nur die erreicht, die ohnehin schon aufgeschlossen sind, liberal denken und eure Ansichten teilen? Und der Rest kümmert sich einen Dreck um Eure Texte.

Jude: Grundsätzlich verstehen wir uns nicht als Missionare. Wir sagen den Leuten nicht, Ihr sollt das tun und jenes lassen. Wir erzählen lediglich Geschichten, die in unserer Gesellschaft passieren. Unser Publikum ist heute aber sehr vielschichtig. Ob Ihr es glaubt oder nicht, wir verkaufen einen Haufen Platten an Kids, darunter viele 10 bis 12jährige. Und zumindest die sind heute zum Teil "openminded" und politisch informiert.

Boff: Wir finden das gar nicht so schlecht. Natürlich gibt es irgendwo das Bild vom völlig uninteressierten Musikkonsumenten, dem es völlig am Arsch vorbeigeht, worüber wir singen oder welche Ideen wir vermitteln. Gleichzeitig ist das eine Chance: Wenn einer die Musik mag, ist das doch erst mal großartig. Dann hat man schon mal so etwas geschaffen wie einen Dialog mit dieser Person - natürlich nur auf einem sehr niedrigen Level. Das entwickelt sich dann weiter. Irgendwann hört er genauer hin, geht zu unseren Konzerten, schaut sich unser Booklet an oder surft im Internet. Dann nimmt er auch was von unseren Ideen mit. Aber natürlich kriegst Du nie jeden, den Du auch wirklich erreichen willst.

Die Popindustrie ist unglaublich dumm

e-politik.de: Euer Englisch ist nicht immer einfach zu verstehen. Zumindest benutzt Ihr Floskeln, Redewendungen und Anspielungen, die nicht jeder verstehen wird.

Boff: Das ist nun wirklich kein Problem für uns. Es ist einfach eine Tatsache, wir kommen aus Nordengland, wir sprechen diesen Slang, benutzen eben auch die dort sprachlich verwurzelten Bilder, wie wir sie kennen. Das hat auch etwas mit kultureller Identität zu tun und natürlich mit dem eigenen Anspruch an unsere Texte.
Die Schwierigkeit in der Rockmusik ist doch, dass hier alles formalisiert abläuft, mit klar definierten Regeln und abgesteckten Grenzen, nur, weil jeder Idiot glaubt, damit die größte Anzahl an Leuten zu erreichen. Du liegst natürlich richtig: Wenn wir nur singen "Baby, ich liebe Dich" werden wir überall verstanden, in Deutschland, in der Türkei, in Griechenland und in den USA. Großartig. Aber Dinge, die wir sagen, sind halt leider ein wenig komplizierter als das. Und so müssen wir akzeptieren, dass eine Menge Leute nicht in der Lage sind, alles bis in`s Detail zu verstehen, was wir sagen wollen.
Schau Dir doch mal die meisten CDs an, die heute verkauft werden. Die Popindustrie ist unglaublich dumm geworden. Früher habe ich mir Platten gekauft, weil schon die Aussagen auf dem Cover intelligent waren und Lust auf mehr gemacht haben. Wenn ich dann heute ein Plattencover ansehe, dann sind da meist nur nette Fotos der Band zu sehen. Ansonsten keine bis extrem dürftige Liner Notes. Das fördert vielleicht den Verkauf. Mir ist das aber nicht genug.

e-politik.de: Warum habt Ihr den Satz "Sleeve designed by Baader-Meinhoff" auf Eurem Cover abgedruckt?

Boff: Diesen Namen verwenden wir schon seit langer Zeit. Alles begann, als wir beschlossen, das Designing außerhalb von Chumbawamba, also nicht mehr von uns selbst, anfertigen zu lassen. Und wir dachten darüber nach, welchen Namen wir der Designer-Firma geben sollten. Dann war schnell klar: Ah, laß sie uns einfach "Baader-Meinhoff" nennen. Das klingt halt einfach besser als "Art & Design" oder so. Wir wissen natürlich um die Provokation. Die war gewollt.

Macht korrumpiert

e-politik.de: Apropos Baader-Meinhoff: Ihr wisst, dass der heutige deutsche Innenminister Otto Schily ein ehemaliger RAF-Verteidiger war? Schilys Karriere ist schon beeindruckend. Erst RAF-Anwalt, dann grüner Politiker, dann Sozialdemokrat und nun steht er der deutschen Polizei vor.

Boff: Kennt Ihr den Satz "Macht korrumpiert"? Wir haben uns gerade einen Film über die englische Polizei angesehen. Da tauchte auch ein junger Kerl auf. Er heißt Tony Blair und attackierte 1983 einen Teil der Polizeikräfte als Rassisten. Es war mutig und selbstbewußt, was er forderte: Das muss aufhören und ich werde dafür kämpfen! Heute ist er an der Macht und steht einer Polizei vor, die auf vielen Ebenen rassistischer agiert als je zuvor.
Wir kennen die Biografie von Herrn Schily nicht. Aber es ist schon bemerkenswert, wie schnell man ursprüngliche Ideale der politischen Macht wegen verkauft.

e-politik.de: Euer Verhältnis zur Plattenindustrie gilt nicht gerade als harmonisch, eher als politisch brisant.

Jude: Ich denke, das ist so ein Haßliebesverhältnis. Was mit uns durch "Tubthumping" passierte, gab uns einen Einblick in das Auge des Orkans. Es war absolut faszinierend, da hinein zu kommen. Aber es war alles andere als "Super, jetzt sind wir drin. Nun müssen wir uns aber schon ändern, dürfen die Leute nicht mehr erschrecken, um nicht rausgekickt zu werden". Es war eher so wie "Ah, das ist ja interessant!". Ändern werden wir uns aber nicht.

Boff: Dennoch stehen wir natürlich immer im Widerspruch. Das ist einfach so, wenn Du einen Plattenvertrag hast. Du brauchst die Plattenindustrie, das Management, die Promoter. Wenn Du kritisierst, dass Kapitalismus die Menschen ausbeutet, und dies auch in dieser Schärfe pointierst, bekommst Du Schwierigkeiten, wenn Du selber Teil dieser Maschinerie wirst. Denn Kunst wird dann ein Verkaufsgut. Als wir unsere erste Cassette verkauft haben, war klar, wir sind ein Produkt. Damals konnten wir uns selbst vermarkten, waren unsere eigenen Controller. Natürlich würden wir heute gerne selber Zugang zum Markt haben und Preise definieren, ohne große multinationale Firmen. Aber das ist unmöglich. Jeder Künstler muss deshalb Kompromisse machen. Auch wir. Und schon wären wir wieder am Anfang dieses Interviews. Wir wollen eben nicht nur kleine Gigs vor 50 Leuten in Leeds spielen, in einem kleinen "netten" Ghetto, wo jeder versteht, was wir sagen. Dafür brauchst Du die Maschinerie der Industrie. Man muss deshalb ja nicht seine Ideale verlieren. Außerdem ist es spannend, in Widersprüchen zu leben. Alles würde sonst extrem langweilig sein.

Als antifaschistische Band auch nach Österreich

e-politik.de: Würdet Ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in der gegenwärtigen Lage in Österreich auftreten?

Jude: Wir würden es wohl tun. Für eine Band wie uns ist das eine Möglichkeit, uns mit den Gegnern der FPÖ zu solidarisieren. Schließlich haben wir eine Reputation als antifaschistische Band. Andere Künstler boykottieren Österreich. Das akzeptieren wir. Für uns ist es sinnvoller, durch Auftritte in Österreich Zeichen zu setzen und in Kontakt mit den Regierungsgegnern zu treten.
Ich greife wieder den Anfang unseres Interviews auf. Es geht nicht darum, nach Österreich zu fahren und dumme Fascho-Proleten zu konvertieren. Es geht hier klar darum, Profil zu zeigen und Position zu beziehen.

Boff: Wenn Du Dir die Geschichten der Protestbewegungen anschaust, wird klar, jede war mit ihrem speziellen Soundtrack verknüpft. Ob Bob Marley in Jamaika oder Musiker in Nicaragua, überall gab und gibt es Lieder als Bestandteil der Widerstandskultur. Ich würde mich freuen, wenn wir ähnliches erreichen, als ein winziger Teil der Opposition gegen Faschismus.

Politische Kritik heisst Reflexion

e-politik.de: Wie stellt Ihr Euch einen politischen Menschen vor?

Jude: Kritisch. Das ist für mich wesentlich. Er hinterfragt, akzeptiert nicht widerstandslos, was ihm erzählt wird, was von ihm gefordert wird.

Boff: Die Idee, kritisch zu sein, heißt ja nicht, dass Du nun merkst, über 16 Jahre wurden wir von einem korrupten Arschloch regiert, der durch seinen Wahnsinn letztlich jedem von uns Kohle aus der Tasche zog. Kritisch wird man nicht durchs Nachplappern, sondern durch Reflexion. Insofern sollte man hier in Deutschland wohl auch fragen, wie es um Gerhard Schröder bestellt ist. Ist der nicht auch in diese ganzen Sachen involviert? Das ist der kritische Schritt. Das ist es, was wir vom politischen Menschen verlangen. Sich über die Strukturen von Politik klar zu werden. Konsequenzen muss dann jeder für sich selbst ziehen.

e-politik.de: Auf Eurer ersten Single des neuen Albums gibt es den "doomed flight", Leute mit denen Ihr auf keinen Fall in ein Flugzeug steigen würdet. Gibt es auch Leute, mit denen Ihr liebend gerne zusammen irgendwo hinfliegen würdet?

Boff: Natürlich, große Schriftsteller, Künstler, Dichter, Denker und Philosophen: Frank Zappa, Malcolm McLaren, Emma Goldmann, Ulrike Meinhoff, Berthold Brecht, George Best.

Unverständnis für die Disneyfikation der Kultur

e-politik.de: Ihr habt Euch immer wieder heftigst über das Kulturverständnis der Amerikaner aufgeregt. Dennoch verkauft Ihr dort Platten und tretet dort auch auf.

Jude: Es ist das Problem der Pervertiertheit von Kultur, die Amerikanisierung der Kultur und diese Disneyfikation. Nenn es von mir aus auch Kulturimperialismus. Überall wo Du gehst und stehst erschlägt Dich dieser harmonisierte und homogenisierte Brei. In Leeds, München oder New York. An jeder Ecke ein McDonalds, an jeder Ecke die gleichen Symbole, die alles scheinbar so sicher, gemütlich und verständlich machen. Ist das noch spannend?

Boff: Aber das ist nicht eine Kritik an den amerikanischen Leuten. Eine Menge Amerikaner sind richtig cool, durchgedreht, intelligent und engagiert. Wo der Mainstream zuschlägt, gibt es halt auch immer kleine Widerstandsnester. Dennoch spielen wir natürlich gerne mit dem Begriff der "Amerikanisierung", weil man mit ihm das Kulturphänomen der heutigen Zeit kritisch und knapp auf den Punkt bringen kann.

aktuelle CD:
März 2000: "WYSIWYG" (EMI)

Cover von "WYSIWYG": Copyright liegt bei EMI


   


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